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Risikoaufschläge auf Staatsanleihen bringen Italien in Bedrängnis
Die Zinsen für italienische Staatsanleihen liegen heute über alle Laufzeiten hinweg deutlich höher als vor dem Regierungswechsel im Mai 2018, als die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung und die rechtspopulistische Lega eine Regierungskoalition bildeten. Die Verkündung der Haushaltspläne, die für das Jahr 2019 eine deutlich höhere Neuverschuldung in Höhe von 2,4 Prozent in Relation zur Wirtschaftsleistung vorsehen, ließ die Prämien abermals steigen. Aktuell beträgt der Zinsaufschlag gegenüber 10-jährigen deutschen Staatsanleihen rund 3 Prozentpunkte.
Ulrich Stolzenburg, Konjunkturforscher am Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), hat die Kosten der gestiegenen Zinsen für den italienischen Haushalt in den kommenden Jahren berechnet und weitere Szenarien mit zusätzlich steigenden Risikoaufschlägen bzw. einer Normalisierung der Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank (EZB) modelliert. Die Berechnungen erschienen heute unter dem Titel „Italien an der Belastungsgrenze“ als Kiel Policy Brief. „Italiens Staatsfinanzen verkraften weder eine geldpolitische Normalisierung durch die EZB bei gleichbleibenden Risikoaufschlägen noch einen weiteren spürbaren Anstieg dieser Risikoaufschläge“, sagte Stolzenburg. „Das Land ist aufgrund der chronischen Wachstumsschwäche, der hohen Schuldenlast und der politischen Groß-Wetterlage besonders anfällig für eine erneute Staatsschuldenkrise.“ Folge daraus letztlich eine Staatspleite, in Verbindung mit einem ungeordneten Austritt aus dem Euro, habe dies unabsehbare Folgen für Europa und die Weltwirtschaft.
Steigende Risikoaufschläge könnten italienische Regierung zur Aufgabe zwingen
Bei langfristig nur geringfügig steigenden Zinsen und gleichbleibenden Risikoaufschlägen auf italienische Staatsanleihen auf aktuellem Niveau (Szenario 1a) steigt laut Stolzenburgs Berechnungen die gesamtwirtschaftliche Zinslast für Italien bis 2032 gegenüber 2018 um 1,6 Prozentpunkte auf 5,3 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Die Zinsausgaben steigen dann bis ins Jahr 2025 um durchschnittlich 5 Mrd. Euro pro Jahr, ohne den Anstieg der Risikoprämien seit der Regierungsbildung wären sie nur um rund 1,5 Mrd. Euro jährlich gestiegen. In der Folge müsste sich der Primärsaldo über einige Jahre um jeweils 0,2 Prozentpunkte verbessern, um ein stabiles Haushaltsdefizit zu erreichen. „Es würde Italien einige Anstrengungen kosten, der steigenden Zinslast mit Mehreinnahmen oder Minderausgaben entgegenzusteuern“, so Stolzenburg.
Steigen die Risikoaufschläge weiter an, etwa wenn sich der Haushaltsstreit mit Brüssel weiter zuspitzt, so dass sie dauerhaft 50 Prozent höher liegen als zuletzt (Szenario 1b), droht Italien eine finanzielle Schieflage. Die Zinsausgaben steigen in dem Fall bis 2025 um rund 8 Mrd. Euro pro Jahr. Um das Haushaltsdefizit stabil zu halten, müsste der Primärsaldo Jahr für Jahr um gut 0,3 Prozentpunkte verbessert werden. Bis zum Jahr 2032 würde sich die Zinslast gegenüber 2018 auf fast 7 Prozent nahezu verdoppeln. „Es ist nicht zu erwarten, dass Italien dauerhaft so hohe Refinanzierungszinsen aufbringen und über viele Jahre einen straffen Konsolidierungskurs fahren kann“, so Stolzenburg. „Sollten die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen also weiter spürbar steigen, könnte der Druck auf die italienische Regierung derart zunehmen, dass sie sich an einem bestimmten Punkt zur Aufgabe gezwungen sieht.“
EZB-Dilemma: Normalisierung der Geldpolitik könnte erneute Schuldenkrise auslösen
Auch eine Normalisierung der Geldpolitik durch die EZB würde Italiens Haushalt nach Stolzenburgs Berechnungen wohl nicht lange verkraften können. Bei einer Zinsstruktur deutscher Staatsanleihen, die den Durchschnittsniveaus der Jahre 1999 bis 2007 entspricht, sowie Risikoaufschlägen für Italien in aktueller Höhe (Szenario 2a), würde die Zinslast für Italien bis 2025 Jahr für Jahr um rund 12 Mrd. Euro steigen. Im Jahr 2032 würde die Belastung auf über 8 Prozent des BIP anwachsen. Der erforderliche Primärsaldo zur Aufrechterhaltung eines stabilen Haushaltsdefizits müsste ab 2020 mehrere Jahre in Folge um rund ein halbes Prozent erhöht werden, was einer äußerst restriktiven Fiskalpolitik entspräche und konjunkturell kaum verkraftbar wäre. Auch wenn die Risikoaufschläge für Italien wieder auf das Niveau von vor dem Regierungswechsel zurückgingen, würde eine Normalisierung der Geldpolitik erhebliche Mehrkosten bedeuten und die Zinsbelastung würde 2032 bei 6,5 Prozent des BIP liegen.
