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Parteien wenden sich zunehmend vom Freihandel ab

Die koalitionsrelevanten Parteien CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen rücken in ihren Wahlprogrammen zunehmend vom Freihandel ab und bekennen sich nur noch mit Einschränkung dazu. „Mittlerweile steht der handelspolitische Fokus der Parteien durchweg auf ‚legitimen‘ Maßnah­men gegen unfaire Handelspraktiken statt auf weiterer Liberalisierung und auf der Verteidigung der hohen Produktstandards in Deutschland anstelle der Akzeptanz von Gütern, die in ärmeren Ländern unter anderen Standards produziert werden“, sagte Rolf J. Langhammer, ehemaliger Vizepräsident und Handelsexperte am Institut für Weltwirtschaft (IfW), der die Parteiprogramme im Hinblick auf Handelsfragen für die Schriftenreihe "Kiel Focus" analysiert hat.

„Keine der Parteien bietet einen Schlüssel für die verschlossene Tür zu globalen Handelsabkommen“, sagte Langhammer. „Dies ist kritisch zu sehen, hat doch die Öffnung von Märkten nach dem Zweiten Weltkrieg den größten Wohlstandsschub der jüngeren Menschheitsgeschichte ausgelöst und mit dazu beigetragen, dass allein in China rund 500 Millionen Menschen aus extremer Armut befreit werden konnten.“ Gerade auch Deutschland hätte Armut und Zerstörung nach zwei Weltkriegen ohne einen offenen Zugang zum Welthandel nicht binnen so kurzer Zeit überwunden.

Freihandel? Ja, aber…

Das deutlichste Bekenntnis zum Freihandel gebe wenig überraschend die FDP ab, auch wenn nur wenig konkrete Details zur Handelspolitik beschrieben seien. „Die FDP fordert aber die Durchsetzung hoher Nachhaltigkeitsstandards und übersieht dabei, dass sich für ärmere Länder die Chancen aus Freihandel in dem Maße verringern, wie sie gezwungen werden, ihre Produkte unter den Standards der reichen Länder anzubieten“, sagte Langhammer. „Entwicklungs- und handelspolitische Anliegen der FDP geraten so in einen Zielkonflikt.“

Ähnlich allgemein und wenig detailfreudig seien die handelspolitischen Aussagen im Programm der CDU/CSU. Das Reizwort Freihandel werde vermieden. CETA solle ratifiziert und TTIP weiterverfolgt werden. Diskussionswürdig sei der Schlusssatz im Handelskapitel des Programms: „Gegen unfaire Han­delspraktiken werden wir uns schützen“. Langhammer: „Solche Schutzmaßnahmen, etwa Anti-Dumping-Maßnahmen, Anti-Subventionsmaßnahmen oder Ausgleichszölle gegen Exportbeihilfen, sind zwischen den Handelspartnern sowohl auf internationaler als auch auf EU-Ebene längst vorgesehen. Hier wird Selbstverständliches betont, ohne weitere Erklärung weckt dieser Schlusssatz die Vermu­tung, als sähe die CDU/CSU hier größeren Handlungsbedarf als in der Vergangenheit.“

Beharren auf sozialen und ökologischen Standards

Sowohl bei der SPD als auch bei den Grünen würden entwicklungs- und handelspolitische Positionen verschmelzen. Soziale Standards würden als unverzichtbare Forderungen an eine neue Handelspolitik aufgeführt. Im Programm der SPD würden offene Märkte unter multilateralen Regeln nur so lange gut geheißen, wie sie im Hinblick auf Arbeitnehmerinteressen frei von wettbewerbsverzerrenden Maß­nahmen seien. Details dazu bleibe das Programm schuldig.

Die Grünen seien am kritischsten in ihren handelspolitischen Aussagen. CETA solle gestoppt und TTIP nicht weiterverfolgt werden. Gleiches gelte für das Abkommen der EU mit Japan. Langhammer: „Es wird nicht weniger als ein kompletter Neustart in der internationalen Handelspolitik und in der Welt­handelsorganisation WTO gefordert. Soziale und ökologische Werte sollen Vorrang erhalten. Das Programm der Grünen erscheint am kompromisslosesten, aber auch am utopischsten.“

„Gerade das Beharren auf bestimmten Produktionsstandards ist für schwächere Handelspartner pro­blematisch, die entwicklungspolitischen Konsequenzen werden aber von keiner Partei hinterfragt“, sagte Langhammer. „Es bleibt ungeklärt, wie denn ärmere Länder ihre Produkte, die Konsumenten gemessen am Stand der Wissenschaft nicht schaden und die Umwelt nicht unverhältnismäßig belasten, auf dem deutschen Markt verkaufen können.“ Dies sei für Beschäftigung und Schuldendienst aber dringend nötig. „Das Mindeste, was das Beharren auf eigenen Standards zur Folge haben sollte, nämlich Hilfen bei der Finanzierung von nachhaltigeren Produktionstechnologien, wird in keinem Pro­gramm angesprochen.“