10. Forum Klimaökonomie

Versicherung von Klimarisiken – zwischen privater Vorsorge und staatlicher Intervention

22 Nov 2021
10117 Berlin
Vertretung des Landes Schleswig-Holstein beim Bund, In den Ministergärten 8
Das 10. Forum Klimaökonomie endlich wieder in Präsenz – altes Format, weniger Gäste, neuer Ort

Am 22. November 2021 fand des 10. Forum Klima­öko­nomie „Ver­siche­rungen von Klima­risiken – zwischen privater Vor­sorge und staat­licher Inter­vention“ erst­mals seit knapp zwei Jahren in Präsenz statt. Unter strikter Ein­haltung der 2Gplus-Regeln bot die Lan­des­ver­tretung von Schleswig-Holstein in Berlin einen ange­messenen Rah­men für rund 50 Gäste aus Politik, Wirt­schaft, Gesell­schaft und Wissen­schaft. Sie dis­ku­tierten ak­tuelle Fragen rund um das Thema Ver­siche­rungen gegen Extrem­wetter­ereig­nisse als Option der An­passung an den Klima­wandel: Welche Rolle können und sollen private und öffent­­liche Akteure bei der Ver­siche­rung von Klima­­risiken spielen? Wie bieten Ver­­siche­­rungen An­reize zur An­­passung an den Klima­­wandel für den privaten Sektor? Sind Ver­sicherungs­­lösungen sozial gerecht?

Die Ampelkoalition muss einen ernsthaften Prüfauftrag für eine Versicherungspflicht erteilen!

Bereits in der Reihe von Gruß­worten wurde die Aktua­lität des Themas ange­sichts der Hoch­wasser­ereig­nisse im Sommer 2021 be­tont. Prof. Gert G. Wagner (Sach­verstän­dige­nrat für Ver­braucher­fragen, SVRV) fo­kus­sierte in seiner Key­note dann auf die Ab­siche­rung von Wohn­gebäuden gegen Elementar­schäden.

Dabei sei sowohl die Vor­sorge zu stärken – etwa durch die Ver­schär­fung bau­recht­licher Vor­schriften (z.B. bei der Standort­wahl) und tech­nischer Maß­nahmen – als auch die Ver­sicherungs­dichte von Elementar­schäden in Deutsch­land massiv zu erhöhen. Selbst bei einer hohen Ver­­sicherungs­dichte von 80% oder sogar 95% sei zu befürch­ten, dass gerade hoch­gefähr­dete Wohn­immo­bilien aufgrund zu hoher risiko­basierter Ver­sicherungs­prämien nicht erreicht würden. Die Ein­führung einer Ver­sicherungs­pflicht müsse deshalb in Betracht gezogen werden. Dabei sollten Ver­sicherungs­prämien aus Anreiz­gründen durch­aus risiko­gestaffelt sein. Zur Ver­meidung sozialer Härten brauche es einen Aus­gleich für Alt­bauten, etwa in Form von bedarfs­gerechten staat­lichen Zu­schüssen zu Ver­sicherungs­prämien. In einem nächsten Schritt sei es nun sinn­voll, die rein konzep­tionelle Ebene zu verlassen. Die Ampel­koalition müsse einen ernst­haften Prüf­auftrag einer Ver­sicherungs­pflicht von Elementar­schäden an den SVRV erteilen.

Eine Versicherungspflicht darf nicht alleinstehen!

Jörg Asmussen (Gesamt­verband der Deut­schen Ver­siche­rungs­wirt­schaft, GDV) er­gänz­te in der zweiten Keynote, die Ver­sicherungs­dichte von derzeit 46% müsse erhöht werden. Das Un­wetter Bernd im Juli 2021 mit allein 7 Milliarden Euro ver­sicherter Schäden und sogar größeren volks­wirt­schaft­lichen Schäden habe einmal mehr den Hand­lungs­bedarf aufgezeigt.

Eine Sin­gu­läre Ver­siche­rungs­pflicht für Natur­gefahren sei alleine jedoch keine nach­haltige Lösung, sie müsse in ein Gesamt­system mit drei Kern­ele­menten ein­ge­bettet sein:

1. Verbindliche Schritte zur Klimafolgenanpassung,
Solche Schritte könnten Vor­sorge­vor­schriften im Bau­ordnungs­recht, Neu­bau­verbote in ex­ponier­ten Lagen, die Ein­richtung eines bundes­weiten Natur­gefahren­potentials und eine ver­pflich­tende Klima­gefährdungs­beur­teilungen bei Bau­geneh­migungen sein.