Ursächlich für die gravierenden Folgen einer Normalisierung der Geldpolitik ist zum einen, dass der öffentliche Schuldenstand heute in vielen Ländern deutlich höher ist als vor den Krisenjahren, in Italien stieg er von 100 Prozent im Jahr 2007 auf über 130 Prozent, in Spanien von 40 Prozent auf 100 Prozent. Zum anderen kommen heute noch die Risikoaufschläge hinzu, die vor den Krisenjahren praktisch nicht existierten.
„Eine mögliche Schlussfolgerung dieser Analyse ist, dass die EZB angesichts der hohen Staatsverschuldung und der zum Teil erheblichen Risikoaufschläge gar nicht in der Lage wäre, die Zinsen auf das Durchschnittsniveau von vor der globalen Finanzkrise zu erhöhen, selbst wenn dies aus geldpolitischer Sicht geboten wäre. Die EZB könnte durch eine Normalisierung der Geldpolitik eine erneute Staatsschuldenkrise auslösen und womöglich den Zusammenbruch des Währungsgebiets riskieren“, so Stolzenburg.
Kommen zur geldpolitischen Normalisierung noch steigende Risikoaufschläge hinzu (Szenario 2b), würden Italiens Refinanzierungszinsen in einem Ausmaß anziehen, dass die hohe Schuldenlast nicht mehr als tragfähig erachtet werden könnte. Die errechnete Zinslast würde bis 2025 um durchschnittlich 15 Mrd. Euro pro Jahr ansteigen, was einen jährlichen Anstieg des Primärsaldos um etwa 0,6 Prozent in Relation zur Wirtschaftsleistung erforderlich machen würde.
Bei seinen Berechnungen geht Stolzenburg für Italien von einem gesamtstaatlichen Budgetdefizit von 2,5 Prozent aus, von einem realen BIP-Zuwachs von 1 Prozent und von einem Preisanstieg von 1,5 Prozent pro Jahr. Daraus ergibt sich langfristig ein leichter Rückgang der Schuldenquote auf 123 Prozent im Jahr 2032. Diese projizierte Entwicklung der Schuldenquote ist allerdings sehr sensitiv im Hinblick auf die getroffenen Annahmen, ein stärkerer Preisauftrieb etwa würde die Schuldenquote zusätzlich sinken lassen.
Deeskalation der Krise wahrscheinlich
„Eine Staatspleite Italiens in Verbindung mit einem ungeordneten Austritt aus dem Euro hätte angesichts der engen Verflechtung Italiens mit dem übrigen Europa über Finanzwirtschaft und Handel sowie angesichts der Größe der italienischen Schuldenlast und der damit verbundenen drohenden Forderungsausfälle unter anderem im Target-System, wo Italien mit rund 500 Mrd. Euro im Soll steht, unabsehbare Folgen für Europa und die Weltwirtschaft“, sagte Stolzenburg.
„Eine weitere Eskalation der Krise liegt weder im Interesse der italienischen Regierung noch der EU-Kommission, und es erscheint wahrscheinlich, dass sich beide Seiten lediglich nach außen unnachgiebig zeigen, sich in direkten Gesprächen aber aufeinander zubewegen und eine baldige Deeskalation sogar der wahrscheinlichste Ausgang dieses Konfliktes ist.“