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Preisliste für Naturleistungen gesucht

Was kostet Umweltzerstörung? Oder andersherum gefragt, welchen Wert haben die Leistungen der Natur für den Menschen? Eine umfassende Antwort auf diese Frage zu finden – die über einzelne Fälle von Umweltzerstörung hinausgeht –, ist das Ziel eines neuen, von der DFG geförderten Forschungsprojekts am Kilimandscharo, zu dem ein gemeinsames Team des IfW Kiel und der CAU Kiel beiträgt. Die vielfältigen Ökosysteme auf engem Raum und die in Bezug auf kulturelle und geopolitische Einflüsse homogene Bevölkerung machen „den weißen Berg“ in Tansania zu einem idealen Forschungsort.

Eines der größten Marktversagen unserer Zeit“ (Stern und Stern, 2007) ist darauf zurückzuführen, dass die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Natur nicht in die Algorithmen unserer Marktwirtschaft integriert sind. Diesem Marktversagen entgegenzuwirken und eine nachhaltige Beziehung zwischen Mensch und Natur zu entwickeln, ist eine der größten aktuellen globalen Herausforderungen, zu der wir mit dem Projekt „The role of nature for human well-being in the Kilimanjaro Social-Ecological System” beitragen wollen.

Wirtschaftlich gesprochen müssen externe Umweltauswirkungen internalisiert werden. In jeder Marktwirtschaft spielen Preise eine zentrale Rolle bei der Koordinierung von Angebot und Nachfrage, um eine sozial effiziente Ressourcenallokation zu erreichen. Dabei ist die umfassende Bereitstellung von Informationen eine Schlüsselfunktion von Preisen: Informationen über die Kosten eines Gutes und ebenso über den Wert, den die Bereitstellung dieses Gutes schafft. Auf dieser Grundlage können Begünstigte entscheiden, ob sie in der Lage und bereit sind, die Kosten eines Gutes zu tragen.

Eine Externalität beschreibt die (monetär) nicht berücksichtigte Auswirkung einer Handlung (wie die Produktion und Bereitstellung eines Gutes) auf einen unbeteiligten Dritten. Zum Beispiel könnte ein Dorf flussaufwärts den Bau eines Staudamms in Erwägung ziehen, um seine Frischwasserversorgung zu erweitern. Das Dorf muss für den Bau des Staudamms bezahlen, aber diese Kosten beinhalten nicht die Verringerung der Frischwasserversorgung des flussabwärts gelegenen Dorfes. Dies wird als negative externe Auswirkung des Staudammprojekts auf das flussabwärts gelegene Dorf betrachtet. Ganz allgemein kann eine Externalität positiv oder negativ sein. In beiden Fällen jedoch versagt bei Vorliegen von externen Effekten die Informationsfunktion von Preisen, was zwangsläufig zu einem ineffizienten Über- oder Unterangebot an Gütern und Dienstleistungen führt. Märkte versagen also, da sie nicht in der Lage sind, sozial effiziente Ergebnisse zu erzielen.

Natürliche Umwelt fehlt in allgemeinen ökonomischen Kreislaufdiagrammen

Die Volkswirtschaftslehre ist zwar ihrem Namen nach die Wissenschaft von der Verteilung knapper Ressourcen, aber sie entstand in einer Zeit, in der die natürlichen Ressourcen im Vergleich zur Weltbevölkerung und ihren Bedürfnissen reichlich vorhanden zu sein schienen. Die häufigsten Gegenstände eines Verteilungsstreits waren Land, Arbeit und Kapital, und die zentralen Akteure in den gängigen Kreislaufdiagrammen der Ökonomen waren Haushalte, Unternehmen und der Staat (später auch Banken und möglicherweise ein ausländischer Sektor). In dem Maße jedoch, in dem wir die Grenzen des Planeten erweitern und uns ökologischen Krisen verschiedenster Art nähern, wird die wesentliche Rolle einer sicheren natürlichen Umwelt zum Leben, gesunder Böden zum Anbau von Nahrungsmitteln, von Jahreszeiten, die genügend Trinkwasser liefern, oder einer reichen biologischen Vielfalt zur Eindämmung der Ausbreitung von Krankheiten für das menschliche Wohlergehen deutlich spürbar. Das heißt, es wird deutlich, dass die natürliche Umwelt ein wesentlicher, aber im ökonomischen Kreislaufdiagramm fehlender Akteur ist. Die in den Marktpreisen nicht berücksichtigten ökologischen Kosten der menschlichen Aktivitäten werden in Umweltkrisen sichtbar.

Die Internalisierung von Umweltexternalitäten setzt dort an, wo die Marktpreise versagen: bei der Vermittlung gesellschaftlich relevanter Informationen über Umweltkosten und -nutzen menschlicher Aktivitäten. In dem obigen Beispiel könnte ein Internalisierungsmechanismus ein Gesetz sein, das das flussaufwärts gelegene Dorf verpflichtet, Transferzahlungen an das flussabwärts gelegene Dorf zu leisten, um die Frischwasserverringerung auszugleichen. Andere Optionen sind denkbar, doch die Umsetzung einer effizienten Preiskorrektur erfordert immer ein tiefes Verständnis der Beziehung zwischen Mensch und Natur im Allgemeinen und der durch wirtschaft liche Aktivitäten verursachten ökologischen Kosten/Nutzen im Besonderen.

