Wirtschaftspolitischer Beitrag

CO2-Entnahme-Märkte für die Erreichung der Pariser Klimaziele

Autoren

  • Wilfried Rickels
  • Christine Merk
Erscheinungsdatum

Schwer zu vermeidende CO2-Emissionen werden von Unternehmen häufig mit freiwilligen CO2-Zertifikaten von sogenannten Offset-Märkten kompensiert. Die U

Die Anerkennung der Notwendigkeit der technischen Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre sowie der Handel der damit verbundenen CO2-Zertifikate ist eine wichtige Aufgabe für die anstehenden COP26, die im Rahmen der Ausgestaltung von Artikel 6 des Pariser Klimavertrags zu adressieren sind. 2019 konnte auf der Madrider COP keine Einigung für die Implementierung von Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens erreicht werden. Er ist aber entscheidend für die effiziente Erreichung der Pariser Klimaziele, zielt er doch darauf ab, dass die Länder einen möglichst umfangreichen internationalen CO2-Markt etablieren. Dieser ist natürlich nicht auf die CO2-Entnahme beschränkt.

CO2-Märkte erlauben grundsätzlich Emissionsreduktionen dort zu erreichen, wo es am kostengünstigsten ist. Neben dem Emissionshandel zwischen Unternehmen in Ländern mit definierten Reduktionszielen, hat sich durch das Kyoto-Protokoll vor allem der sogenannte CO2-Offset-Markt etabliert, d.h. die Reduktion von Emissionen durch Projekte in Ländern ohne Reduktionsziel, ergänzt bzw. mittlerweile abgelöst durch den freiwilligen CO2-Offset-Markt. Allerdings werden CO2-Offset-Märkte, die überwiegend CO2-Zertifikate aus der zusätzlichen Vermeidung von CO2 generieren, die wachsende Nachfrage nicht bedienen können.

Nachfrage nach CO2-Zertifikaten steigt, das Angebot sinkt

Immer mehr Firmen kündigen an, netto-null CO2 oder netto-negative CO2 erreichen zu wollen, deshalb steigt die weltweite Nachfrage nach CO2-Gutschriften, um diese Ziele schneller zu erreichen und um schwer zu vermeidende CO2-Emissionen zu kompensieren.  Die Taskforce on Scaling Voluntary Carbon Markets mit Unterstützung von McKinsey schätzt, dass die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten auf CO2-Offset-Märkten bis 2030 um den Faktor 15 und bis 2050 um den Faktor 100 steigen könnte.

Da sich aber anders als unter dem Kyoto-Protokoll praktisch alle Länder zu Emissionsreduktionen verpflichten, stellt sich die Frage der Anrechnung. Werden projektfinanzierte Emissionsreduktionen innerhalb der nationalen Emissionen verrechnet, können diese nicht mehr als Emissionsreduktionen in einem anderen Land zählen. Das heißt, es müssen Regeln geschaffen werden, wie die vermiedenen Emissionen anzurechnen sind, ohne doppelt zu zählen. Sinken allerdings (endlich) die weltweiten Emissionen, sinken damit auch die Möglichkeiten, bei denen durch zusätzliche Emissionsreduktionen CO2-Offsets generiert werden können. Entsprechend sinkt mittelfristig das Angebot aus CO2-Offsets aus der Emissionsvermeidung.

Trotzdem werden CO2-Offsets aus zusätzlicher Emissionsvermeidung auf dem Weg zu netto-null Emissionen einen wichtigen Beitrag zur internationalen Energiewende leisten, indem sie die Nutzung von CO2-armen oder -freien Technologien fördern. Gleichzeitig setzen sie Anreize, dass Emissionen durch den Verlust von natürlichen Senken durch zum Beispiel Abholzung reduziert bzw. umgekehrt werden. Dafür müssen aber eindeutige Regeln für die Anrechnung gefunden werden. Solange es sich um freiwillige Kompensation handelt, ist das Problem erstmal nicht kritisch, weil die CO2-Zertifikate aus Offsets nicht wirksam werden im Land des Empfängers. Das heißt, eine europäische Firma kann freiwillige CO2-Offsets nicht im europäischen Emissionshandel anrechnen, und es liegt in der Verantwortung der Firma, ihren Kunden glaubwürdig zu vermitteln, dass durch ihre Projekte an anderer Stelle CO2 vermieden wurde und es sich lohnt, für diese Anstrengungen der Firma entsprechend mehr für deren Produkte oder Dienstleistungen zu zahlen.

Allerdings gilt diese Einschränkung nur zeitlich begrenzt – denn die national angerechneten Emissionen müssen möglichst schnell auf null sinken. So sehen zum Beispiel die Vorschläge im Fitfor55-Paket der EU vor, dass der lineare Reduktionsfaktor angehoben wird und das EU ETS bereits Ende des nächsten Jahrzehnts netto-null und dann sogar netto-negativ wird. Eine Fortsetzung des europäischen Emissionshandels setzt dann voraus, dass anrechenbare CO2-Zertifikate verfügbar sind, die eben nicht mehr zusätzlich außerhalb des EU ETS in einem anderen Land als Emissionsreduktion angerechnet werden können.

