11. Forum Klimaökonomie

Der Finanzsektor als Klimaschützer? Das Potenzial von Sustainable Finance

03 Mär 2022

Virtuelles 11. Forum Klimaökonomie zu Sustainable Finance vereint Stimmen aus Forschung, Politik und Wirtschaft

ESG, Green Bonds oder Taxonomie-Rechtsakt – im Abkürzungs- und Fachjargon der Sustainable-Finance-Welt könne man als Laie schon leicht mal den Überblick verlieren, stellt Moderatorin Conny Czymoch zu Beginn des 11. Forum Klimaökonomie fest. Grund genug sich im Rahmen des letzten Forums des Dialogs zur Klimaökonomie der Frage zu widmen, welche Rolle der Finanz­sektor bei der Eindämmung des Klima­wandels einnehmen könne. Welche Kriterien muss die Berichterstattung von Unternehmen in Finanz- und Realwirtschaft erfüllen, um Klima- und Transitionsrisiken ausreichend zu berücksichtigen? Führt die Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen automatisch zur intendierten Reallokation von Kapitalströmen? Bestehen weitere Barrieren für die erforderlichen Investitionen in grüne Technologien? Antworten auf diese und weitere Fragen erhofften sich rund 190 Teilnehmende, die über die interaktive Event-Plattform das 11. Klimaforum verfolgt haben.

Besonders klimafreundliche Technologien sind auf niedrige Kapitalkosten angewiesen

Energy-Finance-Experte Prof. Dr. Bjarne Steffen (ETH Zürich) vermittelte eine wissen­schaft­liche Pers­pek­tive auf die Heraus­for­de­rungen bei der Finan­zierung kli­ma­scho­nen­der Techno­logien. Der in der EU jähr­lich um 30-40 % stei­gende Inves­ti­tions­bedarf im Ener­gie­sektor begründe sich zum einen durch die hohen Kos­ten für den Um­bau der Energie­infra­struktur, zum an­deren durch die hohe Kapital­inten­sität CO2-armer Tech­no­logien.

Zwar bestünde in Europa grund­sätz­lich kein Mangel an verfüg­barem Kapital, jedoch ver­halten sich viele Inves­toren hin­sicht­lich bestehender Unwäg­bar­keiten zurück­haltend - etwa beim Energie­träger Wasser­stoff. Um die Finan­zier­barkeit klima­freund­licher Tech­no­lo­gien in der Breite zu stär­ken, könne eine grüne Finanz­politik ver­schie­dene Maß­nahmen er­greifen: Eine Senkung der Kapital­kosten dürfte Inves­ti­tionen in Erneuer­bare Ener­gien begüns­tigen. Wesent­­liche Treiber für die Kapital­kosten seien neben dem all­ge­meinen Zins­niveau techno­logie­spezi­fische Zins­margen und Rendite­erwar­tungen sowie Emissions­handels­systeme. Ebenfalls Ein­fluss auf die Kapital­kosten haben auch Markt­initia­tiven, wie die Divestment-Aktivitäten öffent­licher Pensions­kassen oder spezielle Förder­programme staatl­icher Inves­titions­banken.

Sustainable Finance: kein grüner Finanzbereich, sondern zukunftsfähiges Finanzsystem

Ein vielschichtiges Bild von Sustainable Finance zeichnete anschließend Kristina Jeromin, Co-Vorsitzende des Cluster for Green and Sustainable Finance Germany. Sustainable Finance sei weit mehr als die Förderung nachhaltiger Finanzprodukte. Ziel sei ein zukunftsfähiges Finanzsystem, das Menschen und Unter­nehmen im not­wen­digen Trans­for­mations­prozess unter­stütze.

Deutschland habe das ehrgeizige Ziel, „ein führender Standort für Sustainable Finance“ zu werden, habe es bis­lang jedoch verpasst, not­wen­dige Maß­nahmen zur Erreichung dieses Ziels umzu­setzen. Dafür not­wendig sei neben einem hohen Ambitions­niveau auch Trans­parenz im Finanz­system und in Finan­zierungs­mecha­nismen. Die Akteure des Finanz­branche hielt Kristina Jeromin dazu an, Nach­haltig­keit nicht als eine Nische, sondern als ein sys­te­misches Arbeits­feld zu be­greifen. Nur so könne der Sek­tor die für den Wan­del not­wen­digen Inno­va­tionen erreichen, etwa im Bereich der digi­talen Er­fassung und Ver­arbei­tung von Nach­haltig­keits­infor­ma­tionen. Kritisch sah Jeromin die aktuelle Debatte rund um die EU-Taxonomie, da sie den Finanz­sektor von dem von ihr an­geregten sys­te­mischen Pfad ab­bringe.

