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IfW Konjunkturprognose: Wirtschaft verliert nach Aufholjagd an Tempo

Woman grocery shopping with mask during the pandemic

Branchen, die auf soziale Kontakte besonders angewiesen sind, wie etwa Gaststätten, Tourismus oder das Veranstaltungsgewerbe, sind in ihrer Geschäftstätigkeit weiterhin stark eingeschränkt. Deren Anteil an der deutschen Gesamtwirtschaft veranschlagen die Forscher des IfW Kiel auf etwa 6 Prozent. Sie dürften noch längere Zeit deutlich unterausgelastet bleiben und erst dann die Erholung stützen, wenn Maßnahmen des Seuchenschutzes weitgehend entfallen. Das wird nach Erwartung der Forscher erst ab Frühjahr 2021 nach und nach geschehen. Zudem bremsen die wirtschaftlichen Schäden, die die Corona-Pandemie verursacht hat, noch geraume Zeit die Weltwirtschaft. „Die Krise hat insbesondere das Eigenkapital vieler Unternehmen belastet, was deren Investitionstätigkeit weltweit noch längere Zeit dämpfen dürfte. Die deutsche Wirtschaft spürt das als Lieferant von Ausrüstungsgütern im Exportgeschäft besonders. Dass Unternehmen ihre Kunden oft nicht persönlich treffen können, bremst zusätzlich das Neugeschäft“, erläutert Stefan Kooths, Prognosechef am IfW Kiel.

Im zweiten und dritten Quartal hat sich die Wirtschaft nach Einschätzung der Forscher V-förmig kräftig erholt, was sie zum Teil auf Nachholeffekte sowohl in der Industrie als auch im Einzelhandel zurückführen. „Den Großteil des Einbruchs aus der Lockdown-Phase hat die deutsche Wirtschaft zwar bereits aufgeholt, aber die Kapazitäten sind trotzdem längst noch nicht normal ausgelastet“, sagte Kooths. Für das dritte Quartal zeichnet sich eine kräftige Zuwachsrate im Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 6,2 Prozent ab nach minus 9,7 Prozent im Vorquartal; anschließend verlangsamt sich die Erholung. „Insgesamt ist der Wirtschaftsmotor wieder angesprungen, aber er läuft noch längere Zeit untertourig. Das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung kommt erst gegen Ende des kommenden Jahres in Sicht und liegt dann immer noch 3 Prozent unter dem Niveau, das ohne Corona-Krise möglich gewesen wäre.“

Zwar ging die aktuelle Erholung schneller als die nach der Weltfinanzkrise 2008/09, doch am Arbeitsmarkt hinterlässt die Corona-Krise deutlichere Spuren: Trotz des massiven Rückgriffs auf die Kurzarbeiterregelung sind schätzungsweise 810.000 Arbeitsplätze weggefallen – vor allem in der Gastronomie und in der Arbeitnehmerüberlassung (Zeitarbeit). Die Arbeitslosenzahl wäre derzeit ohne Corona-Rezession schätzungsweise um 640.000 niedriger. Der Tiefpunkt der Krise scheint aber durchschritten, denn seit der Jahresmitte deuten die Daten auf einen allmählichen Beschäftigungsanstieg hin. Allerdings wird es voraussichtlich bis Anfang 2022 dauern, bis der Beschäftigungseinbruch wieder vollständig aufgeholt ist. Die Arbeitslosenquote dürfte in diesem Jahr 5,9 Prozent und im nächsten 5,8 Prozent betragen.

Wegen der Hilfspakete der Regierung und des Konjunkturabsturzes verbuchen die öffentlichen Haushalte nach einem Überschuss im Jahr 2019 in diesem Jahr einen der größten jemals gemessenen Fehlbeträge. Das Minus wird wohl bei rund 5 Prozent im Verhältnis zum BIP liegen. Der Bruttoschuldenstand dürfte um nahezu 300 Mrd Euro auf 70% des BIP zulegent.