2. Versicherungsschutz für private Hauseigentümer,
Da eine Ver­sicherungs­pflicht für Haus­eigen­tümer ver­fassungs­rechtlich pro­ble­ma­tisch sein könnte, schlage der GDV eine generelle Um­stellung aller privater Wohn­gebäude­ver­siche­rungen ab einem Stich­tag auf eine Ver­sicherungs­schutz gegen Ele­mentar­schäden gegen die Zah­lung von risiko­adä­quaten Prä­mien vor. Der Ver­sicherungs­nehmer erhalte jedoch per Wider­spruchs­recht die Mög­lich­keit, kom­plett auf die Ver­siche­rung von Ele­mentar­schäden zu verzichten. Soziale Härten durch die Ver­siche­rung von Alt­beständen zu risiko­basierten Prämien sollten durch die Anwendung des Sozial­gesetz­gebungs­instru­men­tariums ab­ge­federt werden. Neu­bauten in amt­lich aus­ge­wie­senen Über­schwemmungs­gebieten sollten hin­gegen ab dem Stich­tag keinen Ver­sicherungs­schutz mehr erhalten können.

3. Vorsorgepflicht für den katastrophalen Kumulschadensfall.
Natur­­gefahren seien zwar grund­­sätzlich ver­­sicher­­bar, jedoch seien be­­stimmte un­­um­­kehr­­bare Klima­­folgen (z.B. der mög­liche Still­stand des Golf­stroms) nicht voll­ständig er­forscht und nicht quanti­fizierbar. Sie könnten daher nicht in ver­sicherungs­mathe­matische Modelle ein­gehen. Daher schlage der GDV hier eine Stop-Loss-Regelung vor: Ab einer sig­nifikant hohen Schadens­summe, welche die Kapa­zitäten der privat­wirt­schaft­lichen Ele­men­tar­schadens­regu­lierung über­steige, solle der Staat als Ver­sicherer der letzten Instanz Schäden über­nehmen.

Wissenschaft und Praxis tauschen sich zu Elementarschadenversicherung, indexbasierten Versicherungen und Versicherungslösungen in der Landwirtschaft aus

 

In drei parallelen Sessions beleuch­teten jeweils etwa 15 Teil­neh­mende Details von ver­schie­denen Formen von Ver­sicherungen. Diese Dis­kus­sionen bil­deten den Kern des Forums und wurden er­freu­lich leb­haft und teil­weise sehr kon­tro­vers ge­führt. Ihre Kern­ergeb­nisse sind im Fol­genden kurz auf­ge­führt:

Versicherungen gegen Elementarschäden in Deutschland: Brauchen wir eine Ver­siche­rungs­pflicht?
  • Im Status quo in Deutsch­land exis­tierende „frei­willige Ver­sicherungs­märkte mit Staats­­hilfen“ führten zu einer vergleichs­weise geringen Ver­sicherungs­dichte. In Erwartung staat­licher Hilfen im Katas­trophen­fall bestehe wenig Anreiz für Eigen­risiko­vorsorge. Gleich­zeitig erhöhe der Ad-hoc-Charakter staat­licher Hilfs­zah­lungen die Un­sicher­heit für Immo­bilien­eigen­tümer und Bestände in Risiko­lagen blieben auf­grund risiko­basierter Prämien oft ohne aus­reichen­den Schutz.
  • Optionen einer Neu­gestal­tung bestünden in der Ein­führung einer Ver­sicherungs­pflicht, die eine hohe Ver­sicherungs­dichte ermög­liche, jedoch verfassungs­rechtlich prob­le­matisch sei. Daher sei die bereits von Jörg Asmussen vor­gestellte Opt-out-Option eine ele­gantere Lösung. Weiter­hin seien staat­liche Auf­klärungs­kampagnen bzgl. der Gefahren­lage, Ver­sicherungs­möglich­keiten sowie steuer­finan­zierte Katas­trophen­fonds zu berück­sichtigen.
Indexbasierte Wetterversicherungen im Globalen Süden: Erfüllen sich die großen Erwartungen?
  • Index­basierte Ver­sicherungen stärkten – wissen­schaftlich belegt – nicht nur die Resilienz von klein­bäuer­lichen Haus­halten gegen­über extremen Wetter­ereig­nissen, sie ermög­lichten auch profi­tablere Inves­titionen seitens der Haus­halte und einen besseren Zugang zu Krediten. Ent­scheidend über den Erfolg eines Versicherungs­­produkts sei die Aussage­­kraft des gewählten Index. In der Praxis der Entwicklungs­­zusammen­­arbeit müssten index­basierte Ver­sicherungen als Ins­trument gegen Extrem­wetter­ereig­nisse aller­dings in eine breitere Anpassungs­strategie einge­bettet sein.
  • Die Diskussion um die Kopplung von Versicherungs­ange­boten an private An­passungs­maß­nahmen und nach­haltige Agrar­praktiken, sah als kritischen Punkt den flie­ßenden Über­gang zwischen privat­wirt­schaft­lichen Versicherungs­lösungen und staat­licher Grund­sicherung, ins­beson­dere im Fall stark subven­tionierter Versicherungs­prämien.
Ernteausfälle durch Klimaveränderungen in der Landwirtschaft: Herausforderungen und Potenziale verschiedener Versicherungslösungen
  • Die Wissen­schaft führte versicherungs­ökonomische Konzepte wie Kumul­risiko, asymmetrische Infor­mation, adverse Selek­tion und „availability bias“ in die Dis­kussion ein und erläu­terte Vorteile index­basierter Ver­sicherungen. Ernte­ausfall­ver­sicherungen redu­zierten nicht zwangs­läufig das ganz­heitliche unter­neh­merische Erfolgs­risiko, da Anbau­entschei­dungen und eigen­verant­wort­liche Risiko­ab­siche­rungen durch sie beein­flusst werden könnten.
  • In der poli­tischen Praxis der staat­lichen Förderung von Risiko­management bzw. Ernte­ausfall­versicherung sollten subven­tionierte Prämien die Versicherungs­instru­mente fördern und somit suk­zessive die Aus­zahlung von Ad-hoc-Hilfen ersetzen.

