Marktwirtschaftliche Politik statt politisierte Märkte – Wider den grassierenden Neointerventionismus
Mindestlöhne, Mietpreisbremsen, Strompreisgarantien, … – Versuche, bestimmte Marktergebnisse ungeachtet ihrer Ursachen durch politischen Beschluss zu ändern, liegen im Trend. Eine solche Politik mag kurzfristig populär sein, die betroffenen Volkswirtschaften werden dadurch indes massiv beschädigt. Marktprozesse sind kein Selbstzweck, sondern gerade deswegen wichtig, weil sie als ergebnisoffenes Entdeckungsverfahren diejenigen Lösungen zu Tage fördern, die sich an zentraler Stelle niemals bestimmen lassen. Über die massiven Nachteile staatlicher Preisfestsetzungen wird umso weniger diskutiert, je mehr diese als normales Gestaltungsinstrument akzeptiert werden – genau das können sie aber in einer marktwirtschaftlichen Ordnung niemals sein.
Preise sind das Informations- und Koordinationssystem einer Marktwirtschaft. Sie spiegeln Knappheiten wider, die nicht dadurch verschwinden, dass Preise per Mehrheits- oder Bürokratenentscheidung manipuliert werden – im Gegenteil. Wer freie Marktpreise außer Kraft setzt, muss die Produktions- und Verteilungsentscheidungen nach anderen Kriterien treffen. Meist ist das dann eine Mischung aus Zwang, Zufall und Privilegien („Rent Seeking“) – eine Erkenntnis, um die sich die Kritiker der Marktlösung gerne herumdrücken. Informationen über die Dringlichkeit von Gütern, wie sie die in den Preissignalen ausgedrückte Zahlungsbereitschaft zum Ausdruck bringen, fehlen dann. Im Ergebnis werden Ressourcen verschwendet und die gesamtwirtschaftliche Leistung sinkt.
Man kann in einem Markt nicht gleichzeitig Preise, Mengen und Qualitäten gesetzlich verordnen. Manipuliert man die Preise, so reagieren die Mengen oder Qualitäten und umgekehrt, wobei sich die jeweils kürzere Marktseite durchsetzt (Höchstpreise verknappen das Angebot und Mindestpreise senken die Nachfrage). Das zugrundeliegende ökonomische Problem wird dadurch nicht kleiner, sondern größer. Damit wachsen aber auch die Kräfte, die wieder zu dem zuvor bestehenden Gleichgewicht hindrängen – Höchstpreise werden also tendenziell überboten und Mindestpreise unterlaufen. Und zwar weil die Beteiligten auf beiden Marktseiten einen Vorteil davon haben. Wird aber marktwirtschaftliche Koordination staatlicherseits verboten, so drängen die Marktkräfte die Akteure in die Schattenwirtschaft. Damit nagt der Interventionismus auch an den ethischen Grundlagen der Marktwirtschaft. Wenn man kriminell werden muss, um in einem Markt für legale Leistungen den gegenseitigen Tauschvorteil wahrzunehmen, dann unterhöhlt eine solche Drangsalierung die Akzeptanz der Rechtsordnung insgesamt.
Marktmanipulationen führen auch nicht zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Da nur Symptome übertüncht werden, laufen derartige Eingriffe systematisch darauf hinaus, einen Teil der Zielgruppe zu begünstigen, indem ein anderer Teil derselben Gruppe benachteiligt wird. Ökonomen nennen das ein Insider-Outsider-Problem.
Beispiel Mietpreisbremse: Zieht man im Wohnungsmarkt eine wirksame Preisobergrenze ein, so driften Angebot und Nachfrage auseinander. Die Knappheit, die durch die zuvor hohen Marktpreise signalisiert wurde, wird dadurch nur noch größer. Um dem zu begegnen, beginnt eine aussichtslose Interventionsspirale, angefangen von Bewirtschaftungsschranken (z. B. keine Vermietung an Feriengäste), Sanierungsverboten bis hin zu Fehlbelegungsabgaben. Am Ende werden durch eine Mietpreisbremse nur diejenigen begünstigt, die das Glück hatten, eine künstlich verbilligte Wohnung zu ergattern, was meist auf die Bestandsmieter zutrifft. Selbst diese profitieren nur solange, bis die Wohnungen sanierungsbedürftig werden. Das Nachsehen haben die Bauwirtschaft und alle übrigen Akteure, die den Bestand knappheitsgerecht bewirtschaften wollen. Mangels Anreizen für den Neubau wird im Ergebnis nur weiter der Mangel verwaltet.