Expert:innen berichten über Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis in vor­ge­la­gerter Serie von Diskussionsrunden

Nach den beiden Keynotes berich­teten Dr. Kai Lessmann, Dr. Franziska Schütze und Dr. Gunnar Gutsche über die Serie von Roundtable-Diskussionen mit jeweils etwa 20 Teil­neh­menden, die am 23. Februar, 24 Februar und am 2. März zu ver­schie­denen Themen des Hinter­grund­papiers zum 11. Forum Klima­öko­nomie statt­gefunden hatten. In ihren Inter­views stell­ten sie Kern­ergeb­nisse und -erkennt­nisse der Dis­kussionen kurz dar:

Kernaspekte des Roundtables „Mobilisierung von Investitionen: Reicht der CO2-Preis aus, um klima­freundliche Kapital­märkte zu schaffen?" am 24. Februar 2022

  • Der CO2-Preis ist das Leit­­ins­trument der Klima­politik. Er ist der Antrieb für die Trans­for­mation der Real­wirt­schaft und zen­trale Voraus­setzung für klima­neutrale Inves­ti­tionen. Un­sicher­heit über die Ent­wick­lung des CO2-Preises er­zeugen Inves­ti­tions­risiken. Auch volatile CO2-Preise wurden von Finanz­insti­tu­tionen als Risiko und Inves­ti­tions­hemmnis genannt. Ebenso unter­strichen Unter­nehmen, diese erhöhten Risiken er­schwerten ihre Trans­for­mation hin zur Klima­neutra­lität. Ein ent­schie­denes Han­deln des Staates wurde wieder­holt einge­fordert, etwa indem die öffent­liche Hand durch Garan­tien oder Differenz­verträge (carbon contracts for difference) einen Teil der Risiken über­nimmt.
     
  • Vermin­derte Risiken senken ins­beson­dere die Kapital- und Inves­ti­tions­kosten. Besonders Tech­no­logien mit hohen Kapital­inten­sitäten würden dabei besonders profi­tieren. Zur Senkung der Kapital­kosten wurde auch die An­passung von Eigen­kapital­anfor­derungen dis­kutiert. Hier­bei sei jedoch Vor­sicht geboten: Statt diese generell ab­zu­senken, sollten Nach­haltig­keits­bewer­tungen durch Ratings ein­geführt werden. Das gerin­gere Risiko nach­hal­tiger Inves­ti­tionen würde über die Ratings ziel­gerich­teter zu gerin­geren Eigen­kapital­anfor­derungen führen.
     
  • Für energie- und emissions­intensive Unter­nehmen sind weniger hohe Kapital­kosten als hohe Input­kosten ent­scheidend. Schnell stei­gende Energie­kosten redu­zieren hier die Spiel­räume, die Um­stellung der eigenen Prozesse hin zu Klima­neutra­lität aus dem bis­herigen Geschäft zu finan­zieren. Aus Sicht dieser Unter­nehmen be­schränkt der aktuelle CO2-Preis die Finanz­mittel für die Trans­formation und gefähr­det ihre Wett­bewerbs­fähigkeit während ihrer Trans­for­mation.

Kernaspekte des Roundtables „Den Blick in die Zukunft wagen: Vorausschauende Berichterstattung als Wegbereiter einer klimaneutralen Wirtschaft?“ am 2. März 2022

  • Die Diskussion hat gezeigt, dass zwar immer mehr Nach­haltig­keits­bericht­er­stattung statt­findet, diese aber oft noch sehr un­ein­heit­lich, nicht veri­fi­zier­bar und teil­weise auch nur quali­tativ und selektiv ist. Studien zeigen einen posi­tiven Effekt von ver­pflich­tender Bericht­er­stattung auf die Emissions­reduk­tion von Unter­nehmen. Die mit einer Offen­legungs­pflicht einher­gehende Ver­ein­heit­lichung von Nach­haltig­keits­bericht­er­stattung könnte ein wert­voller Hebel sein, um auch Unter­nehmen zu er­reichen, die in diesem Bereich bisher weniger gut auf­gestellt sind.
     
