Münchhausens Geschichte vom „Green Growth“

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Autor

  • Henning Klodt
Erscheinungsdatum

Spätestens seit der Konferenz „Rio +20“ vom Juni 2012 ist Green Growth in aller Munde. Die OECD propagiert eine Green Growth Strategy, das United Nations Environmental Programme legt einen Green Economy Report vor, die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) erstellt einen Bericht zu Inclusive Green Growth und die als B 20 zusammengeschlossenen Unternehmensvertreter schmieden in Rio eine internationale Green Growth Alliance.

Der Baron von Münchhausen verfügte bekanntlich über die Fähigkeit, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Können wir das vielleicht auch? Wenn man hört und liest, wie manche sich die ökologische Wende vorstellen, könnte man es glauben.

Spätestens seit der Konferenz „Rio +20“ vom Juni 2012 ist Green Growth in aller Munde. Die OECD propagiert eine Green Growth Strategy, das United Nations Environmental Programme legt einen Green Economy Report vor, die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) erstellt einen Bericht zu Inclusive Green Growth und die als B 20 zusammengeschlossenen Unternehmensvertreter schmieden in Rio eine internationale Green Growth Alliance. Die Verheißung hinter all diesen Aktivitäten lautet, ein intensiver Klimaschutz sei nicht nur nötig, um unseren Planeten vor dem Hitzekollaps zu bewahren, sondern würde sich sogar wachstums- und beschäftigungsfördernd auswirken. „Früher häufig als Kostentreiber und Wachstumsbremse verrufen, hat der Umweltschutz das Potential zum Wohlstandstreiber moderner Volkswirtschaften.“, meint Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamts.

Umweltschutz macht Arbeit – so die landläufige Argumentation – und Arbeit macht Arbeitsplätze. Für die Entwicklung umweltschonender Technologien wird Kapital und Arbeit benötigt, ebenso für die Implementierung dieser Technologien. Umweltschonende Produkte sind teurer als konventionelle Produkte und schaffen deshalb dort, wo sie produziert werden, höhere Einkommen. Allein in der Erneuerbare-Energien-Branche seien derzeit in Deutschland rund 340.000 Arbeitskräfte beschäftigt, schätzt die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung in einer vom Bundesumweltministerium geförderten Studie. Und Flasbarth rechnet mit zusätzlichen 630.000 Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2020, wenn die von der Bundesregierung verkündete Energiewende konsequent umgesetzt würde.

In der Öffentlichkeit und den Medien werden solche Zahlen immer wieder als Beleg dafür herangezogen, dass Umweltschutz aus gesellschaftlicher Sicht nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Wirtschaft gut sei. Es werde sozusagen eine „doppelte Dividende“ erzielt, da ökologische und ökonomische Erträge zugleich anfallen würden. Dabei geht es nicht darum, dass Umweltschutz nötig ist, um langfristig nicht nur die ökologischen, sondern auch die ökonomischen Grundlagen unseres Planeten zu erhalten (wer wollte das bestreiten). Sondern es wird suggeriert, verstärkte staatliche Interventionen zum Umweltschutz würden unmittelbar zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen.

Man muss tief im Instrumentenkasten der Volkswirtschaftslehre wühlen, um zu dieser Einschätzung eine passende Theorie zu finden. Nach dem Grundmodell der ökonomischen Theorie, das von funktionierenden Märkten in allen Bereichen der Wirtschaft ausgeht, ist der Einsatz knapper Ressourcen für den Umweltschutz zunächst einmal ein Kostenfaktor, der den wirtschaftlichen Wohlstand nicht erhöht, sondern mindert. Und auch die Zahl rentabler Arbeitsplätze in der Wirtschaft wird insgesamt nicht steigen, sondern sinken, falls der Kostenanstieg durch Umweltschutz nicht durch entsprechende Kostenentlastungen an anderer Stelle (zum Beispiel durch Lohnsenkungen) kompensiert wird.

Die Hypothese der doppelten Dividende staatlicher Umweltschutzmaßnahmen beruht aus dieser Perspektive auf dem Denkfehler, partialanalytische Effekte innerhalb der Umweltindustrien mit gesamtwirtschaftlichen Effekten über alle Branchen hinweg gleichzusetzen. Natürlich wird verstärkter Umweltschutz zu mehr Arbeitsplätzen in den Umweltindustrien führen. Hersteller von Windkraftanlagen oder Dachdecker, die sich auf die Verlegung chinesischer Solarpaneele auf deutschen Dächern spezialisiert haben, sind die Gewinner des Green Growth. Doch da jeder Euro letztlich nur einmal ausgegeben werden kann, wird die Kaufkraft, die in die „grünen“ Industrien fließt, zwangsläufig von anderen Industrien abgezogen. Dort sind die Verlierer des Green Growth zu finden. Weitere Verlierer sind in jenen Produktionsbereichen anzutreffen, die teure Umweltauflagen erfüllen müssen und deren Arbeitslätze dadurch unter die Rentabilitätsschwelle rutschen. Nach dem Grundmodell der ökonomischen Theorie muss bei einer Verschärfung des Umweltschutzes die Zahl der im Umweltbereich entstehenden zusätzlichen Arbeitsplätze kleiner sein als die Zahl der wegfallenden Arbeitsplätze in den übrigen Bereichen der Wirtschaft.

