Wirtschaftspolitischer Beitrag

Das Epizentrum der nächsten Finanzkrise kann in China liegen

Cover Kiel Focus "Epicenter China"

Autor

  • Rolf J. Langhammer
Erscheinungsdatum

Die Sorge vor einer „harten Landung“ der chinesischen Wirtschaft sollte stärker sein, als die Furcht vor einem weiteren Aufstieg Chinas zum Konkurrenten des Westens.

Experte IfW Kiel

Gerade mal ein Jahrzehnt ist es her, dass sich die Welt bei China bedanken konnte: Das Land hatte als Antwort auf die große Krise von 2008 ein Konjunkturprogramm in zweistelliger Höhe (gemessen in Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts) auf den Weg gebracht, das die Weltwirtschaft stabilisierte. Dies war weit mehr als das, was Europäische Union, USA und andere Industriestaaten aufbrachten.

Doch auch wenn das Programm damals zündete: Es hatte einen unangenehmen Langzeiteffekt in Gestalt massiver Überkapazitäten der Grundstoff- und Stahlindustrie. Längst ist daher die Dankbarkeit gegenüber China verschwunden, drückt das Land doch seine überschüssigen Erzeugnisse mit Macht auf die Weltmärkte, direkt durch Exporte oder über Infrastrukturprojekte im Rahmen seiner „Seidenstraßen-Initiative“. Angesichts rückläufiger Wachstumsraten belasten die Überkapazitäten den politisch gewollten Strukturwandel Chinas von der investitionsgetriebenen Exportnation zur innovationsgetriebenen Dienstleistungsgesellschaft – und dies gleich in dreifacher Weise.

Erstens erschweren und verzögern die Überkapazitäten die Verlagerung von Kapital und Arbeitskräften von alten Industrien zu neuen Dienstleistungsbranchen. Marode Staatsbetriebe in den alten Branchen und Staatsbanken, die den Kapazitätsaufbau finanziert haben, bilden eine Allianz gegen die nötige Strukturbereinigung. Banken müssten höhere Sicherheiten für die Altkredite verlangen, die die Unternehmen nicht bereitstellen können. In ihrem Überlebenskampf finden Unternehmen und Banken Gehör bei der Regierung, die eine massenhafte Entlassung von Arbeitskräften vermeiden will.

Gefährliche Abwertung

Zweitens verleiten die Überkapazitäten die Regierung dazu, mit der Innovationsoffensive „Made in China 2025“ weiterhin auf Industriebranchen statt auf Dienstleistungen zu setzen, um die Kapazitäten der Industrie besser auszulasten. Unter den zehn geförderten Sektoren der Innovationsoffensive findet sich keine einzige Dienstleistungsbranche. So hofft die Regierung, den Arbeitsmarkt zu stabilisieren. Innerhalb der Industrie, so die Erfahrung auch der Industrieländer, finden freigesetzte Arbeitskräfte schneller einen neuen, adäquat bezahlten Job als im Wechsel von der Industrie- zur Dienstleistungsbranche, in der andere Qualifikationen gefragt sind. Das aber geht zu Lasten von wichtigen Produktinnovationen in neuen Dienstleistungsbranchen.

Drittens befindet sich die Regierung in einem Dilemma. Auf der einen Seite braucht sie für eine allmähliche Anpassung der alten Branchen das Exportventil. Der Verlust preislicher Wettbewerbsfähigkeit durch gestiegene Lohnkosten hat dieses Ventil in den vergangenen Jahren zunehmend verstopft. Der schwindende Leistungsbilanzüberschuss Chinas spiegelt das wider. Die Regierung muss sich nun stets des Verdachts der USA erwehren, sie werte ihre Währung durch versteckte Exportsubventionen ab, um alte Branchen auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig zu halten. Tatsächlich stemmt sich Peking jedoch mit Kapitalverkehrskontrollen und Devisenmarktinterventionen gegen die Abwertung. Denn ein schwächerer Renmimbi erschwert es privaten  chinesischen Unternehmen, ihre in ausländischer Währung aufgenommenen Anleiheschulden zu bedienen, da sie ihre Erträge vorwiegend in heimischer Währung erzielen. In den vergangenen Jahren hat es deutliche Signale einer Anleiheblase gegeben. Eine starke Abwertung könnte diese zum Platzen bringen.

Neue Finanzkrise

Alle drei Faktoren sollten für den Westen Grund zur Sorge um China sein. Die im Vergleich zu anderen Schwellenländern große Offenheit des Landes für Kapital und Güter sowie das hohe investitionsgetriebene Wachstum haben in den vergangenen Jahren viele Länder, Deutschland in vorderster Front, in eine Abhängigkeit von Chinas Entwicklung gebracht. Haben die Unternehmen im Westen früher davon profitiert, so sehen sie die Abhängigkeit heute zu Recht mit Sorge.

Mehr noch: Eine neue Finanzkrise könnte ihr Epizentrum in China haben. Die Möglichkeiten der Regierung, eine sanfte Landung nicht nur für die eigene Wirtschaft, sondern auch für den Rest der Welt zu gewährleisten, sind heute geringer als 2008, weil der heimische Finanzmarkt verzerrt und intransparent ist. Dazu tragen auch Klumpenrisiken bei, die die chinesische Regierung bei nationalen wie globalen Infrastrukturprojekten eingegangen ist.

Das zeitliche Zusammenfallen von schwächerer Konjunktur und strukturellen Belastungen ist eine Dekade nach der großen Wirtschafts- und Finanzkrise für alle Volkswirtschaften ein immenser Risikofaktor. Umso mehr gilt dies für China, das nicht nur den steigenden Wohlstandsansprüchen der eigenen Bevölkerung genügen muss, sondern auch seine selbst reklamierte Bedeutung als Motor der Weltwirtschaft zu beweisen hat. Die Sorge, dass das anders als früher nicht mehr gelingt, sollte stärker sein als die Furcht vor einem weiteren Aufstieg Chinas zum Konkurrenten des Westens.

(Leicht geänderte Fassung eines Gastkommentars, der am 07. Juni 2019 unter dem Titel „Das wird keine sanfte Landung“ in der Rubrik „Der Volkswirt“ in der WirtschaftsWoche erschienen ist.)


Coverfoto: © Nikada – iStockphoto

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.