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Mehr als ein Viertel der Entwicklungshilfe bleibt in den Geberländern

Sahel Food Crisis 2012: Drawing water from a well in the community of Natriguel, Mauritania

Im Rahmen des MEDAM-Projekts (Mercator Dialogue on Asylum and Migration) analysierten die Entwicklungsexperten Mauro Lanati (Migration Policy Centre am Europäischen Hochschulinstitut) und Rainer Thiele (Institut für Weltwirtschaft Kiel) die Entwicklungshilfeausgaben der reichen Länder.

Die Analyse der Geberländerausgaben für Entwicklungshilfe, die jährlich von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris erfasst werden, zeigt, dass ein erheblicher Teil der Entwicklungshilfe innerhalb der eigenen Grenzen der Geberländer selbst ausgegeben wird. Diese sogenannte „non-transferred aid“ (Hilfsgelder, die nicht an Entwicklungshilfeländer weitergeleitet werden) machte mehr als 25 Prozent der Gesamthilfe im Jahr 2016 aus – dem letzten Jahr, für das Daten aus 29 Geberländern und 125 Empfängerländern vorliegen. Ein Trend, der sich weiterhin fortsetzt, wenn man sich die neueren Daten der Geberländer ansieht.

„In der öffentlichen Debatte wird nicht immer deutlich, was Entwicklungshilfe eigentlich beinhaltet. Sie ist nicht immer gleichbedeutend mit direkter Hilfe für die Entwicklungsländer und die Menschen dort“, erläutert Rainer Thiele. „In den seltensten Fällen handelt es sich um Geldbeträge, die direkt vom Spender an den Empfänger gehen. “

Die Einbeziehung von nicht-transferierten Leistungen in die gesamte Entwicklungshilfestatistik erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass den einkommensschwachen Ländern hohe Summen zur Verbesserung der Lebensbedingungen zur Verfügung stehen.

„Vor allem die Kosten für Flüchtlinge, die in den Geberländern leben, fallen auf. Im Gegensatz zu anderen Arten nicht-transferierter Leistungen wie Schuldenerlässe, stehen die Kosten für Flüchtlinge im Geberland in keinem Bezug zur Verbesserung der Lebensbedingungen in armen Ländern“, so Thiele. „In Deutschland führten die hohen Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen 2015 und 2016 zu einer deutlichen Erhöhung der Gesamtausgaben für Entwicklungshilfe.“

„Solche Ausgaben dienen natürlich wichtigen Zwecken wie einer menschenwürdigen Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden, sind aber etwas völlig anderes als der Transfer von Ressourcen an Entwicklungsländer, um dort die Lebensbedingungen zu verbessern.“

Entwicklungshilfe zur Reduzierung irregulärer Migration?

Die Ergebnisse der Studie stehen daher im Kontrast zu der Rhetorik vieler europäischer Politikerinnen und Politiker.

Seit der „Flüchtlingskrise“ und den Wahlerfolgen der populistischen Parteien mit Anti-Einwanderungsagenda suchen politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger nach Instrumenten, Migration einzuschränken. Die Aufstockung der Entwicklungshilfe wird dabei als ein Schlüsselinstrument genannt. Die langfristige Entwicklungshilfe solle dazu beitragen, die eigentlichen Ursachen der Migration zu bekämpfen und bessere Verdienstmöglichkeiten, eine qualitativ hochwertige Bildung und bessere öffentliche Dienstleistungen zu schaffen. Diese Maßnahmen sollen den Menschen einen Anreiz geben, in ihren Heimatländern zu bleiben.

Doch die Studie der beiden MEDAM-Forscher illustriert, dass der Anstieg der Entwicklungshilfe seit 2015 vor allem auf Ausgaben für Flüchtlinge in den Geberländern zurückzuführen ist. Ohne den Transfer von Ressourcen in die Entwicklungsländer werden potenzielle Migrantinnen und Migranten allerdings kaum eine Verbesserung ihrer Lebensumstände erfahren.

Dass nicht-transferierte Leistungen in der Regel nicht zur Bekämpfung von Migrationsursachen beitragen, überrascht daher nicht.

„Der hohe Anteil an nicht-transferierten Entwicklungshilfegeldern steht eindeutig im Widerspruch zu der Grundidee von Entwicklungszusammenarbeit, die Entwicklung direkt in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu unterstützen. Umso mehr, seitdem es den politischen Entscheidungsträgern nicht nur um die Förderung von Entwicklung, sondern auch um die Bekämpfung der Fluchtursachen geht“, so Thiele. „Ganz unabhängig davon, dass diese nicht-transferierten Leistungen nur in den seltensten Fällen zur Verringerung der Migration beitragen können, birgt dieser politische Diskurs zudem ein großes politisches Risiko: Bei den Bürgern werden Erwartungen geschürt, die diese Art der Entwicklungshilfe überhaupt nicht erfüllen kann. Das könnte sich später rächen.“

Weitergehende Informationen:

Lanati, M. and R. Thiele. 2019. “Foreign assistance and emigration: accounting for the role of non-transferred aid”. EUI RSCAS Working Paper No. 11, European University Institute, Florence.

Lanati, M. and R. Thiele. 2018. “Development aid can dampen migration if it improves public services.” MEDAM Policy Brief 2018/2 Kiel: Kiel Institute for the World Economy.
 
———. 2018. “Foreign assistance and migration choices: Disentangling the channels.” Economics Letters 172: 148–151.
 
———. 2018. “The impact of foreign aid on migration revisited.” World Development 111: 59–74.

———. 2018. “How Donors Respond to Refugee Movements.” In 2018 MEDAM Assessment Report on Asylum and Migration Policies in Europe, MEDAM (Mercator Dialogue on Asylum and Migration), 109–115. Kiel: Kiel Institute for the World Economy.

  • Melanie Radike - Kiel Institute
    Melanie Radike
    Kommunikationsmanagerin Mercator Dialogue on Asylum and Migration (MEDAM)T +49 (431) 8814-329

    Melanie.Radike@ifw-kiel.de