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EU-Antidumpingzölle gegen China - Handelshemmnisse abbauen, Inflation bekämpfen
Beim Thema Protektionismus stehen in der Handelspolitik häufig erst einmal die USA mit dem Schlagwort „America First“, China oder gleich beide gemeinsam am Pranger (Stichwort: sino-amerikanischer Handelskrieg). Doch auch die Europäische Union (EU) setzt häufig handelspolitische Schutzinstrumente ein, insbesondere gegen China. Nutzt man die EU-Erweiterung 2004 als natürliches Experiment, lässt sich zeigen, dass EU-Antidumpingzölle erhebliche Handelshemmnisse darstellen, die stärkere negative Auswirkungen auf den Wohlstand haben als bisher angenommen. Eine Erkenntnis, die nicht zuletzt in der aktuellen Inflationsdebatte interessant ist
Antidumpingzölle (AD-Zölle) sind das am häufigsten eingesetzte Handelsschutzinstrument. Dabei richteten sich 51 Prozent (61 Fälle) aller geltenden EU-Antidumpingzölle (AD-Zölle) im Jahr 2019 gegen China (Garcia-Herrero et al., 2020). China wird in der AD-Verordnung der EU seit langem anders behandelt als andere Länder, weil es den Status einer Nicht-Marktwirtschaft (NMWS) hat. Der Marktwirtschaftsstatus (MWS) wird vom Einfuhrland dem Ausfuhrland zugewiesen und bestimmt die Art und Weise, wie AD-Zölle berechnet werden. Exporteure in MWS-Ländern erhalten unternehmensspezifische Zölle, während AD-Zölle gegen NMWS-Länder oft für alle exportierenden Unternehmen gleich und im Durchschnitt höher, als die gegen MWS-Exporteure verhängten Zölle sind. Im Jahr 2017 hat die EU das NMWS-Konzept offiziell aufgegeben, während die USA China weiterhin als Nicht-Marktwirtschaft behandeln.
Die EU-Erweiterung von 2004 lässt sich als natürliches Experiment nutzen, um die Auswirkungen dieser AD-Zölle detailliert zu untersuchen. Hierzu werden Daten zu Einfuhrpreisen und -mengen auf Produktebene für die zehn Länder kombiniert, die der EU 2004 beigetreten sind (Eurostat, 2017) mit Informationen über AD-Zölle (Bown, 2015). Bei ihrem Beitritt zur EU im Jahr 2004 übernahmen die neuen Mitgliedsstaaten die von der Union gegen Drittländer erhobenen AD-Zölle. Geht man davon aus, dass die Entscheidung, der EU beizutreten, nicht durch ihre AD-Politik motiviert war, führte die Erweiterung zu einer Einführung von AD-Zöllen in den Beitrittsländern, die unabhängig von ihren bestehenden Handelsströmen war.
Auswirkungen von AD-Zöllen auf Einfuhrpreise und -mengen
EU-Beitritt (Beginn der Behandlung) im Mai 2004. Prozentuale Veränderung der Einfuhrpreise und -mengen der behandelten Produkte auf der vertikalen Achse, Jahr auf der horizontalen Achse. Die Grafik zeigt Punktschätzungen mit 95 Prozent Konfidenzintervallen,
die auf große und signifikante Preis- und Mengeneffekte von AD-Zöllen seit ihrer Einführung im Jahr 2004 hinweisen.
Preisdruck durch Antidumping-Zölle vor allem in der Metall- und Chemiebranche
Unter Verwendung von Daten für die Jahre 2003 und 2005 zeigt die Schätzung, dass AD-Zölle die Einfuhrpreise vor Zöllen im Durchschnitt um 25 Prozent erhöhen. Die Preise für Importe von nicht zollpflichtigen Exporteuren steigen ebenfalls. Diese Ergebnisse sind vor dem Hintergrund des jüngsten Anstiegs der Erzeugerpreise, der in der gesamten EU zu beobachten ist, von großer Bedeutung.
Da AD-Zölle häufig auf Zwischenprodukte erhoben werden, könnte eine Senkung oder Abschaffung dieser Zölle den Preisdruck etwas verringern. AD-Zölle sind vor allem in der Metall- und Chemiebranche verbreitet. 48 Prozent (23 Prozent) der 2019 geltenden EU-AD-Fälle wurden im Metall- (Chemie-) Sektor verhängt (Bown, 2020). Insbesondere bei den AD-Zöllen der EU gegenüber China belaufen sich die durchschnittlichen Wertzölle in diesen Sektoren auf mehr als 30 Prozent (Yalcin et al., 2016). Im Juli 2021 gehörten Metalle und Chemikalien zu den Sektoren, in denen die Erzeugerpreise mit am stärksten anstiegen (in der EU 27: 33,9 Prozent in der Metallerzeugung und -bearbeitung sowie 19,3 Prozent im Chemiesektor im Vergleich zum Juli 2020; Eurostat, 2021), was darauf hindeutet, dass die Abschaffung der Zölle zur Stabilisierung der Preise in diesen Sektoren beitragen könnte.
