Wirtschaftspolitischer Beitrag

Scheindebatte: Währung ohne Bargeld

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Autor

  • Stefan Kooths
Erscheinungsdatum

Mit einer Abschaffung des Bargelds müsste sich das Geldsystem fundamental ändern.

Experte IfW Kiel

Niemand hat die Absicht, das Bargeld abzuschaffen! Solche Dementis mag man glauben oder nicht. Unabhängig von politischen Bestrebungen gibt es namhafte Stimmen aus der Wissenschaft, die einer Welt ohne Bargeld das Wort reden. Grund genug, sich mit den Konsequenzen auseinanderzusetzen. Diese könnten allerdings andere sein, als es den Protagonisten einer „cashless society“ vorschwebt.

Beim Für und Wider in der Bargelddebatte geht es bislang um Zahlungsüberwachung und Negativzinsen. In beiden Fällen dürften die Bargeldbefürworter richtig liegen. Insbesondere ist die Vorstellung, Wachstumsschwächen mit einem Schwundgeld Gesell’scher Prägung aus der Welt schaffen zu wollen, abenteuerlich. Die Argumente hierzu sind hinlänglich ausgetauscht. Übersehen wird aber bislang, dass die Bargeldabschaffung eine fundamentale Transformation des monetären Systems erfordert, die weit über praktische Bezahlformen und Zinspolitik hinausginge.

Banknoten sind im derzeitigen Währungssystem nicht irgendeine Geldform, sondern sie nehmen darin eine Sonderstellung ein. Im Paragraph 14 des Bundesbankgesetzes heißt es unmissverständlich: „Auf Euro lautende Banknoten sind das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel.“ Das bedeutet ganz konkret: Nur Papiergeld, nicht aber das von den Geschäftsbanken geschöpfte und insolvenzgefährdete Giralgeld, muss jedermann als Bezahlung (also zur Tilgung von Schuldverhältnissen) akzeptieren. Ökonomisch entscheidend ist dabei nicht das bedruckte Papier, sondern die Tatsache, dass Banknoten umlauffähiges Zentralbankgeld ohne Garantielimit darstellen.
Ohne Bargeld käme das Ende dieses Zahlungsmittels. Das wirft die Frage auf, was an seine Stelle träte. Man wollte wohl kaum das bestehende Giralgeld zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklären. Geschäftsbanken genössen sonst das Privileg, ein hoheitliches Aktivum zu kreieren – unvorstellbar in einer Marktwirtschaft. Bleibt nur, dass die „Notenbank“ selbst umlauffähiges Giralgeld bereitstellt. Diese Einlagen wären Zentralbankgeld in Händen der Nichtbanken, das die Funktion des Bargeldes übernimmt. Aber nicht nur das: Von den Zentralbankkonten für jedermann ginge eine enorme Sogwirkung aus. Die Inhaber von bisherigem Giralgeld (Sichteinlagen bei Geschäftsbanken) hätten allen Grund, ihre Guthaben auf die neuen Zentralbankkonten zu verlagern. Das elektronische Zentralbankgeld wäre insolvenzsicher wie Bargeld und so praktisch wie Giralgeld – mithin das Beste aus beiden Welten. So bildete sich von selbst ein Vollgeldsystem heraus: Geldmenge und monetäre Basis werden eins.

Der dann einsetzende Zentralbankgeldbedarf (im Euroraum wären es rund 9.000 Milliarden Euro) müsste bedient werden. Denkbar wäre eine Variante des 1933 entwickelten Chicago-Plans, wonach die Zentralbank den Geschäftsbanken die Aktiva abkauft, mit denen bislang ihr Giralgeld gedeckt ist. Damit würden zwar Risiken in erheblichem Umfang sozialisiert, allerdings könnte die dann erreichte Volldeckung die krisenprovozierende Elastizität in der Geld- und Kreditschöpfung merklich eindämmen. Der problematische Sozialisierungseffekt wäre einmalig, die Stabilisierung des monetären Systems hingegen dauerhaft, sofern die Zentralbank die von ihr fortan vollständig kontrollierte Geldmenge nicht ihrerseits neuerlich massiv anschwellen ließe. In diesem System wären Negativzinsen technisch keine Grenze gesetzt. Schwundgeld hat sich aber im freien Währungswettbewerb noch nie durchgesetzt, weil die Menschen seit jeher nach einem stabilen Tauschmittel streben. Daher müsste die neue Vollgeldordnung ein kategorisches Negativzinsverbot beinhalten. Auch sollte das Verbot privater Geldemission fallen – Währungswettbewerb sorgte so für mehr monetäre Disziplin. Die praktischen Möglichkeiten hierzu sind heute ganz andere als zu Hayek’s Zeiten. Die virtuellen Geldbörsen tragen wir mit unseren Smartphones längst mit uns herum, und ein Währungswechsel ist dort nur einen Klick entfernt.

Fazit: Eine bargeldlose Welt bedingt einen Totalumbau des Geldsystems. Mit den Banknoten verschwände das bisherige gesetzliche Zahlungsmittel, sein Ersatz läuft auf ein Vollgeldsystem hinaus. Dies wäre der Finanzstabilität durchaus förderlich, sofern nach dieser radikalen Konsolidierung der Geldschöpfung auf Experimente wie übermäßige Geldmengenexpansion und Negativzinsen verzichtet würde. Dies dürfte indes kaum diejenige Geldordnung sein, die denjenigen vorschwebt, die heute so vehement für die Abschaffung des Bargeldes plädieren.

(Geringfügig veränderte Fassung eines Beitrags für die Rubrik „Denkfabrik“, der in der Wirtschaftswoche vom 11. März 2016 unter dem Titel „Schein oder nicht Schein“ erschienen ist.)