Wirtschaftspolitischer Beitrag

Industriepolitische Irrwege

Autor

  • Stefan Kooths
Erscheinungsdatum

Nach dem Willen der Bundesregierung soll 2023 zum Jahr der Industriepolitik werden.

Experte IfW Kiel

Industriepolitik erfordert den Nachweis, dass staatliche Stellen die Marktfähigkeit von Gütern und Produktionsverfahren besser einzuschätzen vermögen als private Akteure. Dies ist im Regelfall nicht zu erwarten, weil das relevante Wissen dezentral verteilt ist. Zudem haben private Akteure durch den Einsatz eigener Mittel stärkere Anreize, Marktchancen sorgfältig auszuloten. Die Beweislast liegt damit klar im Spielfeld der intervenierenden Wirtschaftspolitik. Je anwendungsnäher eine ökonomische Aktivität, desto schwerer fällt dieser Nachweis. Lediglich in der Grundlagenforschung – also gerade dort, wo es nicht um industriell unmittelbar verwertbares Wissen geht – sind staatliche Hilfen aus Kollektivgutüberlegungen heraus am ehesten vertretbar.

Zwar können auch Unternehmer im Einzelfall falsch liegen, in der Summe erweist sich ein Wirtschaftssystem aber als resilienter, wenn produktionsrelevante Entscheidungen dezentral von unabhängigen Akteuren getroffen werden. Lenkt der Staat hingegen die Entwicklung in bestimmte Richtungen, drohen technologische Monokulturen. Diese führen im Misserfolgsfall zu drastischen gesamtwirtschaftlichen Verlusten, weil sich die Produktionsstrukturen insgesamt falsch ausgerichtet haben. Daraus entspringen zudem implizite Haftungsansprüche der regulierungsunterworfenen Unternehmen, können diese doch geltend machen, nur staatliche Vorgaben befolgt zu haben. Rufe nach Anpassungshilfen sind dann nicht weit.

Industriepolitische Subventionen können die Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftsraums nicht insgesamt erhöhen. Denn zu ihrer Finanzierung müssen entweder die nicht-geförderten Bereiche stärker besteuert werden (wodurch diese auf den Weltmärkten benachteiligt werden) oder der Staat muss andere standortstärkende Ausgaben einschränken (z. B. Bildungs- oder Infrastrukturinvestitionen). Auch ein Ausweichen auf Schuldenfinanzierung führt nicht aus dieser Zwickmühle, sondern schafft nur weitere Probleme.

Das Rückgrat eines Wirtschaftsraums muss sich selbst tragen und kann nicht über Subventionen gestützt werden. Tragfähig sind Produktionsstrukturen, wenn sie sich an Weltmarktpreisen ausrichten – auch dann, wenn diese andernorts durch falsche staatliche Maßnahmen beeinflusst werden. Reagierten die Europäer auf marktwidrige Eingriffe in der übrigen Welt jeweils mit entsprechenden Gegenmaßnahmen, würde nicht die Politik in Übersee marktwirtschaftlicher, sondern die hiesige Wirtschaftspolitik selbst immer interventionistischer. Statt auswärtige Subventionen im Inland zu replizieren (wodurch zugleich die Gefahr von globalen Überkapazitäten steigt), bietet es sich an, diese einfach auszubeuten. Konkret: Vom Ausland gesponserte Komponenten zukaufen und daraus in Kombination mit eigenen Produktionsfaktoren attraktive Produkte für den Weltmarkt machen.

Auch in der Energieversorgung schnürt ein Subventionskorsett mehr ab, als es stützt. Wie bei jedem Korsett: Der Träger erscheint nur optisch attraktiver, während sein Körper auf Dauer krank wird, weil unliebsamer Speck (= Kostennachteil) nicht abtrainiert, sondern nur weggequetscht wird.

Seit jeher ein merkantilistischer Dauerbrenner: Mit Subventionen Wertschöpfung aus der übrigen Welt zurückholen. Was im Einzelfall gelingen kann, geht gesamtwirtschaftlich nicht auf. Denn die nötigen Produktionsfaktoren – insbesondere qualifizierte Arbeitskräfte – müssen von anderen Bereichen abgezogen werden. Damit fällt dort aber Wertschöpfung weg, was im Ergebnis die exportorientierten Branchen trifft. Dadurch werden Vorteile der internationalen Arbeitsteilung aufgegeben, wodurch eine wichtige Quelle des hiesigen Produktivitätswachstums versiegt. Gesamtwirtschaftlich ist diese Rückholaktion nicht mal ein Nullsummenspiel, sondern Bürokratiekosten und entgangene Spezialisierungsgewinne machen daraus ein tiefrotes Wohlstandsgrab.

Sollen mit Subventionen bestimmte Güter verfügbarer werden (z. B. Chips), drohen ebenfalls unliebsame Überraschungen. Denn die im Inland produzierten Güter werden später an diejenigen verkauft, die dafür am Weltmarkt die höchsten Preise bieten, und nicht dort bleiben, wo einst die höchsten Subventionen flossen. Dies ließe sich nur durch Exportverbote verhindern, wodurch die Interventionsspirale Richtung Abschottung bedenklich weitergedreht würde.

Schon gar nicht darf sich eine kluge Wirtschaftspolitik auf einen Subventionswettlauf einlassen. Denn hierbei stehen Gewinner und Verlierer schon vorher fest: Es gewinnen regelmäßig Lobbyinteressen gegen das Gemeinwohl. Der US-amerikanische „Inflation Reduction Act“ taugt daher in keiner Weise als Grund für mehr Subventionen hierzulande. Nebenbei bemerkt: Bezogen auf die Wirtschaftsleistung ist allein das (ebenfalls industriepolitisch ausgerichtete) NextGenerationEU-Programm dreimal größer.

Derzeit steht als Reaktion auf Subventionen in Übersee ein Schleifen der EU-Beihilferegeln im Raum. Das schwächt einen wichtigen Pfeiler des Binnenmarktes – und nicht nur das. Denn in dem Maße, wie sich nicht alle Länder gleich hohe Subventionen leisten können, drohen erhebliche Wettbewerbsverzerrungen. Forderungen nach schuldenfinanzierten Subventionen auf EU-Ebene sind dann nicht weit. Auf diese Weise führt eine verfehlte Industriepolitik auch zu fiskalisch problematischen Weiterungen.

Statt neuer industriepolitischer Experimente wäre jetzt die Zeit für wachstumsorientierte Politik, die den Unternehmen den Standort nicht erst mit Subventionen schmackhaft machen muss. Mit einem starken Standort im Rücken können sich die Europäer getrost dem rauen Wettbewerb auf den Weltmärkten stellen – auch unilateral. Steuergelder hierfür einzusetzen (oder Steuern zu senken) ist allemal besser als sie an diejenigen auszuzahlen, die nur mit Dauerdoping aus der Staatskasse über die Runden kommen.

Der Beitrag erschien am 6. April 2023 als Gastbeitrag in der WirtschaftsWoche, Nr. 15/2023, S. 41. (Rubrik „Denkfabrik“), unter dem Titel „Warum staatliche Industriepolitik ein Irrweg ist“.


Coverfoto: © Maha Heang 245789- stock.abobe.com

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