8. Forum Klimaökonomie
Transparente Klimabilanzen – Information für klimafreundliches Handeln
Das 8. Forum Klimaökonomie digital – Informierte Politik und Information als Politik
Mit dem Thema „Transparente Klimabilanzen – Information für klimafreundliches Handeln“ eröffnete das 8. Forum Klimaökonomie am 23. Februar den Turnus der Foren in 2021. Im virtuellen Pandemie-Format diskutierten Expert:innen in einer Videokonferenz-Schaltung die Notwendigkeit, die Verfügbarkeit und die Wirksamkeit von Informationen für eine effektive Klimapolitik. Rund 250 eingeladene Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft verfolgten den Livestream des Forums und trugen über begleitende Umfragen, Interaktions- und Chatmöglichkeiten zur Diskussion bei. Angesichts des durch die Verschärfung europäischer Klimaschutzziele steigenden Bedarfs an Informationen über Treibhausgasbilanzen sieht das Forum Information nicht nur als wichtige Grundlage informierter Politik, sondern auch als Politikinstrument – Bewusstseins- und Verhaltensänderung durch ihre gezielte Bereitstellung.
Was nicht gemessen werden kann, kann nicht verbessert werden
Bereits mit den einführenden Worten von Prof. Gernot Klepper, Prof. Achim Wambach und dem Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Prof. Wolf-Dieter Lukas wurde die Bedeutung von Informationen im Kampf gegen den Klimawandel betont. Insbesondere den Konsumierenden fehlten bei ihren Entscheidungen häufig schlichtweg die notwendigen Informationen, um klimafreundliche Entscheidungen zu treffen. Auch Politikinstrumente wie ein Grenzsteuerausgleichssystem benötigten weit mehr Informationen als bisher verfügbar. Daten aus Wissenschaft und Wirtschaft müssten, wie zuletzt bei der Einführung des nationalen Emissionshandelssystems, die Grundlage für Handlungen der Politik bilden.
Andreas Löschel fordert in Keynote Markt und Wettbewerb als Entdeckungs- und Koordinationsverfahren zu nutzen
Prof. Dr. Andreas Löschel, Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ der Bundesregierung, betonte in seinem Impulsvortrag zunächst die Notwendigkeit, die (kurzfristigen) sektoralen Ziele im deutschen Klimaschutzplan 2050 angesichts verschärfter europäischer Ziele anzupassen. Er warnte allerdings davor, auf Basis heutiger Informationen und Modellrechnungen die Erreichung des langfristigen Ziels der Klimaneutralität 2050 am Reißbrett planen zu wollen, da ein Großteil der benötigten Technologien noch nicht im Markt oder noch in der Probe- und Demonstrationsphase sei. Aus ökonomischer Sicht sei die Konzentration auf die CO2-Bepreisung notwendig, weil diese marktlichen Instrumente gerade auch dann gut funktionierten und eine Minderung der Treibhausgasemissionen ermöglichten, wenn detaillierte Informationen für Haushalte oder Unternehmen nicht vorlägen. Begleitet von einer Verbesserung der Infrastruktur, dem Ausbau der Netze und einer gezielten Forschungsförderung sei der Markt als Entdeckungs- und Koordinationsverfahren zu nutzen, indem er die Vielzahl der Akteure (Haushalte, Unternehmen) zusammenbrächte, die zum Klimaschutz beitragen sollten oder wollten.
Löschel stellte dar, die Ermittlung und Zertifizierung des CO2-Rucksacks eines Produkts – die Menge von Emissionen entlang der gesamten Lieferkette – sei Voraussetzung für industriepolitische Maßnahmen und müsse glaubwürdig und zuverlässig erfolgen. So könne Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil zum Tragen kommen und Kaufentscheidungen von Konsumenten positiv beeinflusst werden.
Delara Burkhardt ergänzt politische Perspektive als Europaparlamentarierin
Delara Burkhardt (Mitglied des Europäischen Parlaments für Schleswig-Holstein, SPD) stellte in ihrem Beitrag zunächst heraus, sie sehe in der relativ neuen gesellschaftlichen Diskussion um das Ziel der Klimaneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts ein Momentum in der Klimapolitik. Dies gelte es zu nutzen, um die notwendige Transformation zu erreichen. Das Maßnahmenpaket des Europäischen Green Deals und der Corona-Wiederaufbau-Fonds, dessen Mittel zu gut einem Drittel für Klimaschutz-Maßnahmen vorgesehen sind, böten eine historisch einmalige Chance. Diese Mittel dürften auf keinen Fall in das Wirtschaften von gestern gesteckt werden.
