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So viel Wohlstand bringt die EU

Flags in front of European Union building

Dabei hat der Binnenmarkt, also die Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse etwa durch die gegenseitige Anerkennung von Normen und Standards, den Mitgliedsländern die größten Wohlfahrtsgewinne beschert, er macht die Europäische Union als Ganzes jedes Jahr um 643 Milliarden Euro und Deutschland um 132 Milliarden Euro reicher. „Der Binnenmarkt ist das Kronjuwel der EU-Integration“, sagte Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel), anlässlich unter seiner Federführung durchgeführter Berechnungen.

Gemeinsam mit weiteren Forscherinnen und Forschern hat er untersucht, welche Kosten den EU-Mitgliedsländern durch die Abwicklung einzelner Integrationsmaßnahmen entstehen, um dadurch im Umkehrschluss die hohen Wohlfahrtsgewinne aufzuzeigen, welche die (noch) 28 Mitgliedsländer daraus ziehen konnten. Berechnet wurden die Folgen einer Abwicklung der Europäischen Zollunion, des Europäischen Binnenmarktes, der Europäischen Währungsunion, der Schengen-Vereinbarung und der Freihandelsabkommen der EU mit Drittländern.

Auch die Effekte von Fiskaltransfers nach und aus Brüssel sind berücksichtigt. Dabei stellen die Forscher nur auf Handelseffekte ab, Effekte der Freizügigkeit von Kapital und Arbeit werden nicht beachtet. Die Ergebnisse beschreiben daher Untergrenzen, sie sind unter dem Titel „Die (Handels-)Kosten einer Nicht-EU“ in der Schriftenreihe Kiel Policy Brief erschienen.

Eine Abwicklung des EU-Binnenmarktes hätte im Verhältnis stärkere negative Effekte auf Produktion, Handel und Einkommen der Mitgliedsländer, als die Abschaffung aller anderen Integrationsschritte zusammen. Für große Länder wie Deutschland macht der Binnenmarkt circa 80 Prozent des Gesamteffektes aus. In kleineren Ländern, die stark von Nettotransfers profitieren, ist der relative Beitrag des Binnenmarktes kleiner. In Polen oder Ungarn beträgt er nur 50 Prozent des Gesamteffektes, in Litauen liegt er unter 50 Prozent.

Großbritannien profitiert am wenigsten von seiner Mitgliedschaft im Binnenmarkt, weil das Land vor allem im Dienstleistungssektor aktiv ist, wo der Binnenmarkt weniger Vorteile bietet, und auch aufgrund geringerer Sprachbarrieren mehr Handel auch außerhalb des Binnenmarktes betreibt.
 
„Der Binnenmarkt ist der Wohlfahrtsmotor der EU und der Zugang dazu ihr stärkster Trumpf in internationalen Verhandlungen“, sagte Felbermayr. „Daher sollte die europäische Politik durch ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten auch den Ländern einen Zugang dazu ermöglichen, denen die Kompetenzverlagerung auf die supranationale Ebene zu weit oder zu schnell geht. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf das Vereinigte Königreich und den Brexit.“

Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen würden bei einer Abwicklung des Binnenmarktes insbesondere die kleineren EU-Länder einen Rückgang verzeichnen wie Luxemburg (-19,7 Prozent) und Malta (-14,3 Prozent) sowie mittel-und osteuropäische Mitgliedstaaten wie Ungarn (-10,6 Prozent), die Tschechische Republik (-9,5 Prozent), die Slowakische Republik (-9,5 Prozent), Slowenien (-7,7 Prozent), Estland (-7,8 Prozent) oder Polen (-5,9 Prozent). Die Einkommenseffekte für die größeren Länder wie Deutschland (-3,9 Prozent), Frankreich (-2,9 Prozent), Italien (-2,5 Prozent) oder das Vereinigte Königreich (-2,3 Prozent) fallen dagegen deutlich geringer aus.

Die Abschaffung der Europäischen Zollunion hat deutlich geringere Effekte. Die größten Einkommensverluste hätten Irland (-0,7 Prozent), die Tschechische Republik (-0,4 Prozent) und die Niederlande (-0,4 Prozent) zu verbuchen. Für einige EU-Mitgliedsländer wären die Einkommenseffekte aufgrund der Zolleinnahmen sogar leicht positiv.

Eine Auflösung der Eurozone würde mit Einkommensverlusten für alle Eurozonenmitglieder einhergehen. Am stärksten wäre Luxemburg (-3,9 Prozent), am geringsten Italien (-0,3 Prozent) betroffen. Die höchsten Einkommensverluste bei einer Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengen-Raum hätten periphere und ärmere Mitgliedsländer wie Ungarn, Estland, Slowenien, Lettland, Litauen oder die Tschechische Republik zu tragen. Eine Aufkündigung aller regionaler Freihandelsabkommen würde die Mitgliedsländer der EU verhältnismäßig schwach treffen, während Partnerländer der Abkommen wie die Schweiz (-1,2 Prozent) Einkommensverluste hinnehmen müssten.