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IfW Konjunkturprognose: Erholung erfolgt nur langsam

Panoramic view of a container ship in port of Hamburg

„Der Tiefpunkt der Krise liegt hinter uns. Das ist noch keine Entwarnung, denn der Tiefpunkt war extrem tief. Das schwächt die Unternehmen und belastet die Erholung. Der Wiederanstieg der Produktion wird langwieriger als der Absturz, ähnlich wie beim Bergsteigen, auch weil die Wirtschaft Blessuren davongetragen hat. Im zweiten Quartal dürfte das Bruttoinlandsprodukt drastisch um 12 Prozent geschrumpft sein. Damit markiert die Corona-Krise den schärfsten Wirtschaftseinbruch seit Bestehen der Bundesrepublik, niemals zuvor gab die wirtschaftliche Aktivität in Deutschland schneller und drastischer nach“, sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths zur heute veröffentlichten Sommerprognose für Deutschland und die Weltwirtschaft bis 2021.

Gegenüber seiner Interimsprognose Mitte Mai rechnet das IfW Kiel mit einem noch etwas tieferen Einbruch im zweiten Quartal, erwartet nun aber in der zweiten Jahreshälfte ein etwas kräftigeres Wiederanziehen der Produktion, auch aufgrund der Impulse des jüngsten Konjunkturpakets. Dieses dürfte über die Mehrwertsteuersenkung insbesondere bei langlebigen Konsumgütern auch zu Vorzieheffekten führen, so dass einem Teil der anregenden Wirkung in diesem Jahr dämpfende Effekte im kommenden Jahr gegenüberstehen (Jo-Jo-Effekt). Insgesamt rechnet das IfW Kiel mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2020 um 6,8 Prozent (Interimsprognose: minus 7,1 Prozent) und mit einem Anstieg 2021 um 6,3 Prozent (7,2 Prozent).

Die weltwirtschaftliche Aktivität ist infolge der Covid-19-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 um fast 10 Prozent gesunken, der Tiefpunkt der Krise lag auch hier im April. Der Ausblick für die fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist inzwischen nicht mehr ganz so ungünstig als noch vor einigen Wochen. 2020 dürfte die Weltproduktion um 3,8 Prozent schrumpfen (Interimsprognose: minus 4 Prozent), für 2021 rechnet das IfW Kiel mit einem kräftigen Anstieg um 6,2 Prozent (6,5 Prozent).

Konsum bricht ein, Sparquote schnellt in die Höhe

Die Maßnahmen der Bundesregierung prägen das deutsche Konjunkturbild nicht wesentlich. Der Einbruch ging auch – entgegen sonstiger Muster – auf die privaten Konsumausgaben zurück, die sonst ein stabilisierender Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung sind. Das IfW Kiel rechnet nach dem Rückgang um 3,2 Prozent im ersten Quartal – dem bislang größten Minus beim privaten Verbrauch im vereinten Deutschland – mit einem noch weitaus größeren Rückgang für das zweite Quartal von 13 Prozent.

Maßgeblich hierfür waren mangelnde Konsummöglichkeiten. In der Folge dürfte allein im ersten Halbjahr Kaufkraft in Höhe von fast 80 Mrd. Euro zurückgestaut worden sein, auf Jahressicht sogar 130 Mrd. Euro. Dies kommt in einem sprunghaften Anstieg der privaten Sparquote zum Ausdruck, die im zweiten Quartal auf einem Allzeithoch von über 23 Prozent und auf Jahressicht bei 17,3 Prozent liegen dürfte, nach 10,9 Prozent im Jahr 2019. „Diese Kaufkraft wird sich in Konsumnachfrage entladen, sobald es die Umstände wieder erlauben. Anschieben muss man den Konsum nicht, es reicht, dass sich die Bremsen lösen“, so Kooths.

