Wirtschaftspolitischer Beitrag

Grundlinien rationaler Klimapolitik

Cover Kiel Focus Wind turbine

Autoren

  • Stefan Kooths
  • Kai Carstensen
Erscheinungsdatum

Stefan Kooths und Kai Carstensen über die Prämissen der Klimadiskussion

Experte IfW Kiel

Eine rationale Klimapolitik fußt – genau wie eine rationale Wirtschaftspolitik – auf Daten und wissenschaftlichen Modellen, die naturgemäß unvollkommen sind und daher fortlaufend überprüft werden müssen. Das gilt insbesondere dann, wenn politische Eingriffe (oder ihre Verhinderung) maßgeblich mit Simulationsrechnungen begründet werden. Es wäre fahrlässig, gerade in einem so wichtigen Feld wie der Klimapolitik die Kultur des Widerspruchs einzuengen, von der sowohl die Wissenschaft als auch die Demokratie leben. Gerade wenn man Politik auf wissenschaftliche Evidenz stützen möchte, sollte methodische Kritik nicht abgelehnt, sondern begrüßt werden – nur so lässt sich die Ergebnisoffenheit des Diskurses wahren, aus der die Wissenschaft letztlich ihre Autorität zieht. Oder, um es mit dem US-amerikanischen Soziologen Robert Merton zu sagen: Wissenschaft ist organisierte Skepsis.

Handeln unter Unsicherheit – Risikobereitschaft als politische Kategorie

Daraus folgt nicht, dass politische Tatenlosigkeit allein mit wissenschaftlichem Zweifel begründet werden kann – dann kämen wir nie zum Handeln. Es darf aber nicht übersehen werden, dass menschliches Tun zwangsläufig spekulativ ist, denn es basiert auf unvollkommenem Wissen und betrifft eine unsichere Zukunft. Die Beurteilung von Handlungsoptionen hängt damit immer auch von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der ein Erfolg des Handelns erwartet wird. Die damit verbundene gesellschaftliche Risikobereitschaft muss im politischen Raum geklärt werden, die Wissenschaft kann solche Fragen nicht objektiv entscheiden. Es tut der Debatte nicht gut, wenn politische Präferenzen die Deutungshoheit über wissenschaftliche Erkenntnisse reklamieren und so Erkenntnisse durch Bekenntnisse ersetzt werden. Denn gute Absichten allein reichen nicht aus. Damit sie auch zu guten Ergebnissen führen, ist insbesondere kritisch zu hinterfragen, ob bestimmte Klimaschutzmaßnahmen tatsächlich dem Vorhaben dienen, den nachfolgenden Generationen ein Leben in Würde zu ermöglichen, oder ob sie vielmehr darauf abzielen, der gegenwärtigen Generation ein reines Gewissen zu verschaffen.

Das Weltklima kann nur in dem Maße zum Ziel wirtschaftlichen Handelns werden, wie der Mensch die weitere Erderwärmung aufzuhalten in der Lage ist. Andernfalls ist das Klima Teil der Umweltbedingungen, an die wir uns wohl oder übel anpassen müssen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Mensch für die bereits eingetretene Erwärmung verantwortlich ist, sondern darauf, ob er eine zukünftige Erwärmung verhindern kann. Das eine impliziert nicht das andere. Die Bedingung ist, dass die Menschen Wege finden, die Mittel, die ihnen prinzipiell zur Verfügung stehen, auch tatsächlich einzusetzen. Der Kölner Ökonom Axel Ockenfels hat dies zu Recht als das größte Koordinationsproblem der Menschheitsgeschichte bezeichnet. Ob es gelöst werden kann, ist nicht ausgemacht.

