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Populistische Politik erhöht Übersterblichkeit in der Pandemie

Die Covid-19-Pandemie stellt Regierungen in aller Welt vor immense Herausforderungen in Bezug auf die öffentliche Ordnung. In noch nie dagewesenem Umfang wurden Lockdowns verhängt und die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt. Die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Reaktionen der Regierungen waren jedoch weltweit sehr unterschiedlich. Dies wirft unweigerlich die Frage auf, ob die politische Ausrichtung von Regierungen eine Rolle bei der Geschwindigkeit der Umsetzung und dem Umfang der Pandemiebekämpfungsmaßnahmen spielt.

Bisherige Untersuchungen konzentrieren sich darauf, die Reaktionen demokratischer und autokratischer Regime zu vergleichen, teilweise mit dem Ergebnis, dass Autokratien, wie beispielsweise China, besser in der Lage waren, mit der Pandemie umzugehen. Beiträge, die sich mit den Reaktionen populistischer Regierungen befassen, sind dagegen noch rar. Wir schließen diese Forschungslücke und stellen fest, dass populistische Regierungen die Pandemie systematisch falsch handhaben, indem sie nur unzulängliche politische Maßnahmen ergreifen und die Öffentlichkeit dazu bringen, Empfehlungen zur öffentlichen Gesundheit zu ignorieren, was beides zu einer höheren Sterblichkeit in der Bevölkerung führt.

Populismus und seine Rolle bei der Pandemie

In dem wegweisenden Beitrag von Mudde (2004, S. 543) wird Populismus als eine „dünne“ Ideologie definiert, die die Gesellschaft in zwei homogene und antagonistische Gruppen unterteilt, „das ‚gute Volk‘ gegen die ‚korrupte Elite‘, und die argumentiert, dass die Politik ein Ausdruck des volonté générale sein sollte“. Folglich werden populistische Regierungen häufig auf der Grundlage von „Anti-Eliten“-Stimmungen gewählt, etwa nach Zeiträumen längerer wirtschaftlicher Stagnation und zunehmender Ungleichheit sowie als Gegenreaktion auf Einwanderung oder der wahrgenommenen Erosion traditioneller Gesellschaftsstrukturen.

Populistische Politik setzt sich angeblich für den „Willen“ der einfachen Bürgerinnen und Bürger ein und stellt ihn den Interessen der Eliten gegenüber. Eng mit der populistischen Rhetorik ist dabei das Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen und „Experten“-Ratschlägen, was bei Ausbruch einer Pandemie schwerwiegende negative Folgen haben kann. Populistische Führungen neigen dazu, Fehlinformationen zu verbreiten, sodass die Öffentlichkeit die Schwere der Pandemie nicht korrekt erfasst. Die Bevölkerung reagiert auf die Pandemie dann ggf. mit weniger Vorsicht, beispielsweise beim Thema Abstand. Populistisch geführte Staaten sind zudem zurückhaltender was die Anordnung von Lockdowns und die Einschränkung sowohl von Massenveranstaltungen als auch die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger angeht.

In unserem Paper untersuchen wir empirisch, ob populistische Regierungen die Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 systematisch falsch handhaben. Wir untersuchen dabei 42 Industrie- und Entwicklungsländer, von denen elf im Jahr 2020 von Populisten regiert wurden (Funke et al., 2020; Roodujin et al., 2019).

Durchschnittliche Übersterblichkeit im Jahr 2020 mit angepassten Werten

Wir analysieren systematische Unterschiede in den politischen Reaktionen sowie im Verhalten der Bürgerinnen und Bürger und verbinden diese Unterschiede mit einer höheren Übersterblichkeit in populistisch regierten Ländern anhand von wöchentlichen Daten.

Wir messen den Schweregrad der Pandemie anhand der länderspezifischen Übersterblichkeit. Dabei handelt es sich um die Zahl der Todesfälle, die zusätzlich zu den Todesfällen auftreten, die unter normalen Bedingungen zu erwarten gewesen wären. Die Gesamtzahl der Todesfälle und die erwarteten Todesfälle für die Wochen des Jahres 2020 stammen aus verschiedenen Quellen, die in Bayerlein et. al. (2021) zu finden sind. Um die Übersterblichkeit im Zeitverlauf zu analysieren, wird in der Abbildung die Übersterblichkeit für die Wochen des Jahres 2020 dargestellt. Die Abbildung zeigt die individuelle Übersterblichkeit (graue Kreise) sowie die quadratische angepasste Mortalität, aggregiert nach populistisch (rot) und nicht-populistisch regierten Ländern (blau). Die Abbildung zeigt, dass die durchschnittliche Übersterblichkeit in populistisch regierten Ländern systematisch höher ist als in nicht-populistisch regierten Ländern.