Als Europaparlamentarierin sieht sie die Verantwortung in erster Linie bei der Politik, welche die Rahmenbedingungen für die Transformation setzen müsse. Dies gelte ebenso bezüglich der Herstellung von Transparenz bezüglich der Lieferketten. Ihr Fazit: „Für eine erfolgreiche sozial-ökologische Wende sind verlässliche und transparente Informationen für Politik, Unternehmen, Bürger:innen unerlässlich. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, Nachhaltigkeitskriterien klar zu definieren und Berichts- und Offenlegungspflichten zu verabschieden.“ Sie appellierte auch an die Wissenschaft, die Szenarien, welche den politischen Entscheidungen in Brüssel zugrunde lägen, im Blick zu behalten, sich gegebenenfalls einzumischen und größere Möglichkeitsräume zu erreichen.
Panel diskutiert die Rolle von Information als Treiber klimafreundlichen Handelns
Moderiert von Conny Czymoch und Prof. Martin Kesternich (ZEW) diskutierten Delara Burkhardt und Andreas Löschel anschließend gemeinsam mit Joachim Lutz (Dekan der Fakultät für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim) und Udo Sieverding (Mitglied der Geschäftsführung der Verbraucherzentrale NRW) per Videokonferenz-Schaltung, inwiefern Informationen als Treiber klimafreundlichen Handelns fungieren können. Zwei Videosequenzen lockerten die Diskussion auf. Sie führten jeweils in Themen und Diskussionspunkte ein, die bereits am 09. und 11. Februar in den vorgelagerten virtuellen Roundtables zum 8. Forum Klimaökonomie adressiert worden waren:
CO2-Preise, transparente Klimabilanzen, Border Carbon Adjustments – Welche Rolle spielen sie für den Klimaschutz europäischer Unternehmen?
Der erste Roundtable hatte am 09. Februar 2021 – moderiert von Dr. Katherine von Graevenitz (ZEW) – die Frage der Bedeutung der Klimapolitik und der Informationen über CO2-Bilanzen für deutsche Unternehmen, ihre CO2-Emissionen und ihre Wettbewerbsfähigkeit diskutiert. Elisa Rottner (ZEW) berichtete über folgende Impulse, die von den Praktikern zum Thema eingebracht wurden:
- Potential zur Reduktion von CO2-Emissionen in der deutschen Industrie liegt in einer verstärkten Kreislaufwirtschaft, Prozessemissionen können durch CCS/CCUS (Carbon Capture and Storage/Utilization and Storage) erreicht werden. Haushalte tragen mit einer gesteigerten Nachfrage nach klimafreundlichen Produkten bei.
- Sektorspezifische Gegebenheiten müssen auch bei der Gestaltung der CO2-Bepreisung berücksichtigt werden, um „Carbon Leakage“ zu vermeiden. Grenzausgleichsmechanismen („Border Carbon Adjustments“), wie sie im Green Deal der EU vorgesehen sind, könnten die heimische Industrie schützen.
- Informationen sind zur Umsetzung der Klimapolitik in allen Bereichen entscheidend: Unternehmen, Investoren, Wissenschaft, Politik.
Joachim Lutz ergänzte an dieser Stelle den Hinweis auf das funktionierende System des CO2-Preises, unterstrich aber, dass dessen Richtwerte stimmen müssen und dass die Politik das „level playing field“ für Unternehmen garantieren müsse.
Das Publikum zeigte sich skeptisch, ob Unternehmen Informationen zu ihren Klimabilanzen freiwillig bereitstellen würden. In der geschalteten Umfrage waren 85% der Befragten der Meinung, Informationsbereitstellung benötige politische Regulierung. Das Panel betonte die existierenden Anreize und Offenlegungspflichten von Informationen, die eigentlich ausreichend sein sollten. Unabdingbar sei die Verifizierung und Zertifizierung von Informationen, wie sie in Europa mit der Gesetzgebung für nachhaltige Investitionen (EU-Taxonomie) derzeit angegangen werde. Wichtig sei dabei, die bereitgestellten Informationen und Daten den Verbraucher:innen verständlich zu machen und Transparenz hinsichtlich der Emissionen entlang der gesamten Lieferkette herzustellen. Nur so könnten informierte Verbraucher:innen klimafreundlichere Entscheidungen treffen.
Klimaschutz durch Kooperation – Verändert die COVID-19-Pandemie das Zusammenspiel von Politik und Bürger:innen in der Klimapolitik?