Beispiel Mindestlohn: Der Preis der Arbeit bestimmt sich im Wesentlichen nach Angebot und Nachfrage. Hinter der Nachfrage am Arbeitsmarkt stehen keine dunklen Mächte zur Ausbeutung der Arbeitnehmer, sondern – vermittelt über zahlreiche Zwischenproduktionsstufen – die Wertschätzung der Konsumenten für das, was die Arbeitsleistung des Einzelnen an zusätzlicher Produktion ermöglicht. Wird viel von einer bestimmten Tätigkeit angeboten, so drückt das den Lohn. Das hat nichts mit Marktmacht der Arbeitgeber zu tun, sondern ist ein normaler Prozess zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Ein staatlich festgelegter Mindestlohn ist nur auf den ersten Blick eine Lösung, um Geringverdienern ein bestimmtes Einkommensniveau zu ermöglichen. Tatsächlich führt ein Mindestlohn nur zu weiteren Insider-Outsider-Problemen. Diejenigen, die auch bei höheren Löhnen noch einen Arbeitsplatz haben, profitieren. Sie profitieren aber nur, weil andere Niedrigqualifizierte ihren Arbeitsplatz verlieren. Ein Mindestlohn wirkt nur, wenn dadurch das Angebot an einfacher Arbeit verknappt wird, so dass die Wertschätzung für das verbliebene Arbeitsvolumen steigt. Die Begünstigten sieht man, alle anderen verschwinden in höheren Arbeitslosenzahlen. Meist wird dann der Ruf nach staatlichen Beschäftigungsprogrammen laut – so kommt auch hier eine Interventionsspirale in Gang.
Macht statt Markt, Willkür statt Wettbewerb – darauf läuft die Politik des Interventionismus hinaus. Es werden künstliche Anreize geschaffen, eigene Anstrengungen auf den Umverteilungskampf zu richten, statt sich am freien Leistungswettbewerb zu beteiligen. Wirtschafts- und Sozialpolitik mit dem Anspruch, das Leben der Menschen im Allgemeinen zu verbessern, sieht anders aus. Sozialpolitische Ziele erreicht man nicht mit Eingriffen in das Preissystem. Im Strudel des Interventionismus gehen solche Einsichten regelmäßig unter. Selbst Ökonomen werden zuweilen von dieser Welle erfasst und mancher erweckt den Eindruck, das jeweils „richtige“ Marktergebnis ausrechnen zu können. Bislang sind alle Zentralverwaltungswirtschaften ausnahmslos gescheitert (mit Ansage übrigens, wenn man bedenkt, dass Ludwig von Mises das Unmöglichkeitstheorem der sozialistischen Wirtschaftsrechnung bereits im Jahr 1922 vorgelegt hatte). Der Grund für dieses Scheitern lag nie im Mangel an Wissenschaftlern in der zentralen Planbehörde, sondern am nicht-zentralisierbaren Wissen über den effizienten Ressourceneinsatz in einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Das gilt bis heute. Wissenschaftliche Politikberatung ist nützlich, um bei konkretem Marktversagen aufzuzeigen, wie sich Präferenzen über Zahlungsbereitschaften dennoch zur Geltung bringen lassen und Innovationsanreize gestärkt werden können. Die Wirtschaftsforschung darf sich aber nicht zur Rechenmaschine für zu kurz gedachte Eingriffe machen lassen. Vielmehr steht sie in der Verantwortung, die Öffentlichkeit über die Folgen einer gegen die Marktmechanismen gerichteten Politik aufzuklären. Genau hier liegt das zentrale Problem von staatlichen Preisfestsetzungen: Ein untaugliches Instrument kann man nicht optimal dosieren.
(Leicht überarbeitete Version eines Beitrags in der Rubrik „Denkfabrik“ der Wirtschaftswoche vom 30. Juni 2014 unter dem Titel „Zwang und Zufall“)