Wirtschaftspolitischer Beitrag

Grenzausgleich: Für Klima und Wirtschaft

Cover Kiel Focus Air pollution

Autor

  • Gabriel Felbermayr
Erscheinungsdatum

Die aktuelle Debatte um den Klimaschutz klammert eine wichtige Frage aus: Wie wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft bei steigenden CO2-Preisen sichergestellt. Nur ein Grenzausgleich kann dieses Problem lösen und gleichzeitig den Klimaschutz befördern.

Mit seinem Anteil von 2,2 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen kann Deutschland alleine das Klima nicht retten. Auch die EU ist mit insgesamt 10 Prozent zu klein. Mehr noch, wenn der CO2-Preis in Europa deutlich über das Niveau in anderen Ländern steigt, droht die Gefahr, dass die industrielle Produktion durch Importe aus dem Ausland ersetzt wird. Dann sinken zwar die heimischen Emissionen, aber die globalen Treibhausgasemissionen könnten dennoch steigen, wenn relativ CO2-arme heimische Produktion durch CO2-reichere ausländische Produktion ersetzt wird oder ein langer Transportweg hinzukommt. Dann vernichtet die Klimapolitik Jobs und Wertschöpfung in der EU ohne einen Beitrag zur Klimarettung zu leisten. Ein Grenzausgleichssystem wirkt diesem sogenannten Carbon Leakage entgegen.

Noch ist Carbon Leakage kein wirklich großes Problem, weil die CO2-Preise im Industriesektor bei circa 25 Euro pro Tonne liegen. Die Preise werden in Zukunft aber erheblich steigen müssen – viele Forscher gehen von einer Verfünffachung aus –, um die ambitionierten Emissionsziele zu erreichen. Dann wird Leakage zu einem schwerwiegenden Problem.

Importe mit CO2-Preis belasten, Exporte freistellen

Damit wir nicht Verlierer unserer eigenen Klimapolitik werden und die dahinterstehenden Ziele auch noch verfehlen, müssen die geplanten Maßnahmen für einen CO2-Preis auf den heimischen Märkten durch einen Grenzausgleich komplementiert werden. Auf Importe wird in Abhängigkeit ihres CO2-Gehalts die Zahlung eines CO2-Preises fällig; Exporte werden hingegen entsprechend entlastet. Letzteres ist notwendig, damit es nicht zu einer Doppelbelastung kommt, falls das Ausland eine eigene, vielleicht niedrigere, CO2-Bepreisung vornimmt.

Im Ergebnis ist sichergestellt, dass alle Wettbewerber, ob im Inland oder Ausland, exakt dieselben Bedingungen haben. Ein Grenzausgleichssystem diskriminiert also nicht zwischen Gütern unterschiedlicher Herkunft, ganz im Gegensatz zu einem Zoll. Der gern verwendete Begriff des Klimazolls ist deshalb irreführend.

Im Übrigen funktioniert das System unabhängig davon, ob es eine CO2-Steuer gibt oder einen Emissionshandel. In letzterem müssen Importeure Zertifikate kaufen, während Exporteure welche erhalten.

Ein europäisches Grenzausgleichssystem würde für Produzenten im Ausland Anreize schaffen, CO2-Emissionen einzusparen, wenn sie in die EU exportieren. Das wäre ein wirksames Instrument, denn die EU ist der zweitgrößte Güterimporteur der Welt. Zwar würden Produzenten in der EU für Exporte vom CO2-Preis befreit; solange sie aber auch in der EU verkaufen, haben sie dennoch ein starkes Interesse, Emissionen einzusparen. Ausländische Regierungen sollten es attraktiver finden, ebenfalls in die CO2-Bepreisung einzusteigen und ein Grenzausgleichssystem anzuwenden. Denn so könnten sie die Emissionen europäischer Unternehmen bepreisen.

Mit WTO-Regeln vereinbar

Oft wird behauptet, ein Grenzausgleichsregime wäre mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) nicht kompatibel. Das ist falsch. Seit vielen Jahrzehnten gibt es bereits ein gut funktionierendes, rechtssicheres Grenzausgleichssystem: die Mehrwertsteuer. Auch hier werden Importe mit dem heimischen Steuersatz nachbelastet und Exporte freigestellt.