  • Immer mehr Unter­nehmen aus Finanz- und Real­wirt­schaft bekennen sich zum Ziel der Klima­neutra­lität, vielen fehlt aber nach wie vor eine Stra­tegie und eine konkrete Vor­stellung davon, welche Risiken, Chancen und Inves­ti­tionen damit einher gehen. Dies liegt auch daran, dass es bisher an ge­eig­neten Sze­narien für den Ein­satz im unter­neh­mens­spezi­fischen Kontext man­gelt und auch die Politik an vielen Stellen daran scheitert, die not­wen­dige Sicher­heit über zukünf­tige Rahmen­bedin­gungen zu ver­mitteln. Die zur Ver­fügung stehen­den Sze­narien, bei­spiels­weise die des Network for Greening the Financial System (NGFS), diffe­ren­zieren nicht aus­reichend nach regio­nalen und sek­to­ralen Gesichts­punkten. Es bedarf eines Bünd­nisses aus staat­lichen und nicht-staatlichen Akteuren, das die Wirt­schaft bei der Aus­ge­staltung unter­nehmens­spezi­fischer Tran­sitions­pläne unter­stützt. Daher ist es wichtig, voraus­schauende Indi­ka­toren der Nach­haltig­keits­bericht­er­stattung zu ver­bessern. Daran an­schließend ergibt sich die Not­wen­digkeit, die Tran­sitions­pläne wäh­rend der Um­setzungs­phase zu veri­fi­zieren.
     
  • Insgesamt birgt eine zukunfts­gerichtete Form der Nach­haltig­keits­bericht­erstattung das Poten­zial, einen viel größeren Teil der Wirt­schaft mit nach­haltigen, etwa an öko­lo­gischen Kri­terien aus­gerich­teten, Finan­zierungs­instru­menten zu erreichen. Dies kommt vor allem Unter­nehmen in den Sek­toren zu Gute, die vor den größ­ten Trans­for­mations­aufgaben stehen, etwa in der Schwer­industrie.

Kernaspekte des Roudntables „Nachhaltigkeit im privaten Portfolio: Ist Transparenz der Schlüssel zu mehr nachhaltigen Investitionsentscheidungen?" am 23. Februar 2022

  • Anleger:innen sind zuneh­mend an nach­haltigen Geld­anlagen inte­ressiert, haben aber oft keine oder nur geringe Kennt­nisse über nach­haltige Geld­anlagen. Die zwar er­wünschte Trans­parenz stellt aller­dings nicht die größte Barriere bei der nach­haltigen Geld­anlage dar, sondern viel­mehr ihre Kom­plexität. Der Zeit­auf­wand bei der Suche nach adä­quaten nach­haltigen Anlage­produkten wird als zu hoch empfunden. Prinzipiell sind ak­tuelle poli­tische An­sätze (z.B. im Rah­men von der Markets in Financial Instruments Directive (MiFID) II, der Offen­legungs­verord­nung, der EU-Taxonomie, oder die Ein­führung von staat­lichen Nach­haltig­keits­labels) zur Über­windung dieser Hürden geeignet.
     
  • Die von der MiFID II vor­gege­bene Frage nach Nach­haltig­keits­präfe­renzen der An­leger:innen bei der An­lage­beratung zu nach­haltigen Geld­anlagen hat aus Sicht der Beratungs­praxis noch viele Bau­stellen: Die Imple­men­tierung müsse aus einem Guss er­folgen hin­sichtlich der zeit­lichen, aber auch der inhalt­lichen Ab­stimmung der Maß­nahmen. Wie die Dis­kussion zur EU-Taxonomie verdeut­liche, bestehe kein einheit­liches Ver­ständnis von Nach­haltig­keit, auch nicht auf Seiten der Anleger:innen. Der ent­stehende Zu­wachs an Kom­ple­xität im ohne­hin bereits auf­wän­digen Be­ratungs­prozess könne hier zu einem grund­sätz­lichen Ab­raten von nach­hal­tigen Pro­dukten führen. Auch seien weder Berater:innen noch EDV derzeit in der Lage, die vor­gesehenen Maß­nahmen umzu­setzen.
     
  • Mindeststandards und Labels könnten ins­beson­dere eine Hilfe für An­leger:innen dar­stellen, die keine Anlage­beratung bei der Bank wahr­nehmen, da sie so­wohl die Trans­parenz als auch das Ver­trauen der An­leger:innen er­höhen. Tat­säch­lich haben An­leger:innen starke Prä­fe­renzen für Labels, während der Kenntnis­stand über deren Inhalt eher gering ist. Aus Gründen des Ver­braucher­schutzes sei vor blindem Ver­trauen in Nach­haltig­keits­label zu warnen. Es bestehe die Gefahr, dass Anleger:innen diese mit anderen finan­ziellen Aspekten, wie einem gerin­geren Risiko von gelabelten Produkten, ver­knüpfen. Wie im Hinter­grund­papier be­schrieben, könnten Anleger:innen solche Label auch als Heuristiken ver­wenden, falls der Anlage­prozess zu komplex ist – dabei jedoch andere Anlage­ziele und wichtige Aspekte bei der Geld­anlage (wie Gebühren) außer Acht lassen.
     