Technische Ansätze zur CO2-Entnahme mit größerem Potenzial als naturbasierte Lösungen

Daher bedarf es neben eindeutiger Anrechnung von CO2-Offsets durch zusätzliche Vermeidung zunehmend CO2-Zertifikate, die durch die atmosphärische CO2-Entnahme generiert werden. Bei solchen CO2-Entnahme-Zertifikaten liegt bislang ein starker Fokus auf naturbasierten Lösungen wie dem Aufforsten von Wäldern oder der Renaturierung von Mooren. Allerdings bestehen auch bei diesen Ansätzen Probleme bei der Anrechenbarkeit, da diese Emissionen bzw. deren Veränderung gegenüber einer historischen Benchmark im nationalen Treibhausgasinventar erfasst werden. Darüber hinaus ist unklar, ob mit diesen Maßnahmen ein ausreichendes Angebot von CO2-Zertifikaten erreicht werden könnte oder sollte. Zum einen stehen diese Ökosysteme durch Rodung, Wasserknappheit und den Klimawandel unter Druck und zum anderen sind diese Flächen oft auch gefragte Flächen für die Landwirtschaft und werden für die Nahrungsmittelproduktion gebraucht. Darüber hinaus kann der Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung dieser Ökosysteme zahlreiche positive Auswirkungen auf die Biodiversität, die Lebensqualität der regionalen Bevölkerung und das lokale Klima und damit auch auf die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel haben. Entsprechend steht beim Management dieser naturbasierten Ansätze zunächst häufig der Erhalt bedrohter Gebiete und damit die Vermeidung von Emissionen im Vordergrund. Die zusätzliche Schaffung von CO2-Entnahme-Zertifikaten durch naturbasierte Lösungen bedarf daher einen umfassenden Ansatz, der die zahlreichen Ökosystemdienstleistungen in der Steuerung entsprechend berücksichtigt.

Um den Bedarf an CO2-Entnahme zu decken, bedarf es daher neben den naturbasierten deshalb auch technischer Lösungen, das heißt, CO2 wird der Atmosphäre entnommen und dann geologisch oder in Baumaterialien gespeichert oder im Rahmen einer zirkulären CO2-Wirtschaft genutzt. Methoden, wie das Direct Air Capture-Verfahren, werden in Island bereits kleinskalig betrieben. Bei diesen Methoden bietet sich eine dezentrale Entwicklung unterschiedlicher Technologien und Ansätze an. Voraussetzung dafür ist aber, dass es entsprechende Märkte gibt. Dort können die (noch) wenigen Anbieter mit den Nachfragern nach CO2-Entnahme zusammenkommen und die im Vergleich bisherigen relativ hohen Transaktionskosten bei bilateralem, projekt-basiertem CO2-Handel senken.  Durch verbesserte Standardisierung sowie ein einheitliches Preissignal kann sich hier die dezentrale Marktkraft entwickeln, die benötigt, wird um die technische CO2-Entnahme in dem Maße zu entwickeln, in dem es notwendig wäre, um noch in die Nähe des 1,5°C-Ziels zu kommen.

CO2-Entnahme-Markt: Eine erste wichtige Weiche für einen umfassenden globalen Emissionshandel

Gleichzeitig bieten CO2-Entnahme-Märkte die Möglichkeit, dem grundsätzlichen Ziel eines umfassenden Emissionshandels näher zu kommen. CO2-Entnahme-Zertifikate, die in unterschiedlichen nationalen CO2-Preissystemen anrechenbar sind, erlauben eben diese zu verknüpfen. Beispielsweise erscheint die Verknüpfung des europäischen Emissionshandelssystems mit dem chinesischen regulatorisch anspruchsvoller als die Zulassung eines Angebots an einheitlichen CO2-Entnahme-Zertifikaten, die damit indirekt zu einer Preisangleichung auf den Märkten führen können. Unter einem solchen Konstrukt einer indirekten Verknüpfung können unterschiedliche Marktbesonderheiten wie zum Beispiel die europäische Marktstabilitätsreserve erhalten bleiben. Darüber hinaus würde es bei einheitlichen CO2-Entnahme-Zertifikaten weniger schwerfallen, deren Zusätzlichkeit nachzuweisen noch deren Anrechnung in unterschiedlichen Ländern zu verfolgen.

Für diese unterschiedlichen Herausforderungen wird die COP26 noch keine abschließenden Lösungen liefern können. Im Gegenteil, es ist eher zu erwarten, dass das von regionalen Initiativen, wie zum Beispiel dem für Frühjahr 2022 angekündigten EU-Zertifizierungssystem für die CO2-Entnahme, entscheidende Impulse ausgehen. Allerdings kommt es bei der COP26 darauf an, diese Notwendigkeit eines internationalen CO2-Entnahme-Marktes anzuerkennen und die Weichen für eine Standardisierung und Klassifizierung der CO2-Zertifikate zu stellen. So öffnet man gerade für Länder wie China, deren Exportgeschäft zunehmend CO2-neutrale Produktion voraussetzen wird, eine wichtige Perspektive.


Coverfoto: © Ivo Gretener - iStockphoto

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.

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