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Sonderwirtschaftszonen: Segen oder Fluch für Unternehmen in Schwellenländern?

Gut 20 Prozent des globalen Handels geht von den weltweit rund 4.300 sogenannten Sonderwirtschaftszonen (Special Economic Zones, SEZs) aus (Hachmeier und Mösle, 2018). In diesen geografisch abgegrenzten Gebieten, die in aller Regel in Schwellenländern liegen, bündeln Länder Infrastrukturinvestitionen, setzen monetäre Anreize und schaffen besondere rechtliche Rahmenbedingungen, um Investitionen, vor allem aus dem Ausland, anzulocken. SEZs sind eine wichtige industriepolitische Maßnahme, die den heimischen Unternehmen eine Teilnahme am Globalisierungsprozess ermöglichen soll. Unsere noch laufende Forschung deutet allerdings darauf hin, dass die bevorzugte Behandlung einiger Unternehmen Nachteile für andere schaffen könnte.

In dem groß angelegten Forschungsprojekt „SEZs: A force for good to reduce inequality?“, das vom schwedischen Riksbankens Jubileumsfond finanziert wird, untersuchen Forscherinnen und Forscher des IfW Kiel gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Dänemark, Ghana, Indien und Vietnam die Auswirkungen von SEZs auf Entwicklung und soziale Ungleichheit in Schwellenländern. In unserer Forschung lag der Schwerpunkt bisher auf Indien, einem der ersten Länder in Asien, das die Bedeutung und die Wirksamkeit von Freien Exportzonen (FEZs) für die Exportförderung erkannte – ein Vorgänger der heutigen SEZs mit einer etwas anderen Zielsetzung. Die erste FEZ Asiens wurde 1965 in der Hafenstadt Kandla im Bundesstaat Gujarat eingerichtet.

Während die FEZs in erster Linie als Instrumente zur Exportförderung betrachtet wurden, haben Sonderwirtschaftszonen ein breiteres Mandat und sollen allgemeinere Motoren für das Wirtschaftswachstum sein. Angeregt durch den Erfolg von Sonderwirtschaftszonen in China (Wang, 2013) kündigte die indische Regierung im April 2000 einen Wechsel zu einer neuen Sonderwirtschaftszonenpolitik an. Diese Politik zielt darauf ab, die Einrichtung von SEZs im Privatsektor zu ermöglichen, indem sie eine hochwertige Infrastruktur, attraktive steuerliche Anreize und minimale Vorschriften bietet. Im Februar 2006 trat eine entsprechende Richtlinie mit folgenden Hauptzielen in Kraft:

  1. Schaffung zusätzlicher Wirtschaftstätigkeit,
  2. Förderung des Exports von Waren und Dienstleistungen,
  3. Förderung von Investitionen aus dem In- und Ausland,
  4. Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten und
  5. Ausbau der Infrastruktur

SEZs haben sich in Indien anders entwickelt als in China

Im Vergleich zu China weisen die indischen SEZs mehrere Besonderheiten auf. Erstens zielten die ersten SEZ-Wellen in China auf Küstenregionen mit leichtem Zugang zu Hafen- und Transportnetzen ab, während es in Indien nach wie vor keine geografischen Beschränkungen für die Zonen gibt. Zweitens: Im Gegensatz zu den chinesischen SEZs, die große offene Gebiete sind, ganze Städte umfassen können und sich über Hunderttausende von Hektar erstrecken, sind die SEZs in Indien klar abgegrenzte Gebiete, von denen das kleinste gerade einmal einen Hektar groß ist. Drittens reichen in Indien private Investoren oder die öffentliche Verwaltung einen Vorschlag für die Errichtung einer SEZ ein, der dann von den Regierungen der Bundesstaaten und der Zentralregierung geprüft und schließlich von einer speziellen Behörde genehmigt wird. In China hingegen weist die Regierung einem bestimmten Gebiet den Status einer SEZ zu und versucht dann, ausländische und inländische Unternehmen anzuziehen.

Im Jahr 2020 gab es in Indien 354 angemeldete SEZs, von denen 262 in Betrieb sind. Die SEZs sind in Bezirken rund um die Küste angesiedelt und befinden sich überwiegend im südlichen Teil (Abbildung 1), was angesichts des Zugangs zu Häfen und der entwickelten Infrastruktur nicht überrascht. Interessanterweise beobachten wir auch eine Häufung von SEZs innerhalb eines Distrikts: Bis zu 44 SEZs sind in einem Verwaltungsbezirk konzentriert, während andere Distrikte keine einzige haben.

Kartierung der Unternehmen in den Sonderwirtschaftszonen

Die blauen Dreiecke stellen geokodierte Unternehmen dar, die roten Punkte geokodierte Sonderwirtschaftszonen. Anhand der Flächeninformationen der Zonen wird ein Radius erstellt und anschließend um jeweils 5 km erweitert.