  • Zusammen­gefasst zeigt sich: Trans­parenz ist wichtig, muss aber sinn­voll ge­staltet werden.  Nicht wün­schens­wert sind zu viele und kom­plexe Infor­ma­tionen, die sowohl die Beratungs- als auch Nachfrage­seite ver­wirren. Wichtiger ist zunächst eine Er­höhung der Kennt­nisse über nach­hal­tigen Geld­anlagen, die so­ge­nannte sustainable financial literacy, so­wohl bei Anleger:innen als auch bei Berater:innen.

Panel-Diskussion: Was kann der Finanzsektor fürs Klima leisten?

In der ab­schlie­ßenden Panel-Diskussion trafen die beiden Keynote-Sprecher:innen Bjarne Steffen und Kristina Jeromin auf jeweils eine Stimme aus dem Finanz­sektor und aus der ver­ar­bei­tenden Industrie. Wiebke Merbeth, Nach­haltig­keits­chefin bei der Ka­pital­verwaltung BayernInvest, wies zu Beginn darauf hin, dass be­ste­hende poli­tische Un­sicher­heiten einen noch stär­keren Dialog zwi­schen allen betei­ligten Ak­teuren er­for­dern. Auch Christoph Reißfelder, Experte für Energie- und Klima­politik beim Chemie­unter­nehmen Covestro, sieht in der zeit­gleichen Ver­än­derung poli­tischer und makro­ökono­mischer Rahmen­bedin­gungen eine sehr große Heraus­forderung für die Er­stellung lang­fristiger Inves­titions­pläne. Hier­bei sieht er eine enge Ver­knüp­fung zwischen Unter­nehmen der Finanz- und Real­wirtschaft, die ein beid­seitiges Ver­trauen in mögliche Trans­formations­pfade voraus­setzt.

Unter­stützung von staat­licher Seite, etwa in Form von Public-Private-Partnerships, können hier ein wert­volles Ins­trument sein, um Fort­schritte in Sachen Nach­haltig­keit zu er­zielen. Ein Bei­spiel hier­für sei die Eta­blierung zirku­lärer Produktions­abläufe, deren Kosten nach wie vor sehr hoch sind. Unter­stützung erhielt er dabei von Bjarne Steffen, nach dessen Ein­schätzung die größte Heraus­forderung in der Trans­for­mation von Indus­trien liegt, für die noch keine wett­bewerbs­fähigen alter­nativen Prozesse bzw. Tech­no­logien bereit stehen. Dabei sei auch ein Kompetenz­aufbau inner­halb der Finanz­branche not­wendig, um diese industrie­spezi­fischen Heraus­forderungen adä­quat lösen zu können. Alle Panelist:innen zeigten sich hin­sichtlich der Erfolgs­aussichten der not­wen­digen wirt­schaft­lichen Trans­for­mationen opti­mis­tisch. Auch wenn dieser Wandel manchmal un­an­genehm und un­bequem sei, wähnen sie die Akteure Ihrer Branchen auf dem richtigen Weg.
 


Programm

Hier finden Sie eine PDF-Version des Programms zum 11. Forum Klimaökonomie.


Hintergrundpapier

Das festgelegte Ziel der Klima­neutralität erfordert eine rasche De­karbo­ni­sierung der Wirt­schaft. Sowohl in Deutsch­land als auch in der Euro­päi­schen Union wird dem Finanz­sektor eine immer größere Rolle bei der Erreichung dieses Ziels zugeschrieben. Dieses Hinter­grund­papier bietet einen Über­blick zu den mit dem Begriff „Sustainable Finance“ verknüpften Handlungs­feldern, Akteuren und Maß­nahmen. Genauer wird betrachtet, welche Hebel steuern, wie Inves­toren bzw. Kapital­märkte über Inves­ti­tionen in emissions­arme Akti­vi­täten bzw. ihren Rückzug aus emissions­intensiven Akti­vi­täten entscheiden, und  welche Rahmen­bedingungen notwendig sind, um unter­schied­lichen Investorengruppen gut informierte Ent­schei­dungen zu ermög­lichen.

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