Vermeidungs- und Anpassungskosten in den Blick nehmen

Eine verantwortungsvolle Klimapolitik darf ihren Ausgangspunkt daher nicht erst bei Maßnahmen zur Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen nehmen, weil dies den Handlungsspielraum zu sehr einschränkt. Vielmehr besteht die grundsätzliche Alternative darin, den Temperaturanstieg aufzuhalten oder sich an höhere Temperaturen anzupassen. Der Begriff der „Klimarettung“ ist insofern irreführend, als er den Eindruck entstehen lässt, es gehe um eine Alles-oder-nichts-Entscheidung, mit der das Klima – und mit ihm die Menschheit – entweder gerettet wird oder untergeht.

Tatsächlich gibt es ein Kontinuum von Möglichkeiten, wie Klimapolitik gestaltet werden kann. Jeder Zielpunkt im Temperaturspektrum geht dabei mit einer spezifischen Kombination aus Vermeidung und Anpassung einher. Die Kosten der Vermeidung und der Anpassung – gemeint sind in beiden Fällen Nettogrößen, also abzüglich möglicher positiver Nebeneffekte – müssen dementsprechend gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen werden. Denn auch in der Klimapolitik kann jeder Euro nur einmal ausgegeben werden. Somit ist jede Entscheidung für eine Vermeidungsmaßnahme immer auch eine Entscheidung gegen eine Anpassungsmaßnahme und umgekehrt. Liefe etwa eine bestimmte Vermeidungsstrategie erkennbar ins Leere, wäre ihre Befürwortung widersinnig.

Die Bewertung der verschiedenen Kostenkomponenten ist äußerst schwierig. Das aber macht sie nicht weniger wichtig. Gerade weil beide Varianten stark in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen, sind sie so schwer zu beziffern. Die optimale Klimapolitik kann daher auch nicht allein naturwissenschaftlich begründet werden, sondern muss Alternativen bewerten – und bewerten kann nur der Mensch.

Weil die jeweiligen Kosten für das Abwägen zwischen Anpassung und Vermeidung zentral sind, sollten in beiden Fällen die jeweils günstigsten Maßnahmen für einen Vergleich zum Zuge kommen. Wählt man etwa für die Vermeidungsstrategie unnötig aufwendige Mittel, verschiebt sich das Kalkül unweigerlich in Richtung Anpassungsstrategie.

Bepreisung von Emissionen über Steuern oder Zertifikate

Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dass niemand die günstigsten Vermeidungswege kennt. Diese müssen daher erst über Marktprozesse entdeckt werden. Die dringend benötigten Informations- und Anreizaufgaben übernehmen dabei Preissignale für sämtliche Aktivitäten, die das Klima beeinflussen. Im Falle von CO2-Emissionen kann ein solcher Mechanismus grundsätzlich sowohl über eine Steuer als auch über Zertifikate erreicht werden. Weil weder der Steuersatz noch die Zertifikatemenge unveränderlich sind, kommt in beiden Verfahren das Abwägen zwischen Anpassung und Vermeidung zum Ausdruck. Die Steuerlösung versucht die Grenzvermeidungskosten abzuschätzen, also den marginalen Wohlstandsverzicht, den man für eine verträgliche Gesamtemission zu tragen bereit ist. Die Zertifikatelösung definiert hingegen die akzeptable Gesamtemission und überlässt die Bepreisung dem Markt.

Je mehr man von einer naturwissenschaftlich definierbaren Obergrenze für den anthropogenen Ausstoß von CO2 überzeugt ist, desto stärker sollte man zur Zertifikatelösung greifen. Diese sorgt dafür, dass die Emissionsziele umgesetzt werden, und zwar „koste es, was es wolle“. Genau hier liegt der Knackpunkt: ambitionierte Klimaziele könnten schnell sehr teuer werden, erhebliche Preisschwankungen auslösen und Deutschland in eine selbsterzeugte Anpassungsrezession stürzen, deren Dauer und politische Konsequenzen niemand vorhersagen kann.