Preise rauf, Mengen runter
Diese positiven Preiseffekte sind nur bei Einfuhren aus MWS-Ländern zu beobachten. Die Vorzollpreise der Einfuhren aus NMWS-Ländern bleiben konstant. Dies bedeutet zwar immer noch steigende Nachzollpreise, da die Zölle vollständig an die Importeure weitergegeben werden, aber der Gesamteffekt ist geringer. Paradoxerweise könnte der Verzicht auf NMWS in den AD-Rechtsvorschriften der EU im Jahr 2017 zu einem stärkeren Anstieg der Importpreise nach der Einführung von AD-Zöllen beigetragen haben. Andererseits wird dieser Effekt durch niedrigere durchschnittliche Zölle, die gegen MWS-Exporteure verhängt werden, wieder aufgehoben.
Die Importmengen sinken im Durchschnitt um 74 Prozent. Aufgrund der höheren durchschnittlichen Zölle, die die EU gegen NMWS-Exporteure erhebt, gehen die Einfuhren aus diesen Ländern stärker zurück (im Durchschnitt um 85 Prozent) als die Einfuhren aus Ländern mit MWS (68 Prozent). Man könnte also davon ausgehen, dass die jüngste Abschaffung des NMWS in der EU die handelsdämpfenden Auswirkungen der AD-Zölle verringert. Die neue Methodik erkennt jedoch das Konzept der Preis- und Kostenverzerrungen an, was letztlich dazu führen könnte, dass China genauso behandelt wird wie zuvor (Garcia-Herrero et al., 2020).
Abschaffung der Handelshemmnisse könnte Inflationsdruck verringern
Die Abbildung veranschaulicht die Auswirkungen der EU-AD-Zölle auf den Handel im Zeitverlauf, indem sie die geschätzten Effekte vor und nach der Erweiterung im Jahr 2004 zeigt. Sowohl die geschätzten Preis,- als auch die Mengenkoeffi zienten sind vor Beginn der Behandlung statistisch nicht signifikant. Zum Zeitpunkt des Beitritts können positive (negative) Preis- (Mengen-) Effekte beobachtet werden. Diese nehmen im Jahr 2005 zu und bleiben bis zum Ende des Stichprobenzeitraums im Jahr 2007 relativ konstant. Dies deutet auf anhaltende Auswirkungen von AD-Zöllen hin. Während die Aufh ebung von AD-Zöllen möglicherweise nicht unmittelbar zu einer Senkung der Vorzollpreise führt, dürfte sie mit Sicherheit die Nachzollpreise senken.
Insgesamt wirft die vorgestellte Forschungsarbeit ein neues Licht auf die tatsächlichen handelsdämpfenden Auswirkungen von AD-Zöllen. EU-AD-Zölle stellen erhebliche Handelshemmnisse dar, die die Importe stark reduzieren. Die geschätzten Koeffizienten sind größer als die bisher in der Literatur gefundenen, was auf stärkere negative Auswirkungen auf den Wohlstand hindeutet als bisher angenommen. Die handelszerstörende Wirkung der AD-Zölle bei Einfuhren aus China und anderen Exporteuren mit NMWS ist besonders stark ausgeprägt. Andererseits zeigen sich für diese Länder keine Preiseffekte (vor Zoll), während sie für MWS-Exporteure positiv sind. Die Abschaffung von Antidumpingzöllen könnte den aktuellen Druck auf die Input- und Verbraucherpreise in der EU daher verringern, insbesondere in der Metall- und Chemieindustrie. Schließlich ist zu erwarten, dass die jüngste Abkehr der EU vom NMWS-Konzept – sofern sie vollständig umgesetzt wird – Auswirkungen auf die Wirksamkeit ihrer AD-Politik haben wird. Insbesondere kann das MWS-Konzept zu einem Anstieg der Vorzollpreise führen. Immerhin ist dies das offizielle Ziel des Instruments, wenngleich ein weiterer Preisanstieg angesichts des derzeitigen Umfelds sicherlich nicht wünschenswert ist.
Zugehörige Publikationen
Literatur:
Bown, C.P. (2015, 2020). Global Antidumping Database. The World Bank.
Eurostat (2021). Producer Prices in Industry, Domestic Market – Monthly Data.
Eurostat (2017). Eurostat COMEXT Database.
Felbermayr, G., und A. Sandkamp (2021). Antidumpingzölle, Preise und China: Freihandel als Retter in der Not? WIFO Research Brief 12/2021.
Garcia-Herrero, A., et al. (2020). EU-China Trade and Investment Relations in Challenging Times. European Parliament.
Sandkamp, A. (2020). The Trade Effects of Antidumping Duties: Evidence From the 2004 EU Enlargement. Journal of International Economics 123.
Yalcin, E., A. Sandkamp und P. Lang (2016). Reformen der EU-Handelsschutz-Instrumente. Unter Berücksichtigung des Marktwirtschaftsstatus der Volksrepublik China. Bertelsmann Stiftung.