In den Ländern des Euroraums, zu denen Deutschlands wichtigste Exportmärkte zählen, wurde die Wirtschaft nach dem historisch einmaligen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 15 Prozent im ersten Halbjahr nach Ende des Lockdowns schrittweise wieder hochgefahren. Im Zuge der kräftigen Erholung dürften im dritten Quartal knapp zwei Drittel des Rückgangs im Produktionsniveau aufgeholt werden. In den nächsten Quartalen wird die Erholung allerdings voraussichtlich weitaus schleppender verlaufen. „Angesichts stark steigender Infektionszahlen in einigen Mitgliedsländern besteht große Unsicherheit über den Fortgang der Pandemie, insbesondere im bevorstehenden Winterhalbjahr. Zudem drohen Nach- und Folgewirkungen der drastischen Umsatz- und Einkommensverluste in der bisherigen Krise nach und nach sichtbar zu werden“, sagt Kooths. So stiegen die Arbeitslosenzahlen zuletzt wieder in praktisch allen Mitgliedsländern, und dieser Trend dürfte sich vorerst fortsetzen. Insgesamt wird das BIP der Euro-Länder im laufenden Jahr voraussichtlich um 7,1 Prozent zurückgehen, im kommenden Jahr erwarten die IfW-Forscher einen Zuwachs um 5,3 Prozent und im Jahr 2022 von 2,6 Prozent. Damit wird das Vorkrisenniveau wohl erst im Verlauf des Jahres 2022 wieder überschritten.

Weltweit ist die Wirtschaftsleistung im ersten Halbjahr 2020 um annähernd 10 Prozent gesunken. Nach einem Rückgang um 3 Prozent im ersten Quartal brach die Weltproduktion im zweiten Quartal um rund 7 Prozent ein. Inzwischen hat eine Erholung eingesetzt, die für das dritte Quartal hohe Zuwachsraten erwarten lässt, wie sie China bereits im Frühjahr verzeichnete. Anders als dort wird die Produktion aber in den meisten Ländern noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau bleiben. Die Lage dürfte sich erheblich langsamer normalisieren, auch weil bedeutende Teile der Wirtschaft noch länger unter Corona-bedingten Einschränkungen leiden werden. Im laufenden Jahr wird wohl ein Rückgang der Weltproduktion (gemessen auf Basis von Kaufkraftparitäten) von 3,6 Prozent zu verzeichnen sein. Für 2021 rechnen die IfW-Forscher zwar mit einem kräftigen Anstieg der Produktion um 6,7 Prozent. Doch das Niveau der Weltproduktion wird auf längere Zeit deutlich unter dem Pfad bleiben, der noch zu Jahresbeginn zu erwarten war.

Die Schritte der deutschen Wirtschaftspolitik zur Eindämmung der Krise beurteilen die Forscher als durchwachsen: Die unmittelbare Krisenreaktion wie staatliche Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen und die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes waren gerechtfertigt, um grundsätzlich gesunde Wirtschaftsstrukturen vorübergehend zu erhalten. Doch mit zunehmender Dauer der staatlichen Hilfen wachsen die schädlichen Nebenwirkungen. „Die Instrumente sollten schrittweise zurückgefahren werden, statt sie immer weiter zu verlängern. Sonst drohen sie ineffiziente Strukturen der Wirtschaft zu konservieren“,sagte Kooths. „Maßnahmen zur Stärkung der Massenkaufkraft, wie etwa die Mehrwertsteuersenkung, helfen den Unternehmen und ihren Beschäftigten kaum, weil eine hohe Sparquote auf eine ohnehin zurückgestaute Kaufkraft hindeutet. Den Menschen fehlt es nicht an Kaufkraft, sondern an Gelegenheit oder Bereitschaft, das Geld auch auszugeben. In der Krise vermengen sich zudem konjunkturelle und strukturelle Entwicklungen, auf die die Wirtschaftspolitik jeweils gesondert reagieren sollte. Falsche Regulierungen erschweren zum Teil den Wirtschaftsprozess.“

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Hinweis: In einer früheren Version dieser Medieninformation hieß es, der Schuldenstand des Staates lege um nahezu 300 Mrd. Euro zu, was gut 70 Prozent des BIP entspreche. Diesen Fehler haben wir korrigiert.