Ernsthafte Klimapolitik erfordert Kostenehrlichkeit

Die Bundesregierung hat darauf mit einem Kompromiss reagiert. Bis 2025 ruft sie feste Zertifikatspreise anstelle einer Mengengrenze auf. In dieser Zeit wirken die Zertifikate wie eine Steuer – grundsätzlich keine schlechte Lösung, um für eine Übergangszeit Planungssicherheit herzustellen. Dabei ist der Zertifikatspreis anfangs sehr niedrig und soll auch nur in kleinen Schritten angehoben werden. Im Zielkonflikt zwischen (heutiger) wirtschaftlicher Prosperität und schneller CO2-Reduktion neigt die Bundesregierung also offenbar ersterem zu. Wer eine ambitioniertere Klimapolitik favorisiert, mag dies kritisieren, sollte jedoch auch offen kommunizieren, dass die wirtschaftlichen „Opfer“ im kommenden Jahrzehnt entsprechend größer ausfallen würden.

Denn eines ist klar: Klimapolitische Maßnahmen werden für die gegenwärtige Generation die verfügbare Verteilungsmasse verkleinern – eine Umverteilungsdividende werfen sie heute keinesfalls ab. Fossile Brennstoffe sind für die Menschheit attraktiv, weil sie als Energiequelle leicht verfügbar sind. Wären andere Energiequellen günstiger zu haben, wären sie längst ohne politische Eingriffe erschlossen worden. Wird nun die Nutzung fossiler Brennstoffe eingeschränkt, geht damit zunächst eine Wohlstandseinbuße einher, denn positive Klimaeffekte sind lediglich bei erfolgreicher Politik und auch dann nur für zukünftige Generationen zu erwarten. Auch wenn das staatliche Umverteilungssystem mit Blick auf die Zusatzbelastung durch CO2-Preise angepasst würde, so stünde unter dem Strich doch ein Wohlstandsverzicht der heutigen Generation. Das ist kein Argument gegen eine verantwortungsvolle Klimapolitik, die sich ja gerade aus einer Zukunftsperspektive ableitet, aber eine Mahnung zur Ehrlichkeit, ohne die die aktuelle politische Unterstützung rasch bröckeln könnte.

Über die nationalen Grenzen hinausdenken

Die Dimension des Problems zeigt sich besonders klar im internationalen Kontext. Deutschland verursacht derzeit weniger als 2,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen, während die Länder Afrikas und Asiens zusammen auf deutlich über 50 Prozent kommen – Länder also, die weder die Lasten der CO2-Vermeidung noch die Kosten einer Anpassung leicht schultern können und im Zweifel wohl kaum bereit sein werden, ihren wirtschaftlichen Aufholprozess merklich zu verlangsamen. Ob die im Pariser Klimaabkommen vorgesehene technische und finanzielle Unterstützung ausreicht, steht in den Sternen. Es könnte also teuer werden für uns, wenn wir es ernst meinen und nicht nur vor unserer deutschen Haustür kehren.

Gerade im globalen Maßstab wäre klimapolitisch dort anzusetzen, wo die Grenzvermeidungskosten am geringsten sind. Das bedeutet nicht, dass wir die Vermeidungskosten auf andere abwälzen, sondern dass wir unsere Mittel zielgenauer einsetzen. Das kann auch jenseits unserer Grenzen sein, etwa als Kompensation für den Fortbestand der tropischen Regenwälder an diejenigen, in deren Hoheitsgebiet sie liegen (Coase-Lösung).

Um in der Klimapolitik eine Vorbildfunktion einzunehmen, reicht es nicht, die Verpflichtungen aus den Klimaabkommen einzuhalten. Nachahmer werden sich – wenn überhaupt – nur finden, wenn die Umsetzung kostenminimal geschieht. Je größer die Wohlstandseinbußen, desto unattraktiver wird das Vorbild. Die Energiewende sollte hier ein warnendes Beispiel sein: Ein Pionier, dessen stabile Stromversorgung davon abhängt, dass die Nachbarn den Weg nicht mitgehen, reizt nicht zur Nachahmung an.