Weniger eindeutig sind die Ergebnisse der sogenannten neuen Wachstumstheorie, in der sektoral unterschiedliche Lernprozesse eine wichtige Rolle spielen. Falls in den Umweltindustrien große technologische Durchbrüche erwartet werden können, von denen die gesamte Wirtschaft beflügelt würde, dann könnte es wirtschaftlich ertragreich sein, in einer Übergangsphase die Wachstums- und Beschäftigungseinbußen eines verstärkten Umweltschutzes in Kauf zu nehmen, um auf längere Sicht von den technologischen Impulsen aus den grünen Industrien profitieren zu können.

In dieser Argumentationskette stecken allerdings viele Wenn und Aber:

  • Ist das technologische Potential in den Umweltindustrien tatsächlich höher als in anderen Industrien? Zumindest bei der Windkraft und der Solarenergie darf das mittlerweile bezweifelt werden.
  • Wie verhindert man, dass die finanziellen Fördermittel ins Ausland abfließen anstatt die heimische Wirtschaft anzukurbeln? Die Solarförderung beispielsweise kommt überwiegend chinesischen Herstellern zugute, deren Export von Solarpaneelen nach Deutschland vor allem aufgrund des Erneuerbare-Energien-Gesetzes boomt.
  • Bedarf es wirklich eines staatlichen Markteingriffs, um die Unternehmen auf Fährten zu setzen, auf die sie allein nie gekommen wären? Verfügt der Staat tatsächlich über ein überlegenes technologisches Wissen, das für eine solche Politik erforderlich wäre?

Dann und nur dann könnten staatliche Maßnahmen zum Umweltschutz positive gesamtwirtschaftliche Wachstums- und Beschäftigungswirkungen entfalten. Andernfalls würde auch die neue Wachstumstheorie zu der Aussage gelangen, dass Umweltschutz ein Kostenfaktor und kein Wachstumstreiber ist.

Einen letzten Strohhalm für die Apologeten des Green Growth könnte die Konjunkturtheorie bieten. In einer Volkswirtschaft mit hoher Arbeitslosigkeit könnte eine staatlich verordnete Investition in Umweltschutz die Beschäftigung erhöhen, wenn die Produktionskapazitäten in den Umweltindustrien nicht ausgelastet sind.

Doch auch hier gibt es Wenn und Aber:

  • Wenn in diesen Industrien gar keine unausgelasteten Kapazitäten vorhanden sind und vielleicht sogar Fachkräftemangel herrscht, würde ein staatlich verordneter Nachfrageschub lediglich zu Preissteigerungen für Umweltgüter und nicht zu Wachstums- und Beschäftigungsgewinnen führen.
  • Und wenn sich die allgemeine konjunkturelle Lage wieder aufhellt, dann müsste bei solch einem Politikansatz der Umweltschutz wieder zurückgefahren werden. Umweltschutz ist aber ein langfristiges, auf Nachhaltigkeit angelegtes Ziel, das nicht mit kurzfristigen Konjunkturzielen vermengt werden sollte.

Die Verheißung, nach der Green Growth nicht nur für die Umwelt, sondern auch für Wachstum und Beschäftigung einen Gewinn darstellt, ist also ein Trugbild, das in den Erzählungen des Barons von Münchhausen gut aufgehoben wäre, in einem seriösen wirtschaftspolitischen Konzept aber keinen Platz hat. Die erhoffte doppelte Dividende gibt es schlichtweg nicht.

Daraus folgt: Umweltpolitik sollte im Interesse der Umwelt betrieben werden und nicht im Interesse der Wirtschaft. Der Erhalt der Umwelt sollte es uns wert sein, die dafür benötigten Ressourcen aufzubringen und an der einen oder anderen Stelle auf wirtschaftliches Wachstum zu verzichten. Wer nur dann zu Umweltschutz bereit ist, wenn er nichts kostet, kann es mit der ökologischen Wende nicht sonderlich ernst meinen.

(Erschienen am 3. Februar 2013 im Blog „Wirtschaftliche Freiheit“, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=11328#more-11328.)