Unternehmensdaten und detaillierte Informationen zu Sonderwirtschaftszonen kombiniert

In unserer Studie (Görg und Mulyukova, 2021) konzentrieren wir uns auf direkte Auswirkungen von SEZs auf Unternehmen, die sich innerhalb der Zonen befinden, sowie auf die Auswirkungen von SEZs auf Unternehmen, die sich außerhalb der Zonen, aber in geografischer Nähe befinden. Dass die Unternehmen – und nicht Bezirke – als Analyseeinheit verwendet werden, ist hierbei eine wesentliche Neuerung zu bisheriger Forschung. Dies ermöglicht eine präzisere Schätzung der Auswirkungen von SEZs auf Unternehmen (unter Berücksichtigung der Heterogenität der Unternehmen), als es die reine Aggregation von Daten auf der Ebene der Verwaltungseinheiten tut.

Für die Untersuchung werden zwei Datenquellen zusammengeführt. Bei der einen handelt es sich um einen kommerziell zur Verfügung gestellten groß angelegten Datensatz auf Unternehmensebene – Prowess –, bei der zweiten um eine detaillierte Liste der angemeldeten Sonderwirtschaftszonen. Wir haben beide Datensätze geokodiert und anhand der Informationen über den Umfang der genutzten Flächen räumliche Ringe mit unterschiedlichen Radien um das Zentrum der SEZs gebildet (Abbildung 2). Der Kern wird anhand der ursprünglichen Größe der SEZs erstellt. Anschließend wird der Radius um fünf Kilometer vergrößert, um die folgenden Entfernungsbereiche zu schaffen: innen, 0–5 km, 5–10 km und 10–15 km. Um die Auswirkungen der SEZs auf die Unternehmen zu bewerten, vergleichen wir die Unternehmensleistung vor und nach der Einführung des SEZs-Programms im Jahr 2006.

Ausblick: Unternehmen in SEZs profitieren erheblich. Zulasten derer, die außen vor bleiben?

Vorläufige Ergebnisse deuten darauf hin, dass Unternehmen innerhalb von SEZs ihr Produktivitätswachstum infolge der Einrichtung der jeweiligen SEZ erheblich steigern konnten – um mehr als ein Drittel. Außerdem beobachten wir einen signifikanten Anstieg des Umsatzwachstums der Unternehmen; Auswirkungen auf die Exporttätigkeit der Unternehmen waren in den Daten nicht zu erkennen.

Diese positiven Beobachtungen scheinen aber auch eine negative Seite zu haben: Interessanterweise und im Gegensatz zu den erwarteten Agglomerationseffekten scheinen die SEZs in Indien negative externe Effekte auf die Unternehmen in der Umgebung der SEZs zu haben, die offenbar ein geringeres Produktivitätswachstum verzeichnen. In Übereinstimmung mit der Literatur stellen wir fest, dass sich dieser Effekt mit der Entfernung abschwächt und bei Unternehmen in einem Umkreis von 5 bis 10 Kilometern um die jeweilige SEZ am stärksten ausgeprägt ist. Obwohl diese Forschung noch nicht abgeschlossen ist, deuten diese Ergebnisse bereits auf eine wichtige Implikation für die Politik hin: Während die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen den Unternehmen innerhalb der künstlich gesetzten Grenzen zugutekommen kann, könnten die Unternehmen außerhalb darunter leiden.

 

Zugehörige Publikation

  • Arbeitspapier

    Place-based policies and agglomeration economies: Firm-level evidence from Special Economic Zones in India Kieler Arbeitspapiere
    03/2022 Download

    This paper exploits time and geographic variation in the adoption of Special Economic Zones in India to assess the direct and spillover effects of the program. We combine geocoded firm-level data and geocoded SEZs using a concentric ring approach. Our analysis yields that conditional on controlling for initial selection, SEZs induced negative effects on the productivity growth of within SEZ firms and no evidence for spillovers. In further analysis, we find that the significant negative effects on firms disappear once only looking at commercial SEZs, supporting the idea that government interference plays a role. We also show that the directors of firms located inside the zones experienced a significant increase in their total remuneration, suggesting excessive rent-seeking as a possible explanation for negative productivity effects. Additionally, we estimate the effect only for relatively large, i.e. above mean area, SEZs. Interestingly, we find a strong positive and sizable in magnitude productivity growth increase for inside SEZ firms. These results are in line with the idea that the inefficiency of the program may be due to one peculiarity of the Indian program design, where SEZs can be single-firm entities, which may make political interference and rent-seeking more likely than in a large SEZ with multiple firms.

Literatur:

Görg, H., und A. Mulyukova (2021). Place-Based Policies and Agglomeration Economies: Firm-Level Evidence From Special Economic Zones in India. Unpublished Draft Paper.

Hachmeier, K.U., und S. Mösle (2018). Sonderwirtschaftszonen und Industrieparks in Theorie und Praxis – unter besonderer Berücksichtigung Afrikas. Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik 23. IfW Kiel.

Wang, J. (2013). The Economic Impact of Special Economic Zones: Evidence From Chinese Municipalities. Journal of Development Economics (101): 133–147