Allerdings ist der Informationsbedarf für ein Grenzausgleichssystem sehr viel größer als bei der Mehrwertsteuer. Denn die Steuerbemessungsgrundlage ist der CO2-Gehalt der gehandelten Güter, und dieser ist nicht so leicht festzustellen. Bei einfachen Produkten wie Stahl ist dies relativ gut möglich, bei komplexen Gütern, die aus vielen Bestandteilen bestehen, sehr schwierig. Die Unternehmen müssten ihre Lieferketten sehr genau kennen, und sie müssten bereit sein, bei Ein- und Ausfuhr wahrheitsgemäße Angaben zu machen.

Hierfür müsste man sich einen klugen Mechanismus überlegen, der bei den Produzenten Anreize setzt, richtig Auskunft zu geben. Man könnte für den CO2-Gehalt eines importierten Gutes einen Referenzwert für Importe zugrunde legen, der sich zunächst am heimischen Mittelwert orientiert. Alle ausländischen Produzenten, die nachweisen, dass der wirkliche CO2-Gehalt ihrer Ware geringer als dieser Durchschnitt ist, können diesen geltend machen. Weil sie damit die Bemessungsgrundlage der CO2-Bepreisung – und damit ihre Kosten – reduzieren, haben sie Anreize, ihre Daten offenzulegen. Mit dieser Information könnte man den Referenzwert neu berechnen, indem man die Importe der berichtenden Unternehmen aus der Mittelwertbildung herausnimmt. So steigt der Referenzwert, und neue ausländische Firmen haben Anreize, ihre CO2-Werte offenzulegen. Und so weiter. Natürlich bräuchte es eine Art Klima-TÜV, der die Angaben überprüft und Zeugnisse ausstellt. Auch dafür gibt es eine Analogie im existierenden internationalen Regelwerk: Wenn ein Unternehmen aus einem Land, mit dem die EU ein Freihandelsabkommen hat, zollfrei in die EU exportieren will, muss es die Erfüllung sogenannter Ursprungsregeln nachweisen.

Druck der Konsumenten und neue Technologien helfen

Zugegeben, der Aufbau eines Grenzausgleichssystems ist komplex. Mindestens zwei Trends helfen hier aber: Erstens steigt der Druck auf Unternehmen, den CO2-Fußabdruck ihrer Waren zu kennen und offenzulegen, auch ohne Grenzausgleich. Konsumenten und Anleger wollen wissen, wie klimafreundlich die Produkte sind. Zweitens erleichtern neue Technologien wie die Blockchain das dezentrale, anonyme Erfassen von Informationen und ihre fälschungssichere Weitergabe. Schrittweise könnte man mit Gütern wie Stahl beginnen, oder zunächst nur die CO2-Emissionen des internationalen Transports berücksichtigen, und dann weitere Güter und Glieder der Wertschöpfungskette einbeziehen.

Noch mag das Leakage-Problem beherrschbar sein. Wenn die CO2-Preise in der EU aber deutlich steigen, und die industrielle Wertschöpfung dann beginnt, in substanziellem Ausmaß abzuwandern, könnte der Druck mit schnellen, aber ungenauen Klimazöllen Abhilfe zu schaffen, stark steigen. Dann ist die Gefahr hoch, in teure Handelskriege hineinzugeraten. Die EU sollte sich darum schon jetzt um den Aufbau eines WTO-rechtskonformen Grenzausgleichssystems bemühen.

Ganz zentral dabei ist die Suche nach internationalen Verbündeten. Nicht nur Europa hat das Thema auf der Agenda. Beispielsweise wurde im Januar 2019 im US-Kongress von Vertretern beider Parteien ein Gesetz zur Einführung eines CO2-Preises eingebracht, das – wie bisher in allen ähnlichen Versuchen – einen Grenzausgleichsmechanismus enthält. Solange Donald Trump Präsident der USA ist, werden solche Initiativen scheitern. Für die Zeit danach sollte die EU gerüstet sein.

(Der Beitrag erschien als Gastkommentar am 14.10.2019 in der Süddeutschen Zeitung.)


Coverfoto: © Diana Parkhouse CC0, Unsplash

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.

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  • CO2-Verlagerung