Kiel Institute Highlights

Entscheidend ist der Arbeitsmarkt - Wo Populismus durch Globalisierung gedeiht

Wie lässt sich Populismus eindämmen? Unsere Studie zeigt, dass Arbeitsmarktanpassungen an internationalen Wettbewerb hauptursächlich sind für die politisch polarisierende Wirkung des Außenhandels. Arbeitsmarktpolitik kann dem entgegenwirken, indem sie Aufstiegschancen für benachteiligte Beschäftigte generiert. Wir finden erhebliche regionale Ungleichheiten in den Arbeitsmarktauswirkungen der Globalisierung. Flankierende Regionalpolitik sollte daher Wachstumspfade für abgehängte Regionen eröffnen.

Die Ursachen des Populismus wurden in den letzten Jahren eingehend untersucht. Neben kulturellen Faktoren, wie etwa der Skepsis gegenüber pluralistischen Gesellschaftsmodellen oder der Angst vor dem Verlust nationaler Identität, sind vor allem ökonomische Faktoren belegt (einen umfassenden Überblick geben Guriev und Papaioannou, 2022). Globalisierung und technologischer Wandel haben den Aufstieg populistischer Parteien und Kandidaten begünstigt. Allerdings offenbart die aktuelle Pandemie die Schwächen des populistischen Politikansatzes. Eine gemeinwohlorientierte Politik erfordert manchmal die Durchsetzung unpopulärer Maßnahmen. Entsprechend schlecht schneiden populistische Regierungen, die sich an Meinungen und Befindlichkeiten statt an Fakten und Notwendigkeiten orientieren, beim Pandemiemanagement ab (Bayerlein et al., 2021).

Gerade rechtspopulistische Parteien verfolgen meist einen nationalistischen, protektionistischen Politikansatz, der einer gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtsmaximierung entgegensteht. Damit stellt sich die Frage, wie man Populismus effektiv begegnen kann. Unsere Studie (Dippel et al., 2022) trägt zur Beantwortung dieser Frage bei. Im Fokus der Analyse stehen die ökonomischen Mechanismen, die Unzufriedenheit mit Globalisierung in Wahlverhalten übersetzen. Die Studie zeigt am Beispiel Deutschlands, dass Arbeitsmarktanpassungen an den zunehmenden Handel mit Niedriglohnländern hauptursächlich für den Aufstieg populistischer Parteien in Reaktion auf fortschreitende Globalisierung sind.

Handelsliberalisierung wirkt auf lokalen Arbeitsmärkten ganz unterschiedlich

Die Studie konzentriert sich auf Deutschlands zunehmenden Außenhandel mit Osteuropa und China über den Zeitraum 1990–2009. Bekanntermaßen führt Handelsliberalisierung zu Anpassungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe wird abgebaut, vor allem im Niedriglohnbereich. Im Gegenzug wird Beschäftigung im Dienstleistungsbereich aufgebaut, und die Arbeitsnachfrage nach Hochqualifizierten steigt. In der Summe profitiert der deutsche Arbeitsmarkt, es gibt mehr und besser bezahlte Jobs (Dauth et al., 2014). Regional fallen die Arbeitsmarktauswirkungen gemäß der jeweiligen Industriestruktur allerdings sehr unterschiedlich aus.

Abbildung 1 zeigt die regionale Betroffenheit vom zunehmenden Handel mit Osteuropa und China für die Untersuchungsperiode. Grundlage ist die Veränderung der Netto-Importe (Importe minus Exporte, im Folgenden: Import-Wettbewerb). Viele Regionen profitieren im Saldo von den zusätzlichen Export-Möglichkeiten in neue Märkte (hellblau). Andere Regionen sehen sich aufgrund ihrer Industriestruktur vor allem einem verschärften Import-Wettbewerb ausgesetzt (dunkelblau). Diese Entwicklung hat politische Konsequenzen, wie Abbildung 2 offenbart. Steigt die regionale Betroffenheit von Niedriglohnimporten, steigt der Stimmanteil nationalistischer Parteien bei Bundestagswahlen (oben links). Die Unterstützung nationalistischer Parteien geht zurück, wenn Regionen von neuen Exportmöglichkeiten profitieren (oben rechts). Der Stimmzuwachs nationalistischer Parteien bis 2009 pflanzt sich fort in eine zunehmende Unterstützung der AfD bei aktuelleren Wahlen. Eine Individualanalyse offenbart die Treiber dieser Entwicklung: Vor allem Geringqualifizierte aus dem Verarbeitenden Gewerbe reagieren auf Import-Wettbewerb, indem sie ihre Unterstützung für nationalistische Parteien ausweiten. Das sind genau diejenigen Individuen, die von den Arbeitsmarktanpassungen an die Globalisierung besonders negativ betroffen sind.