Konsens: Für die Effek­tivität und Anreiz­kompa­tibi­lität von Versicherungs­lösungen sind ein sorg­fältiges und infor­miertes Versicherungs­design von entschei­dender Bedeutung.

Panel diskutiert die Rolle privater und öffentlicher Akteur:innen bei der Versicherung

Moderiert von Conny Czymoch disku­tierten Ingrid-Gabriela Hoven (Vor­stän­din der Ge­sell­­schaft für Inter­natio­nale Zusammen­arbeit, GIZ), Prof. Dr. Gert G. Wagner und Dr. Olaf Burghoff (Leiter Statistik und Natur­gefahren­model­lierung des GDV) an­schlie­ßend die Rolle privater und öffent­licher Akteur:­innen bei der Ver­siche­rung von Extrem­wetter­ereig­nissen.

Im Kontext des Globalen Südens stellte Frau Hoven die wichtige Rolle von Ver­sicherungs­lösungen heraus, die im Katas­trophen­fall schnell Hilfe zu Verfügung stellten, während staat­liche Hilfen mitunter lang­sam oder gar nicht an­liefen. Der vertrag­liche Zahlungs­anspruch, auf den sich Betroffene im Schadens­fall berufen könnten, führe zu einem effek­tiven Schutz­schild gegen die Klima­wandel­folgen für Klein­bauern, Küsten­bewohner und Städter. Kern­auf­gaben des Staates seien im Globalen Süden die Schaffung eines funktio­nierenden regu­lativen Rahmens für Versicherungs­märkte, der das Know-how der Versicherungs­wirtschaft nutze, sowie Inves­titionen in Klima­risiko­prävention und -vorsorge, die den Erwartungs­wert von Schäden reduzierten.

Im Agrar­bereich müsse besonderes Augen­merk auf das Versicherungs­design gelegt werden. Beispiels­weise könne ein breites Versicherungs­angebot gesamt­gesell­schaft­lich uner­wünschte Produktions­verzerrungen entgegen­wirken, die durch die Spezia­li­sie­rung auf einzelne, gegen Ernte­ausfall ver­sicherte, Produkte bewirkt würden. Ins­ge­samt funk­tio­nierten in der Land­wirt­schaft Versiche­rungen gegen Extrem­wetter­ereig­nisse (wie Hagel) gut, in Bereichen mit hohen Kumul­risiken (wie Dürre) nicht so gut. Fraglich blieb, inwiefern hier durch staat­liche Ein­griffe, Hilfs­zahlungen und Sub­ven­tio­nierung Ab­hilfe geschaffen werden kann.

Auch in der Panel-Diskussion wurde das Thema Elementar­schaden­versicherung aufgegriffen. Nach den nicht erwar­teten Aus­wir­kungen von Bernd würden für die Bestimmung risiko­basierter Prämien versicherungs­mathe­matische Modelle derzeit an die neuen Gegeben­heiten angepasst. Verteilungs­politisch sei noch zu klären, wie Geschä­digte zu entschä­digen seien, deren Immo­bilien in Nicht-Risiko­gebieten dennoch von der Flut getroffen wurden. Sollten sie Ihre Häuser an Ort und Stelle wieder­auf­bauen (dürfen) oder sollten sie ent­schädigt werden, falls ihnen dies verwehrt wird?

Das 10. Forum Klima­ökonomie klang mit einem geselligen Beisammen­sein mit Buffet und Dialog aus – selbst­verständlich unter Ein­haltung der Hygiene­vorschriften. Diese Gelegenheit wurde von allen Gästen vor Ort gerne wahr­genommen.



Hintergrundpapier

In diesem Hintergrundpapier zum 10. Forum Klimaökonomie haben Expert:innen aus dem BMBF-Förderschwerpunkt „Ökonomie des Klimawandels“ den Stand der Literatur und der Debatten zum Thema Versicherung gegen Extremwetterereignisse zusammengetragen. Versicherungen gegen Extremwetterereignisse werden in der Wissenschaft und gesellschaftlichen Debatte als wichtiges Instrument diskutiert, mit dem Haushalte und Unternehmen die negativen Folgen des Klimawandels abfedern können. Ziel des Hintergrundpapiers ist es, anhand der zwei wesentlichen  Versicherungstypen – Schadenversicherungen und indexbasierte Versicherungen – die Potentiale und Grenzen von Versicherungslösungen bei der Anpassung an den Klimawandel aufzuzeigen. 

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