Wirtschaftspolitischer Beitrag

Wie Reeder auf Piraten reagieren

Autoren

  • Alexander Sandkamp
  • Vincent Stamer
Erscheinungsdatum

Mithilfe von Zolldaten und Positionsdaten von Containerschiffen lassen sich die Folgen der Piraterie für den internationalen Seeverkehr untersuchen.

Die Zeiten, in denen somalische Piraten die bekannteste Bedrohung für die internationale Seeschifffahrt darstellten, scheinen der Vergangenheit anzugehören. Mittlerweile bestehen die größten Herausforderungen für die Schifffahrt in chinesischen Lockdowns, globalen Schiffsstaus und der pandemiebedingt hohen Nachfrage nach Gütern, die Kapazitäten der Branche ausreizt. Die Piraterie ist damit zwar aus den Schlagzeilen verschwunden, nicht aber aus dem internationalen Seehandel. Allein im Jahr 2020 zählte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) 229 Vorfälle, bei denen mehr als einhundert Menschen als Geiseln genommen wurden. Im Vergleich zum Vorjahr haben die Angriffe damit sogar um 20 Prozent zugenommen. Auch die Pandemie trägt hier vermutlich eine Teilschuld, da viele Menschen ihre Arbeit verloren haben und damit in die Arme krimineller Organisationen getrieben wurden, um sich und ihre Familien zu ernähren. Nur trifft die Piraterie nicht mehr den Golf von Aden vor Somalia, sondern die Küsten von Westafrika, das südchinesische Meer und die Straße von Malakka. Letztere gehören aber genau wie der Golf von Aden zur wichtigsten Seehandelsroute zwischen Europa und Asien.

Die Reedereien reagieren auf die Bedrohung durch Piraterie, indem sie teils lange Umwege in Kauf nehmen oder ihre Schiffe mit bewaffnetem Wachpersonal, Elektrozäunen, Stacheldraht, Wasserwerfern und anderen Verteidigungsmechanismen ausstatten. Auch höhere Versicherungsprämien, Lösegeldzahlungen und die Notwendigkeit erhöhter Militärpräsenz belasten den Schiffsverkehr. Die Gesamtkosten durch Piraterie sind schwer zu beziffern, Schätzungen aus dem Jahr 2010 gehen von jährlichen Kosten in Höhe von 7 bis 12 Milliarden Dollar aus.

In einem kürzlich unter Beteiligung des Kiel Instituts für Weltwirtschaft  (IfW) erschienenen Forschungspapier wurden unter Verwendung chinesischer Zolldaten und Containerschiffspositionsdaten die Auswirkungen der Piraterie auf das Verhalten von chinesischen Exporteuren, die Seeschifffahrt und den internationalen Handel insgesamt untersucht. Die Erkenntnisse sind nicht nur für die Piraterie relevant, sondern geben auch Aufschluss darüber, wie Schiffe und Unternehmen auf ähnliche Bedrohungen wie Terroranschläge oder Spannungen zwischen Regierungen reagieren würden. Es zeigen sich drei wesentliche Ergebnisse.

Erstens reagieren chinesische Exporteure auf die Kosten durch Piraterie, indem sie ihre Waren weniger häufig per Schiff versenden. Eine Zunahme von Piratenangriffen auf den Routen zwischen Asien und Europa reduziert also die Wahrscheinlichkeit, dass ein Exporteur ein Produkt auf dem Seeweg verschifft. Stattdessen wird das betroffene Produkt mit höherer Wahrscheinlichkeit per Luftfracht transportiert. Der Umstieg von See- auf Lufttransport im Exportverhalten hält über mehrere Monate an. Betroffen sind vor allem kleinere Unternehmen, die vermutlich stärker unter steigenden Versicherungsprämien leiden.

Zweitens reagieren auch Schifffahrtsunternehmen auf Piratenangriffe, indem sie besonders stark betroffene Routen vermeiden. Mithilfe von Satellitendaten wurde gezeigt, dass die Anzahl der Containerschiffspositionen in betroffenen Seeregionen aufgrund von Piraterie um durchschnittlich 12 Prozent niedriger ist. Ob die Schiffe lediglich Umwege fahren oder aber gar nicht erst auslaufen, lässt sich nicht eindeutig ableiten. Darüber hinaus gibt es erste Hinweise darauf, dass Schiffe, die die betroffenen Regionen passieren, ihre Fahrgeschwindigkeit erhöhen, da dies das Entermanöver erschwert und die Verweildauer in einem Gefahrengebiet reduziert. Sowohl gefahrene Umwege als auch höhere Fahrtgeschwindigkeiten treiben die Transportkosten, indem sie die Reisezeit und den Treibstoffverbrauch erhöhen. Dies dürfte sich zumindest zum Teil auch in steigenden Verbraucherpreisen widerspiegeln.

Wenig überraschend ist daher auch die dritte Erkenntnis: Piraterie reduziert das Handelsvolumen entlang betroffener Routen. Konkret verringert ein zusätzlicher Piratenangriff die chinesischen Exporte in Länder, die mit der betroffenen Route erreicht werden, um 0,1 Prozent. Für den Handel mit Europa bedeutet dies, dass die chinesischen Ausfuhren um 2,3 Prozent niedriger sind als in einer Welt ohne Piraterie. Dieser Effekt ist ausschließlich auf Anpassungen im Seehandel zurückzuführen und kann durch die beobachtete Zunahme des Luftverkehrs nicht vollständig kompensiert werden.

Piraterie beeinflusst den internationalen Handel also entlang mehrerer Dimensionen: Exporteure wechseln vom Schiff zum Flugzeug, Containerschiffe meiden Regionen mit Piratenaktivität und erhöhen die Reisegeschwindigkeit, was beides die Transportkosten erhöht. Insgesamt führt Piraterie daher zu einem Rückgang der chinesischen Exporte auf den betroffenen Schifffahrtsrouten. Die vermehrte Nutzung des Flugzeugs, die erhöhte Reisegeschwindigkeit von Schiffen sowie das Inkaufnehmen von Umwegen konterkarieren zudem die Bemühungen, die Treibhausgasemissionen des Transportsektors zu senken.

Piraterie auf See ist und bleibt damit ein Problem, welches von der internationalen Gemeinschaft ernst genommen werden muss. Die verstärkte Marinepräsenz in den betroffenen Regionen vor der somalischen Küste war dabei ein richtiger Schritt, der sicherlich zum Nachlassen der Piraterie seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2011 beigetragen hat. Langfristig kann jedoch nur eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den betroffenen Ländern vermeiden, dass Menschen zu kriminellen Aktivitäten greifen müssen, um sich und ihre Familien zu ernähren.

(Der Beitrag erschien in leicht geänderter Fassung am 15.08.2022 als Gastkommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.)


Coverfoto: © Venera - stock.abobe.com

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Kiel Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft wider.

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