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„Ich glaube nicht, dass alle deutschen Autobauer das Jahrzehnt überleben“

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... Der Ökonom Moritz Schularick warnt vor Deutschlands Zukunft als Wohlstandsmuseum. Das größte Wachstumshemmnis sieht er im Wohnungsmarkt.

 

Herr Schularick, wie wird das Jahr?

 

Es wird nicht einfach. Das Krisengefühl wird so schnell nicht wieder verschwinden. Wir haben große Herausforderungen, und zu einer Krise werden sie dann, wenn die Leute das Gefühl haben: Die Steuerungssysteme, also der Staat, sind ihnen nicht gewachsen.

 

Das klingt so pessimistisch. Vielen Leuten geht es persönlich ziemlich gut. Ihr Job ist immer noch sicher.

Nicht jede Krise ist gleich eine Weltwirtschaftskrise, in der ein Drittel der Beschäftigten ihren Job verliert. Auch in der globalen Finanzkrise 2008 haben mehr als 90 Prozent ihren Job behalten. Heute ist es in der Tat so: Der Arbeitskräftemangel führt dazu, dass wir diese Krise am Arbeitsmarkt nur in Zeitlupe sehen. Daher fehlt das Bewusstsein dafür, wie groß die Herausforderungen sind.

 

Ist es nicht gut für die Wirtschaft, wenn die Leute gar nicht so pessimistisch sind?

 

Ich bin immer verhalten optimistisch, aber in diesem Fall wirklich sehr verhalten. Wir brauchen einen Ruck, um den früheren Bundespräsidenten Roman Herzog zu zitieren: Wir brauchen viel mehr Veränderungswillen, auch Risikobereitschaft. Schauen Sie sich an, welche Babyschritte wir bei der Digitalisierung diskutieren, während in Amerika und anderswo die Künstliche Intelligenz abhebt.

 

Viele Deutsche haben einen sicheren Job und können hoffen, dass ihr Gehalt dieses Jahr schneller steigt als die Inflation. Das ist doch schön. Warum sollten sie viel ändern?

 

Das sind die zwei Lichtblicke fürs nächste Jahr. Wir werden in der Tat deutliche Reallohnzuwächse haben. Wenn gleichzeitig die Zinsen sinken, wird es sich am Konjunkturhimmel zumindest kurzfristig ein bisschen aufhellen. Aber die langfristigen Probleme gehen nicht weg.

 

Die sind doch am Ende nur schlimm, wenn sie den Menschen schaden?

 

Viele Dinge funktionieren jetzt schon nicht mehr so, wie wir es gewohnt sind. Da geht es um echte Einbußen am Lebensstandard: Wenn ich länger auf Arzttermine oder Medikamente warten muss, wenn die Bahn nicht kommt, die Schulen schlechter werden, die Autobahnbrücke kaputtgeht und die Wohnungen rar sind.

 

Wie lässt sich das ändern?

 

Wir haben ein großes Problem mit unserem Staat, da fehlen Kompetenz und Leistungsfähigkeit. Gerade im öffentlichen Sektor sehen wir in vielen Bereichen überbordende Bürokratie und unflexibles, risikoarmes Denken. Erfolge gibt es im öffentlichen Sektor oft nur noch dann, wenn Sie Kniffe kennen, wie Sie um die Regeln herumkommen. Das ist die Definition eines dysfunktionalen Systems.

 

Solche Probleme mögen den Lebensstandard senken – aber sie erzeugen bisher nicht den politischen Druck, etwas zu ändern.

 

Die Leute scheinen sich damit einzurichten.

 

Ja, in Deutschland gibt es traditionell eine Fixierung auf die Arbeitslosenzahl als Krisenindikator. Die wird nicht den nötigen Druck erzeugen, den Politiker in der Regel brauchen, um unangenehme Dinge zu tun und Interessengruppen auch mal vor den Kopf zu stoßen. Wir sind ja mit dem Durchwursteln in der Ära Merkel alles in allem ganz gut gefahren. Die Erfahrung der letzten zehn Jahre ist deshalb, dass es ohne radikale Neuanfänge immer noch irgendwie funktioniert hat. Aber all das Durchwursteln stößt an seine Grenzen.

 

An welche Grenzen?

 

Wir haben lange gesagt: Na ja, wir sind nicht gut bei der Digitalisierung, aber wir bauen die tollsten Autos. Jetzt bauen wir nicht mehr die tollsten Autos. Umso sichtbarer werden die anderen Probleme. Ich glaube nicht, dass alle deutschen Autobauer das nächste Jahrzehnt überleben werden. Gut denkbar, dass einer in Schieflage gerät und aufgekauft wird. Und vielleicht ist das dann der nötige Katalysator, damit wir sagen: Wir müssen unser Geschäftsmodell ändern. ...

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