Wir messen die Reaktion der Regierungen auf die Covid-19-Pandemie anhand der Daten des Oxford Covid-19 Government Response Tracker (Hale et al., 2021). Da wir an der spezifischen Reaktion der Regierung zur Eindämmung der Pandemie und zum Schutz der Bevölkerung interessiert sind, verwenden wir den „containment and health index,“ der einen aggregierten Wert für die Eindämmungs- und Gesundheitspolitik angibt. Der Index reicht von 0 (keine Maßnahmen ergriffen) bis 100 (alle Maßnahmen ergriffen). Wir bereinigen diesen Index um demokratische Rückschritte, d.h. um autokratische Maßnahmen, die sich nicht direkt mit der Pandemie befassen, sondern zur Untergrabung demokratischer Institutionen ergriffen wurden (Kolvani et al., 2020).

Das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger messen wir, indem wir die umfangreichen Daten aus dem Google Mobility Report nutzen. Nach Orten aufgeschlüsselt zeigt der Bericht, wie die Anzahl der Besuche von beispielsweise Lebensmittelgeschäften und Parks zwischen dem 7. Februar und dem 31. Dezember 2020 von der Basislinie abgewichen ist. Da die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger von der tatsächlichen Ausbreitung des Virus abhängt, muss sie in einen Kontext mit der tatsächlichen Ausbreitung des Virus gestellt werden. Dabei zeigt sich sehr deutlich, dass die relative Mobilität der Bevölkerung in populistisch regierten Ländern bei ähnlichen Infektionsraten höher ist. Während die Mobilität in den nicht-populistisch regierten Ländern vor allem in der Mitte des Jahres 2020 abnimmt, nimmt die relative Mobilität in den populistisch regierten Ländern im Laufe des Jahres 2020 sogar eher zu.

Durch die Anwendung mehrerer ökonometrischer Modelle und unter Kontrolle verschiedener länderspezifischer Faktoren zeigen wir, dass der Wechsel von nicht-populistischen zu populistischen Regierungen mit einem prognostizierten Anstieg der Übersterblichkeit um etwa 8 Prozentpunkte verbunden ist. Aufgeschlüsselt bedeutet dies, dass die Übersterblichkeit – also die Anzahl an Todesfällen oberhalb des Wertes, der auch ohne die Pandemie zu erwarten gewesen wäre – in nicht-populistisch geführten Ländern bei gut 8 Prozent, in populistisch geführten bei knapp 18 Prozent liegt. Bei sonst 100 Todesfällen verursacht die Corona-Pandemie also in nicht-populistisch geführten Ländern 8 zusätzliche Tote, in populistisch geführten Ländern 18 zuätzliche Tote, mehr als doppelt so viele. Im Durchschnitt aller betrachteten Ländern liegt die Übersterblichkeit bei 10 Prozent – statt sonst 100 Sterbefälle sind durch die Pandemie 110 Sterbefälle zu verzeichnen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Übersterblichkeit in populistisch regierten Ländern systematisch höher ist, wenn man die länderspezifischen Unterschiede berücksichtigt.

Außerdem zeigen wir, dass populistisch regierte Länder niedrigere Werte für die politische Reaktion und eine höhere Mobilität der Bürgerinnen und Bürger aufweisen, die wiederum mit einer höheren Übersterblichkeit zusammenhängen.

Zugehörige Publikation

Literatur:

Bayerlein, M., et al. (2021). Populism and COVID-19: How Populist Governments (Mis)Handle the Pandemic. Journal of Political Institutions and Political Economy, 2 (3): 389–428.

Funke, M., M. Schularick und C. Trebesch (2020). Populist Leaders and the Economy. Tech. rep. ECONtribute Discussion Paper.

Google (2021). Google COVID-19 Community Mobility Reports. Accessed on 06/15/2021. URL: https://www.google.com/covid19/mobility/

Hale, T., et al. (2021). A Global Panel Database of Pandemic Policies (Oxford COVID-19 Government Response Tracker). In: Nature Human Behaviour: 1–10.

Kolvani, P., et al. (2020). Pandemic Backsliding: Democracy Nine Months Into the COVID-19 Pandemic. In: V-Dem Policy Brief 26.

Mudde, C. (2004). The Populist Zeitgeist. Government and Opposition. 39 (4): 541–563.

Rooduijn, M., et al. (2019). The PopuList: an Overview of Populist, Far Right, Far Left and Eurosceptic Parties in Europe. URL: https://popu-list.org/