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Trotz Milliardensummen: Europas Aufrüstung droht zu scheitern
Das ist das Ergebnis eines gemeinsamen Reports des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und Bruegel. Er basiert auf der Auswertung des Kiel Military Procurement Trackers, der die militärische Produktion Russlands und die militärischen Bestellungen Deutschlands, des Vereinigten Königreichs, Polens und (mit Einschränkungen) Frankreichs systematisch für den Zeitraum von 2020 bis 2025 erfasst. Der Bericht enthält noch viele weitere Daten mit militärischem Bezug, etwa zur Produktion, Anzahl der Beschäftigten oder Importen.
Jetzt Report lesen: Fit for war by 2030? European rearmament efforts vis-a-vis Russia
Zwar sind die Produktionsmengen für Artilleriegeschosse und Haubitzen in Europa erheblich gestiegen und decken fast den Bedarf für eine glaubhafte und eigenständige Abschreckung gegenüber Russland. Neben Millionen Artilleriegranaten produzieren verschiedene europäische Hersteller mittlerweile jährlich über 400 Artilleriehaubitzen, im Jahr 2022 waren es noch 168. Allerdings: Die Produktionsmengen für Panzer, Schützenpanzer, Raketen und Kampfflugzeuge sind weiterhin niedrig. Bei Panzern und Infanteriefahrzeugen müsste die Produktion um einen Faktor von bis zu sechs steigen, um mit der Geschwindigkeit Russlands bei der Aufrüstung mitzuhalten, rechnen die Forscher vor. Auch die europäische Produktion von Raketen mit verschiedenen Reichweiten sollte dringend steigen, um die europäische Abschreckungsfähigkeit zu erhöhen.
Stärkerer Fokus auf Innovationen notwendig
Die Forscher zeigen auch, dass die Produktion modernster Waffensysteme in Europa weiterhin niedrig und die technologische Abhängigkeit von den USA hoch ist. Die Kosten vieler Waffensysteme in Europa sind im internationalen Vergleich sehr hoch.
„Trotz hoher Verteidigungsausgaben in Europa kann die Aufrüstung scheitern, wenn die europäische Integration der Verteidigungsmärkte nicht vorankommt“, sagt Guntram Wolff, Professor an der Solvay Brussels School und Autor des Reports. „Gemeinsame Bestellungen bestimmter Waffensysteme beim jeweils kosteneffektivsten Anbieter im europäischen Markt würden die Kosten senken.“ Solche gemeinsamen Groß-Bestellungen senken Stückpreise, weil größere Mengen billigere industrielle Produktion erlauben, während die Öffnung der nationalen Märkte zu mehr Wettbewerb und damit ebenfalls zu Kostensenkungen führt.
Neben Sammelbestellungen sehen die Experten auch einen stärkeren Fokus auf Innovationen als notwenige Voraussetzung an, um die Verteidigungsziele der europäischen Staaten zu erreichen. „Rüstungspläne müssen sich jetzt verstärkt auf neue Technologien konzentrieren, die in der Ukraine ihre Effektivität gezeigt haben“, sagt Wolff. Die Erhöhung von Produktionskapazitäten, zum Beispiel für Drohnen oder unbemannte Fahrzeuge, sei unzureichend. Der Aufbau von eigenen Cloud-Computing- und KI-Zentren ebenfalls wichtig.
Gleichzeitig müssten Europas Investitionen in Forschung und Entwicklung im Verteidigungsbereich steigen. Europäische Staaten investieren in diesem Feld mit 13 Milliarden Euro nur einen Bruchteil dessen, was die USA mit 145 Milliarden Dollar in militärische Forschung und Entwicklung stecken. „So bleibt Europa technologisch hinter den USA, China und Russland zurück – etwa bei Drohnen, Raketen und digitaler Kriegsführung“, warnt Wolff.
Eine europäische Innovationsagentur nach dem Vorbild der DARPA in den USA könne das ändern. Ziel müsse es sein, Rüstungs-Start-ups einen genauso guten Zugang zu Bestellungen zu geben wie etablierten Unternehmen. So könnten neue Unternehmen moderne militärische Systeme schneller einsatzfähig machen.