Wirtschaftspolitischer Beitrag

Aufrüsten für den Wohlstand

Autor

  • Moritz Schularick
Erscheinungsdatum

Deutschland ist derzeit nicht verteidigungsfähig, und die Wirtschaft lahmt. Der Staat sollte aus dieser Not eine Tugend machen und mit Ausgaben für Rüstung das Wachstum ankurbeln.

Experte IfW Kiel

In Osteuropa herrscht Krieg, der Nahe Osten ist ein Pulverfass, China und die USA werden auf verschiedene Weisen unberechenbarer. In dieser höchst instabilen Welt ist Deutschland von doppeltem Pech gekennzeichnet: Es ist laut Verteidigungsminister Boris Pistorius derzeit „nicht verteidigungsfähig“ und Wirtschaftsminister Robert Habeck nennt die Konjunktur-Aussichten „dramatisch schlecht“. Doch könnten beide aus dieser Not eine Tugend machen: Mit mehr Rüstungsausgaben das Wachstum ankurbeln und Tyrannen mehr Stirn bieten.  

Zurzeit gibt Deutschland knapp zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung, rund 80 Milliarden Euro pro Jahr, für Verteidigung aus. In Zeiten des Kalten Krieges lagen die jährlichen Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik oft um drei und manchmal bei bis zu fünf Prozent, wie das Kiel Institut für Weltwirtschaft kürzlich ermittelt hat. Nach dem Fall der Berliner Mauer hat das wiedervereinigte Land diese Ausgaben auf rund ein Prozent abgesenkt und mit höheren Sozialausgaben eine stattliche Friedensdividende einkassiert. 

Deutschland erfüllt zwar aktuell das Zwei-Prozent-Ziel der Nato-Zielvorgabe – aber nur mit Ach und Krach und nur für kurze Zeit. Denn das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, das der Bundestag nach dem russischen Angriff auf die Ukraine gewährt hat, ist bald aufgebraucht. Im Finanzrahmen für den regulären Bundeshaushalt stehen für die nächsten Jahre nur gut 50 Milliarden oder 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Mit dem Investitionsbedarf der Bundeswehr in der aktuellen Lage hat das wenig zu tun. 

Sollte der sicherheitspolitisch irrlichternde Donald Trump die US-Wahl im Herbst gewinnen, stünden Deutschland und Europa möglicherweise ohne eine verlässliche Rückversicherung da. Trump hat bereits die Unsicherheit über den Bestand der amerikanischen Sicherheitsgarantie bewusst geschürt und könnte sie weiter als Verkaufsargument für US-Waffen nutzen. So könnte eine nachhaltige Erhöhung europäischer Verteidigungsausgaben an der strauchelnden heimischen Wirtschaft vorbei im Waffensupermarkt USA ausgegeben werden.  

Um dies zu vermeiden, müssen Deutschland und Europa die notwendigen Kapazitäten in der europäischen Rüstungsindustrie aufbauen, um mit europäischen Waffen sich selbst verteidigen und die Ukraine gegen die russische Aggression unterstützen zu können. Dafür braucht die Industrie – wie bei der Impfstoffproduktion in Coronazeiten – Planungssicherheit durch langfristige Abnahmeverträge zu attraktiven Preisen. Rüstungsunternehmen hätten einen Anreiz, in Europa zu investieren, und Regierungen könnten „Made in Europe“ kaufen.  

Wenn wir uns an anderen Ländern orientieren, scheint eine Erhöhung der deutschen Militärausgaben bis zum Ende des Jahrzehnts auf 150 Milliarden Euro jährlich realistisch. Das entspricht in etwa dem bisherigen Sondervermögen – allerdings als jährliche Ausgabe. Die USA geben aktuell rund 3,5 Prozent ihres BIP für Verteidigung aus. Und dies, obwohl das Land von Putins Regime unmittelbar kaum bedroht ist und seine Verteidigungsfähigkeit in den vergangenen Jahrzehnten nicht im gleichen Ausmaß vernachlässigt hat wie Deutschland. 

Von einer solchen Erhöhung der Verteidigungsausgaben könnten wichtige Impulse für das lahmende Wachstum in Deutschland und Europa ausgehen. Jüngere Studien aus den USA – etwa von Valery Ramey und ihren Co-Autoren – zeigen, dass der sogenannte Multiplikatoreffekt von Verteidigungsausgaben auf das BIP-Wachstum bei etwa 1 liegt. Mit anderen Worten: Würden 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Verteidigung gehen, würde sich auch das BIP um etwa 100 Milliarden Euro erhöhen, insbesondere wenn im Inland produziert würde.  

Da mit dem Geld vor allem kapitalintensive Industrien aufgebaut würden, wären negative Auswirkungen auf den unter Fachkräftemangel leidenden Arbeitsmarkt und die Inflation eher gering. Ein zweiter positiver Technologie-Effekt käme hinzu: Wir können in der Ukraine beobachten, wie sehr die Kriegsführung inzwischen mit technologischen Fähigkeiten und Innovationen verwoben ist. Investitionen in Rüstung sind daher auch Investitionen in Technologie, und dies hätte mittelfristig positive Auswirkungen auf den Rest der heimischen Wirtschaft. 

Deutschland hätte drei Wege, um diese Mehrausgaben zu finanzieren: Steuern erhöhen, andere Ausgaben senken oder neue Kredite aufnehmen. Höhere Steuern würden die Wirtschaft zu einer Zeit schwächen, in der das Land wirtschaftlich und politisch Stärke zeigen will. Kürzungen würden vor allem den Sozialhaushalt betreffen, der nahezu 40 Prozent der Gesamtausgaben ausmacht. Kurzfristig wären aber rabiate Kürzungen im Sozialbereich ebenfalls kontraproduktiv, weil sie das Land innenpolitisch destabilisieren könnten. 

Der richtige Weg wäre, in den nächsten Jahren kreditfinanziert in die Sicherheit unseres Landes und Europas zu investieren. Verteidigungsinvestitionen lassen sich im Budget gut von anderen Ausgaben abgrenzen. In der Debatte, ob die Schuldenbremse reformiert werden sollte, um mehr Investitionen zu ermöglichen, wird oft auf die Gefahr verwiesen, dass plötzlich jede konsumptive Ausgabe zur Investition deklariert wird. Bei Ausgaben für die Rüstungsindustrie wäre der Fall aber klar: Es ginge hier um langfristige Investitionen.  

Deutschland sollte nun die Initiative Frankreichs für gemeinsame europäische Verteidigungsinvestitionen unterstützen. Denn um Skaleneffekte in der Produktion zu erzielen und damit Kosten für den Steuerzahler zu sparen, lässt sich Verteidigungsfähigkeit sinnvoll nur auf europäischer Ebene organisieren. Der wichtigste ökonomische Effekt einer solchen Politik könnte am Ende sogar nicht das Wachstum sein, sondern die Sicherung von Frieden und Freiheit in Europa – die Voraussetzungen für unseren Wohlstand. 

Der deutsche Text erschien in ähnlicher Form am 27. März 2024 als Gastkommentar in der Ausgabe 14/2024 von „Der Spiegel“. 


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