Der zweite Roundtable befasste sich am 11. Februar 2021 unter dem Titel "Klimaschutz und Kooperation" mit den Auswirkungen, welche die Corona-Pandemie auf die gesellschaftliche Akzeptanz von klimapolitischen Maßnahmen hat. Das Gespräch wurde von Prof. Martin Kesternich moderiert und Carina Fugger (ZEW) trug die Impulse aus der Diskussion des Roundtables per Videobotschaft in das Forum hinein:
- Das Bewusstsein für klimapolitische Fragen ist noch unvermindert stark – bestätigt durch wissenschaftliche Erhebungen sowie praktische Erfahrungen. Mittelfristig könnten zunehmende finanzielle Sorgen in der Gesellschaft dies jedoch ändern.
- Die kollektive Lernerfahrung, dass Verhaltensänderungen Wirkung zeigen, lässt Schlüsse für die Kommunikation von Wissenschaft und von Klimaschutzmaßnahmen zu. Motivation für individuelles Handeln kann folgen aus klarer Kommunikation von direkten Vorteilen für das Individuum, für die lokale Wirtschaft und für die lokale Umwelt.
- Der CO2-Preis als verursachergerechtes Preissystem ist bisher nicht auf der Ebene von Bürger:innen angekommen und hat keinen Einfluss auf ihr Verhalten. Beispiel: Energetische Sanierung von Mietshäusern.
- Eine persönliche Ansprache von Bürger:innen mit zielgerichteter Information bestimmter Zielgruppen ist notwendig für ein erfolgreiches Zusammenwirken von Politik und Bürger:innen. Die Information sollte sich dabei insbesondere auch auf die persönlichen Vorteile beziehen.
Die Teilnehmenden des Forums sahen ebenfalls keine Veränderung bei der Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen. Das Panel war der Ansicht, dass der Lock-Down für private Investitionen in klimafreundliche Alternative sogar Zeit und Gelegenheit geboten habe, sich mit Informationen zu versorgen. Allerdings sei durch die Pandemie erneut die Dringlichkeit eines sozial gerechten Übergangs deutlich geworden.
Wie dieser Übergang in neue Industriestrukturen zu gestalten sei, wurde von den Diskutierenden unterschiedlich eingeschätzt. Einerseits sei es gerade aus ökonomischer Sicht angeraten, bei der Gestaltung der großen Grundsätze und der politischen Programme auf Instrumente mit wenig Detail- und Nachsteuerungsbedarf zu setzen – sprich, ein System eines effektiven CO2-Preises setzt die Rahmenbedingungen. Die Märkte würden sich entsprechend anpassen, es müsste jedoch zusätzlich diejenigen Innovationen angestoßen werden, die noch für eine klimaneutrale Wirtschaftsweise benötigt werden. Gleichzeitig könnten auch Standards und Verbote helfen, indem sie Verbraucher:innen klare Richtlinien für umweltfreundliches Handeln an die Hand gäben und damit das tägliche Leben erleichterten. Dem wurde entgegengesetzt, dass die nur schwer zu ermittelnden gesamtwirtschaftlichen Kosten von Standards dabei oft vernachlässigt würden, weil sie weniger sichtbar als die von CO2-Preisen seien.
Zuschauende interagieren über Umfragen und Chat-Möglichkeit
Während der gesamten Diskussion gab es für Zuschauende die Möglichkeit, Fragen per Chat direkt ans Panel zu richten und an Umfragen teilzunehmen. Insgesamt bestand Einigkeit: Der Kampf gegen den Klimawandel brauche eine fundierte Datenbasis, die politisch ermöglicht und gestaltet werden muss, um ihre Wirkung zu entfalten. Der politische Rahmen müsse die Vollständigkeit und Wahrheit der Daten sicherstellen und den Bürger:innen und Unternehmen müsse Zugang zu den Informationen den gewährt werden.
Hintergrundpapier
Die Umsetzung ambitionierter Klimapolitik ist im Wesentlichen von der Bereitstellung einer umfassenden Informationsgrundlage abhängig. Information, so die Argumentation dieses Papiers, ist in doppelter Hinsicht für erfolgreiche Klimapolitik unabdingbar: Sie wird benötigt, wenn Potenziale zur Reduktion von Emissionen identifiziert, die richtige Auswahl zwischen klimapolitischen Instrumenten getroffen und die Verhaltensweisen von Menschen verstanden werden sollen. Und sie spielt eine zentrale Rolle, wenn Bürger:innen und Investor:innen befähigt werden sollen, selbst Entscheidungen im Sinne des Klimaschutzes zu treffen und sich durch ihr Engagement einzubringen.