Tatsächlich spiegeln sich die politischen Konsequenzen der Handelsliberalisierung (Abbildung 2, obere Hälfte) in ihren Arbeitsmarkteffekten (Abbildung 2, untere Hälfte) wider. Die regionale Beschäftigung steigt mit der Export- und sinkt mit der Import-Betroffenheit. Fraglich ist, in welchem Umfang die politischen Konsequenzen der Globalisierung durch deren Arbeitsmarkteffekte zu erklären sind.

Auswirkungen von Im- und Export auf die Beschäftigung und die Unterstützung der nationalistischen Parteien

Die Diagramme zeigen die statistische Beziehung zwischen Veränderungen auf Kreisebene bei a) Stimmenanteil der nationalistischen Parteien /Import-Exposure (oben links); b) Stimmenanteil der nationalistischen Parteien/
Export-Exposure (oben rechts); c) Logarithmus der Beschäftigung/Import-Exposure (unten links); d) Logarithmus der Beschäftigung/Export-Exposure (unten rechts).

Arbeitsmarkteffekte sind Treiber der Polarisierung

Eine neuentwickelte Methode erlaubt es uns, die verschiedenen Stufen der Kausalkette auszudifferenzieren. Die Analyse bestätigt, dass zunehmender Import-Wettbewerb zu Jobverlusten, vor allem im Verarbeitenden Gewerbe, und zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit auf den lokalen Arbeitsmärkten führt. Gleichzeitig erhöht zunehmender Import-Wettbewerb den Stimmanteil, den nationalistische Parteien bei Bundestagswahlen erzielen. Dieser politische Effekt lässt sich mehr als vollständig durch die Arbeitsmarkteffekte des Import-Wettbewerbs erklären. Würde Handelsliberalisierung ausschließlich zu Arbeitsmarktanpassungen führen, dann fiele der Stimmzuwachs nationalistischer Parteien sogar um bis zu 71 Prozent höher aus. Dem polarisierenden Effekt der Arbeitsmarktanpassungen wirken aber politisch moderierende Effekte der Handelsliberalisierung entgegen, wie sie sich beispielsweise aus einer Zunahme des Warenangebots und niedrigeren Konsumentenpreisen ergeben. Ohne die durch den Import-Wettbewerb verursachten Arbeitsmarktanpassungen würde Handelsliberalisierung zu einem Rückgang der Unterstützung nationalistischer Parteien führen. 

Die wirtschaftspolitischen Implikationen der Studie sind eindeutig (vgl. Gold, 2021). Die polarisierende Wirkung der Handelsliberalisierung ergibt sich allein aus ihren Auswirkungen auf die lokalen Arbeitsmärkte. Genauer sind die Ungleichheiten in der Betroffenheit von diesen Auswirkungen maßgeblich für die politischen Konsequenzen. Einerseits profitieren hochqualifizierte Beschäftigte vom strukturellen Wandel, der durch Handelsliberalisierung ausgelöst wird, während Geringqualifizierte ins Hintertreffen geraten. Andererseits profitieren ganze Regionen vom strukturellen Wandel, während andere Regionen im internationalen Wettbewerb abgehängt werden. Um der daraus resultierenden Polarisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken, ist es nicht ausreichend, die negativ Betroffenen für ihre monetären Verluste zu kompensieren. Vielmehr gilt es, durch aktive Arbeitsmarkt- und Regionalpolitik im strukturellen Wandel abgehängte Individuen und Regionen zu befähigen, an den Entwicklungsmöglichkeiten, die sich aus Globalisierung und technologischem Wandel ergeben, zu partizipieren.

Literatur:

Bayerlein, M., et al. (2021). Populism and COVID-19. How Populist Governments (Mis)Handle the Pandemic. Journal of Political Institutions and Political Economy 2 (3): 389–428.

Dauth, W., S. Findeisen und J. Südekum (2014). The Rise of the East and the Far East. German Labor Markets and Trade Integration. Journal of the European Economic Association 12 (6): 1643–1675.

Dippel, C., et al. (2022). Trade Effects on Workers and Voters. The Economic Journal 132 (641): 199–217.

Gold, R. (2021). Wie kann Wirtschaftspolitik zur Eindämmung des Populismus beitragen? Wirtschaftsdienst 101 (7): 500–504.

Gold, R. (2022). From a Better Understanding of the Drivers of Populism to a New Political Agenda. Forum for a New Economy, WP 04-2022.

Guriev, S., und E. Papaioannou (2022). The Political Economy of Populism. Journal of Economic Literature. Im Erscheinen.