Exporte auf absehbare Zeit unter Vorkrisenniveau, Leistungsbilanzüberschuss sinkt deutlich

Demgegenüber lastet die globale Wirtschaftskrise hartnäckig auf den deutschen Exporten, denn die globale Investitionsschwäche bleibt für die vor allem auf Ausrüstungsgüter ausgerichtete deutsche Exportwirtschaft im gesamten Prognosezeitraum ein hemmender Faktor. Auf Jahressicht dürften die Exporte 2020 um 12,5 Prozent zurückgehen und im nächsten Jahr um 8,7 Prozent zulegen, damit liegen sie auch Ende nächsten Jahres noch deutlich unter Vorkrisenniveau. Der Leistungsbilanzüberschuss sinkt von über 7 Prozent auf unter 5 Prozent in beiden Jahren.

Auch im Inland halten sich Unternehmen mit Investitionen stark zurück, die Ausrüstungsinvestitionen brechen dieses Jahr um 22 Prozent ein und steigen im nächsten Jahr um 14 Prozent. Am wenigsten von der Krise betroffen ist die Bauwirtschaft. Die Bauinvestitionen legen auch 2020 zu, um 0,8 Prozent, 2021 steigen sie dann wieder kräftiger, um 2,6 Prozent.

Die Verbraucherpreise dürften dieses Jahr um schwache 0,6 Prozent steigen und 2021 um kräftige 2,7 Prozent, wobei Energiepreiseffekte und temporär niedrigere Mehrwertsteuersätze die Teuerungsraten prägen. Auf dem Arbeitsmarkt kann auch die massive Inanspruchnahme der Kurzarbeit die starken Produktionsrückgänge nur zum Teil abfedern. Die Zahl der Beschäftigten sinkt zwischenzeitlich auf unter 44,3 Millionen und die Arbeitslosenquote dürfte von 5 Prozent im Jahr 2019 auf 6,1 Prozent im Jahr 2021 steigen.

Konjunkturpaket größer als 130 Mrd. Euro, fiskalischer Impuls geringer

Die Corona-Pandemie reißt größere Löcher in die öffentlichen Haushalte als je eine Krise zuvor in der Nachkriegszeit. Das Budgetdefizit wird im laufenden Jahr wohl auf rund 6 Prozent in Relation zum BIP (192 Mrd. Euro) hochschnellen und auch im kommenden Jahr, wenn sich die Einnahmen wieder stabilisiert haben und viele der Hilfsprogramme ausgelaufen sind, noch über 3 Prozent (111 Mrd. Euro) betragen. Der Schuldenstand wird voraussichtlich von 60 Prozent in Relation zum BIP im Jahr 2019 auf über 70 Prozent steigen.

Das Konjunkturpaket enthält Maßnahmen, die deutlich über die genannten 130 Milliarden Euro hinausgehen. Zählt man alle Posten im Eckpunktepapier zusammen, kommt man auf die Summe von 170 Mrd. Euro. Offenbar rechnet die Bundesregierung damit, dass in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr als 130 Milliarden Euro ausgegeben werden können. Das Eckpunktepapier liefert allerdings keine ausreichenden Angaben zur zeitlichen Verteilung der Maßnahmen. Den finanzpolitischen Impuls des Konjunkturpakets schätzt das IfW Kiel auf 80 Mrd. Euro (2,3 Prozent des BIP) in diesem Jahr und 50 Mrd. Euro (1,4 Prozent) im nächsten Jahr.

Kooths: „Das Konjunkturpaket enthält im großen Umfang Maßnahmen, die den Massenkonsum stärken sollen. Fehlende Massenkaufkraft ist aber nicht die Achillesferse der deutschen Wirtschaft. Das Paket wird daher den beabsichtigten Stabilisierungserfolg verfehlen. Auch weil es nicht robust gegenüber einem ungünstigen Pandemieverlauf ist. Es kommt jetzt darauf an, das Gros der Unternehmen über die kommenden, noch sehr unsicheren Quartale zu bringen. Und zwar durch direkte Zuschüsse, nicht über den Umweg des privaten Verbrauchs.“

In dieser Prognose ist unterstellt, dass bis zum Frühjahr 2021 die Pandemie medizinisch weitgehend bewältigt ist, so dass sich die wirtschaftliche Aktivität ab dann ohne nennenswerte seuchenpolitische Einschränkungen wieder frei entfalten kann. Je nachdem, ob hinsichtlich der Infektionsgefahren früher oder später Entwarnung gegeben werden kann, bestehen Auf- und Abwärtsrisiken für die wirtschaftliche Entwicklung.