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Niedrigwasser-Krise zeigt, wie Klimaschocks Lieferketten verändern
„Selbst vorübergehende Schocks können dauerhafte Auswirkungen auf die Beschaffungsstrategien von Unternehmen haben“, erklärt Saskia Meuchelböck, Forscherin an der Universität Aarhus und Autorin der Studie Navigating Supply Chain Disruptions: How Firms Respond to Low Water Levels. „Die Annahme, dass Unternehmen nach Normalisierung der Bedingungen einfach wieder zum vorherigen Geschäftsalltag zurückkehren, trifft in der Praxis nicht zu. Wir sehen, dass kurzzeitige Klimaschocks zu dauerhaften Veränderungen in Lieferketten führen können.“
Die Studie nutzt die außergewöhnlich niedrigen Wasserstände der deutschen Binnengewässer im Jahr 2018 als natürliches Experiment – und kritischen Stresstest –, um zu untersuchen, wie sich Unternehmen anpassen, wenn Dürreperioden den Rhein und andere wichtige europäische Flüsse auf ein kritisch niedriges Niveau sinken lassen und zentrale Frachtrouten unterbrechen.
Binnenwasserstraßen sind für den Transport von Massengütern wie Kohle, Erze und Chemikalien von zentraler Bedeutung. Ihre Unterbrechung stellt die Produktionssysteme vor erhebliche Herausforderungen. Durch die Verknüpfung deutscher Handelsdaten mit Transportinformationen analysiert die Studie, wie sich temporäre Schocks auf die Geschäftstätigkeit von Unternehmen auswirken.
Wichtige Ergebnisse sind:
- Erhebliche Beeinträchtigungen der Binnenschifffahrt: Der Gütertransport auf Binnenwasserstraßen ging während der Niedrigwasserperiode stark zurück, mit einem Rückgang der Exporte um fast 20 Prozent und der Importe um 12 Prozent.
- Angebotsseitige Einschränkungen: Unternehmen, die für ihre Importe auf die Binnenschifffahrt angewiesen waren, verzeichneten einen Rückgang ihrer Exporte um rund 4 Prozent – unabhängig davon, wie diese transportiert wurden. Am stärksten betroffen waren Firmen mit wenigen logistischen Alternativen.
- Anhaltende Anpassungen: Selbst nach Normalisierung des Wasserstands mieden Unternehmen weiterhin die Binnenschifffahrt und setzten stattdessen auf Schiene und Straße. Besonders ausgeprägt war diese Umstellung bei zeitkritischen Gütern – etwa bei Zwischenprodukten wie Chemikalien oder bei Verbrauchsgütern wie Lebensmitteln.
Die Ergebnisse haben weitreichende Implikationen. Binnenwasserstraßen gelten als kosteneffizient und emissionsarm und sind ein zentraler Bestandteil der europäischen Dekarbonisierungsstrategie. Die Studie zeigt jedoch ihre Anfälligkeit gegenüber dem Klimawandel, da extreme Wetterereignisse häufiger und gravierender werden.
„Die Verkehrsinfrastruktur ist das kritische, aber zugleich fragile Rückgrat unserer Lieferketten“, erläutert Meuchelböck. „Da der Klimawandel die Rahmenbedingungen verändert, erfordert Resilienz nicht nur eine Diversifizierung der Lieferanten, sondern auch der Transportmittel. Das kann zugleich mehr Verkehrsaufkommen an anderer Stelle bedeuten. Resiliente Lieferketten benötigen daher sowohl diversifizierte Logistikstrategien seitens der Unternehmen als auch Investitionen in klimaadaptive Infrastruktur durch Politik und Wirtschaft – wobei eine sorgfältige Balance zwischen Klimaschutzzielen und der Notwendigkeit, Verkehrssysteme gegen klimabedingte Schwachstellen zu sichern, gefunden werden muss.“
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Über RETHINK-GSC
Das Projekt „Rethinking Global Supply Chains: Measurement, Impact and Policy“ (RETHINK-GSC) erfasst die Auswirkungen von Wissensflüssen und Dienstleistungsinputs in globalen Lieferketten (GSCs). Forscher aus 11 Instituten wenden ihr breites Fachwissen in einem multidisziplinären Ansatz an, entwickeln neue Methoden und nutzen innovative Techniken, um die zunehmende Bedeutung immaterieller Werte in globalen Lieferketten zu analysieren, zu messen und zu quantifizieren und um neue Einblicke in aktuelle und erwartete Veränderungen in globalen Produktionsprozessen zu gewinnen.