Marktmechanismen statt kleinteiliger Regulierung

Umso wichtiger ist es für die mittel- und langfristige Akzeptanz der Klimapolitik, sich darauf zu beschränken, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen und ansonsten konsequent das erfolgreiche marktwirtschaftliche System für Innovation und Wohlstandsmehrung zu nutzen. Die vergangenen 200 Jahre haben gezeigt, dass marktwirtschaftliche Entdeckungsprozesse in der Lage sind, vormals Undenkbares möglich zu machen. Warum sollte das bei einer klimaschonenden Energieversorgung und Lebensmittelerzeugung nicht auch gelingen? Die Erfahrung lehrt zudem, dass Menschen eher bereit sind, auf einen Teil ihres Wohlstandszuwachses zu verzichten, als tatsächlich Einbußen hinzunehmen.

Zentral ist zudem, das neue Zertifikatesystem auch wirken zu lassen. Jeder weitere Eingriff in Form von Vorschriften, Verboten und Subventionen ist spätestens ab 2026, wenn eine feste Obergrenze für CO2-Emissionen gelten soll, nicht nur wirkungslos, sondern kontraproduktiv, weil er Ressourcen verschwendet und damit den Wohlstandsverzicht über das notwendige Maß hinaus erhöht oder den Klimaeffekt unnötig verringert. Wer trotzdem an solchen Instrumenten festhält, kann diese jedenfalls nicht mit dem Klimaschutz begründen, sondern muss andere Motive dafür ins Feld führen. In den vergangenen Monaten verging kaum ein Tag ohne neue Vorschläge zu einem „klimagerechten“ Lebenswandel. Ob Fleischkonsum oder Flugreisen – ein Lebensbereich nach dem anderen kam auf den Prüfstand. Und wo sich Emissionsquellen auftaten, waren Ideen für neue Vorschriften und Verbote nicht weit. Ein solcher Ansatz ist nicht nur ineffizient, sondern provoziert unnötigen Widerstand gegen das eigentliche Anliegen der Emissionsreduktion.

Je stärker die Klimapolitik auf kleinteilige Eingriffe in Form von Subventionen und Regulierung bestimmter Güter oder Produktionsverfahren setzt, desto größer wird auch der Spielraum für die ökonomischen Akteure, den politischen Prozess so für eigene Zwecke zu vereinnahmen, dass unter dem Deckmantel der Klimapolitik Einzelinteressen zu Lasten des Gemeinwohls bedient werden. Dazu zählen Subventionen für Windräder und Elektroautos oder Verbote von Ölheizungen ebenso wie staatlich geförderte Batteriefabriken. Dieses als „Rent Seeking“ bekannte Problem besteht auf allen Politikfeldern. Je bedeutender die wirtschaftlichen Interessen der mit dem Klimawandel befassten Akteure werden, desto mehr Gewicht erlangt dieser Aspekt.

Angst und Panik sind schlechte Ratgeber. Die Demonstranten für mehr Klimaschutz beklagen die Tatenlosigkeit der vergangenen Jahre. Davon kann angesichts der vielen Milliarden, die bislang in die ökologische Energiewende geflossen sind, keine Rede sein. Kritikwürdig ist indes die Erfolglosigkeit dieser Politik. Und diese hat ihre Wurzeln in einer Gesinnungsethik, die die Absichten über die Folgen des Handelns stellt. Um neuerliche Frustrationen zu vermeiden, gilt es in der Klimapolitik mehr denn je, einen kühlen Kopf zu bewahren, um das Wünschbare mit dem Machbaren in Einklang zu bringen. Andernfalls wird das Ergebnis nur heiße Luft sein.

Prof. Dr. Kai Carstensen ist Professor für Ökonometrie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Prof. Dr. Stefan Kooths leitet das Prognosezentrum am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, lehrt Entrepreneurial Economics an der University of Applied Sciences Europe in Berlin und ist Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft.

Der Beitrag fußt auf einer früheren Veröffentlichung der Autoren, die am 30. September 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist („So geht vernünftige Klimapolitik“, Der Volkswirt, S. 16).


In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.

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