Vielfältige Ökosysteme, eine geopolitisch homogene Bevölkerung – ideale Forschungsbedingungen am Kilimandscharo

Das Projekt „The role of nature for human well-being in the Kilimanjaro Social-Ecological System“ zielt auf diese Wissenslücke ab, indem es die Rolle der Natur für das menschliche Wohlergehen in einer einzigartigen Feldumgebung am Kilimandscharo untersucht. Die natürliche Umwelt wirkt sich auf verschiedene Weise auf unser Leben aus, die in unserem Kontext als Beiträge der Natur für den Menschen (Nature’s Contribution to People, NCPs) bezeichnet werden. Die Interaktion zwischen Mensch und Natur kann als ein gekoppeltes sozial-ökologisches System (Social-Ecological System, SES) verstanden werden: Während einerseits die Natur über die NCPs das menschliche Wohlbefinden beeinflusst, prägen menschliche Aktivitäten die natürliche Umwelt und damit auch die Bereitstellung der NCPs. In dem Projekt KILI SES arbeiten mehrere Partner aus den Natur- und Sozialwissenschaft en zusammen, um einen ersten Versuch zu unternehmen, dieses SES in seiner Gesamtheit zu untersuchen.

Der Anstieg des Kilimandscharo bietet ein ideales Umfeld: Es gibt eine große Vielfalt an Ökosystemtypen in einem geografisch relativ kleinen Gebiet, in dem die Unterschiede im kulturellen und geopolitischen Hintergrund der Bevölkerung minimal sind. In der Regel werden verschiedene Ökosystemtypen, die unterschiedliche NCPs bieten, von Menschen mit unterschiedlicher Kultur bewohnt oder unterliegen verschiedenen politischen Regelungen. Es ist davon auszugehen, dass diese beiden Faktoren die Interaktionsmuster zwischen Mensch und Natur und damit auch die Bewertung der NCPs beeinflussen. Da die Unterschiede bei den kulturellen Faktoren und der übergreifenden politischen Struktur am Kilimandscharo minimal sind, ist es einfacher, die Rolle der Unterschiede bei den NCPs für das menschliche Wohlbefinden zu ermitteln.

Welchen Wert weist der Mensch natürlichen Leistungen zu, und was beeinflusst diese Bewertung?

In unserem Teil des Projekts mit dem Titel „Nature‘s Contributions to People, economic preferences and human well-being“ wollen wir erstens eine Quantifizierung der Bewertung von NCPs durch die Menschen vornehmen und dabei die detaillierten Daten der naturwissenschaftlichen Gegenseite zum NCP-Angebot nutzen. Diese Daten ermöglichen uns, die Bewertung mithilfe des erprobten Nutzenansatzes der Lebenszufriedenheitsanalyse zu quantifizieren. Zweitens ist geplant, über die Bewertungsebene hinauszugehen und zu untersuchen, welche Faktoren diese Bewertung beeinflussen, um ein tieferes Verständnis der Heterogenität der Bewertungsniveaus zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen zu erlangen. Dabei stehen auch die Auswirkungen auf die Bewertung der NCPs, die mit gesellschaftlicher Entwicklung zusammenhängen, im Fokus, wie beispielsweise eine Intensivierung des Marktzugangs. Insgesamt wird die Hypothese aufgestellt, dass die NCPs eine wichtige Rolle für das menschliche Wohlbefinden spielen, dass es aber eine starke Heterogenität in der Bewertung der NCPs zwischen den Menschen entlang der erhobenen mediierenden Variablen gibt.

In diesem Projekt verfolgen wir und das gesamte Kili SES-Team einen neuartigen vereinheitlichenden Ansatz, um die Komplexität der Beziehung zwischen Mensch und Natur zu untersuchen. Die Rolle einer großen Anzahl von NCPs soll gleichzeitig durch die Brille von Natur-, Umwelt- und Sozialwissenschaft beurteilt werden. Die erste Welle von groß angelegten Datenerhebungen für dieses interdisziplinäre Feldprojekt ist für den Sommer 2022 geplant.

Literatur:

Díaz, S., et al. (2015). The IPBES Conceptual Framework—Connecting Nature and People. Current Opinion in Environmental Sustainability 14: 1–16.

Raworth, K. (2017). Doughnut Economics: Seven Ways to Think Like a 21st-Century Economist. Chelsea Green Publishing.

Rockström, J., et al. (2009). Planetary Boundaries: Exploring the Safe Operating Space for Humanity. Ecology and Society 14 (2): 32. URL: www.ecologyandsociety.org/vol14/iss2/art32/

Stern, N., und N.H. Stern (2007). The Economics of Climate Change: the Stern Review. Cambridge University press, p. 1.