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Trotz Corona: Europas Süden braucht Tourismus

Chairs with tables in typical Greek tavern in Little Venice part of Mykonos town, Mykonos island, Greece

„Die südeuropäischen Urlaubsländer brauchen für ihren Dienstleistungsexport den Europäischen Binnenmarkt genauso wie der Warenexporteur Deutschland“, sagt IfW-Forscher Klaus Schrader. Gemeinsam mit Claus-Friedrich Laaser hat er umfassend Daten rund um die Tourismusbranche in der Europäischen Union in dem heute erschienenen Kiel Policy Brief „Erholung durch Reisefreiheit: Warum Südeuropa in der Corona-Krise den Tourismus braucht“ analysiert. „Die Beschränkungen der Reisefreiheit und die weitreichenden Infektionsschutzmaßnahmen stellen in den Urlaubsländern Südeuropas die Existenz vieler Tourismusbetriebe in Frage und verschärfen die wirtschaftliche Krise in den tourismusintensiven EU-Staaten“, so Schraders zentrale Schlussfolgerung.

Mit der Aufhebung der Reisewarnungen im Juni hätten die Volkswirtschaften in Südeuropa zumindest eine Perspektive erhalten, den pandemiebedingten wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. „In den touristisch wichtigen Sommermonaten wird sich entscheiden, wie groß der Verlust ausfallen wird“, so Schrader. Der Wegfall des Auslandstourismus in den Monaten von April bis Juni hat vor allem Zypern, Malta und Griechenland getroffen, die 25 bis 30 Prozent ihrer jährlichen Übernachtungen verloren haben dürften. Bei einem Fernbleiben der Auslandstouristen in den verbleibenden Sommermonaten ständen in Griechenland und Zypern bereits 80 Prozent der jährlichen Übernachtungen zur Disposition, in Kroatien könnte sich der Verlust aufgrund der starken Konzentration auf die Hochsommermonate auf 90 Prozent belaufen. Selbst Spanien mit einem größeren Inlandstourismus und einer geringeren regionalen und saisonalen Konzentration droht ohne Auslandstourismus bis zum Ende des Sommerhalbjahrs der Verlust von knapp 50 Prozent bzw. von 224 Millionen der jährlichen Übernachtungen.

Die Verluste im Tourismussektor wären besonders schmerzlich, da das wirtschaftliche Gewicht der tourismusrelevanten Dienstleistungen in den Urlaubsländern Südeuropas teilweise sehr hoch ist. Bei Ländern mit einer besonders hohen Tourismusintensität entfallen nach Schätzungen der EU 15 bis 25 Prozent des BIP auf diesen Sektor, nach Berechnungen der Autoren bewegt sich der Beschäftigungsanteil des touristischen Kernbereichs auf einem Niveau um 10 Prozent der Gesamtbeschäftigung – bei Berücksichtigung weiterer tourismus-relevanter Beschäftigungsanteile, beispielsweise im Einzelhandel, könnten Werte um 20 Prozent erreicht werden. „Ausfälle im Urlaubsgeschäft würden gerade die ärmeren Volkswirtschaften in der EU treffen, in denen der von der EU geförderte Tourismus einen Beitrag zur Überwindung der Wirtschaftskrise geleistet hat.“ Das im Tourismus besonders starke Kroatien erreiche gerade einmal etwas mehr als 40 Prozent des EU-Pro-Kopf-Einkommens und auch Griechenland, das nach der Wirtschafts- und Finanzkrise erst seit 2017 wieder wachse, belegt mit 55 Prozent einen Platz im hinteren Drittel.

Für den Fall, dass die Reisenden in diesem Jahr tatsächlich ausbleiben, haben die südeuropäischen Urlaubsländer bereits die Berücksichtigung des Tourismus beim europäischen Wiederaufbauplan eingefordert. „Dies ginge vor allem zu Lasten der EU-Nettozahler“, sagt Schrader. Natürlich seien auch die Urlaubsländer in einer Bringschuld: Der Tourismus in Corona-Zeiten werde nur unter stimmigen und transparenten Infektionsschutzauflagen wieder Tritt fassen können. Die von den beiden Forschern zusätzlich analysierten Daten zum regionalen Infektionsgeschehen zwischen dem 5. Mai 2020 und dem 16. Juni 2020 (Zeitpunkt der Aufhebung der Reisewarnung durch das Auswärtige Amt) zeigen aber auch: Die südeuropäischen Urlaubsregionen haben bisher fast durchgehend den Vorteil niedriger Infektionsraten und eines unauffälligen Infektionsgeschehens. Am Beispiel von Spanien und Griechenland lässt sich zeigen, dass sich das Infektionsgeschehen eher auf die Metropolregionen konzentriert, die wichtigsten Urlaubsregionen in den Ländern aber eine noch deutlich geringere Covid-19-Intensität aufweisen. Bei den Urlaubsländern und Veranstaltern verbleibt aber eine Informationspflicht über das Geschehen am aktuellen Rand, damit Reisende die potenziellen Risiken einschätzen können.