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Warum Griechenland im Krisenmodus bleibt

Eine Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Situation Griechenlands ist ernüchternd. Auch im siebten Jahr der Rettung sind wichtige strukturelle Defizite ungelöst, Griechenland hängt der EU bei nahezu allen wichtigen Leistungsparametern wie Wirtschaftswachstum, Arbeitsproduktivität oder Realein­kommen mit meist deutlichem Abstand hinterher, teilweise hat sich das Land im Lauf der Jahre sogar verschlechtert. Dies, obwohl mittlerweile das dritte Rettungsprogramm läuft und vergleichbare Programme in den Ländern Irland, Portugal, Zypern und Spanien im ersten Anlauf Erfolg zeigten und keiner zweiten Auflage bedurften, auch wenn von Land zu Land unterschiedliche unerledigte Reformaufgaben verblieben. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse der Autoren David Benček, Claus-Friedrich Laaser und Klaus Schrader vom Wirtschaftspolitischen Zentrum des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. „Das dritte Anpassungsprogramm stellt nur einen neuen Anlauf für die Umsetzung von Altbekanntem dar, was in den letzten sieben Jahren nicht gelungen ist“, sagte Studienleiter Klaus Schrader. „Die Ursache für die schlechte Verfassung der griechischen Wirtschaft ist vor allem in der mangelnden Bereitschaft zur Umsetzung der Reformen in der Politik und der Bevölkerung zu suchen. Die EU muss sich vorwerfen lassen, mit unrealistischen Erfolgsversprechen, die sie Jahr für Jahr korrigieren musste, für Frustration und Misstrauen gegenüber dem Reformprogramm in- und außerhalb Griechenlands gesorgt zu haben. Das Einnahmeziel durch Privatisierungserlöse von 50 Milliarden Euro ist heute so illusionär wie schon im Jahr 2010, ein Betrag von weniger als 15 Milliarden Euro ist wahrscheinlicher.“

Auch drittes Paket kann kurzfristig keine Wende bringen

Das dritte Rettungsprogramm für Griechenland sieht unter anderem die Reform des Arbeitsmarkts, die Modernisierung des Bildungssystems, die Liberalisierung der Produktmärkte, die Verbesserung der unternehmerischen Rahmenbedingungen, eine bessere Regulierung der Netzindustrien, die Fortführung des Privatisierungsprozesses sowie die Reorganisation der öffentlichen Verwaltung und anderer staatlicher Institutionen vor. „Viele, auch fundamentale Reformvorhaben wurden bereits im ersten Rettungspaket beschlossen und stehen für das dritte Rettungspaket immer noch auf der Agenda. Selbst wenn diese entgegen vergangener Erfahrungen nun tatsächlich verwirklicht werden, können sie ihre Wirkung erst mittel- bis langfristig entfalten. Den von der EU mit jedem Rettungs­programm aufs Neue prognostizierte Wachstumsdurchbruch, dieses Mal datiert auf das Jahr 2017, wird es daher wieder nicht geben“, sagte Schrader.

Griechische Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig, Schulden nicht tragfähig

Während im Zeitraum von 2008 bis 2016 das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU um fast 5 Prozent stieg, schrumpfte es in Griechenland um mehr als 25 Prozent. Während die real verfügbaren Einkommen in der EU seit Ausbruch der Krise 2008 zunahmen, haben die griechischen Haushalte bis 2015 einen realen Einkommensverlust in Höhe von 23 Prozent hinnehmen müssen. Problematisch ist in den Augen der Autoren vor allem die Struktur der griechischen Wirtschaft. Der höchste Beschäftigungsanteil des Landes befindet sich in Branchen mit einer im EU-Durchschnitt stark unterdurch­schnittlichen Arbeitsproduktivität, etwa dem Handel und der Landwirtschaft. Die griechische Industrie hat ihren Schwerpunkt in arbeits- und rohstoffintensiven Branchen, etwa der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, Tabak oder Arzneigenerika. „Mit ihrem Schwerpunkt auf arbeits- und rohstoffintensiven Branchen befindet sich die griechische Industrie in einem Wettbewerb mit Entwicklungs- und Schwellenländern und kann hier auf Dauer kaum international bestehen. Es fehlen Wachstumsbranchen, die sich durch ein Potenzial zu wissensintensiven Innovationen auszeichnen“, sagte Schrader. Bei der Beschäftigung liegt Griechenland in absoluten Zahlen noch unter dem Vorkrisenniveau. Wo sich eine Erholung zeigt, sind überwiegend Niedriglohnjobs, etwa in der Gastronomie, entstanden. „Das Land kämpft nach wie vor mit seinen althergebrachten Strukturproblemen.“

Auch die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Griechenland sind nach wie vor schlecht. Als größte Schwäche nennen die Autoren ein noch immer unzureichendes Katasterwesen, eine mangelnde Durchsetzbarkeit von Verträgen und Schwierigkeiten beim Erhalt eines Kredites. „Bedenklich ist insbesondere, dass statt eines Aufholens in den letzten Jahren eher wieder eine Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen in Griechenland zu beobachten ist. Die Rahmen­bedingungen für Unternehmer sind im europäischen und im OECD-Vergleich sehr schlecht, wobei die politische und administrative Stabilität, die Leistungsfähigkeit der Verwaltung, die Steuergesetzgebung und die Unternehmensfinanzierung besonders negativ bewertet werden“, sagte Schrader. „Vor diesem Hintergrund tragen weitere Schuldenerleichterungen nicht zur Lösung von Griechenlands Problemen bei, auch wenn diese nötig wären. Es ist nicht davon auszugehen, dass Griechenland seine Schuldenlast eigenständig reduzieren kann, ein Schuldenerlass oder eine Schuldenrestrukturierung kann aber nur dann zu einer wirtschaftlichen Erholung beitragen, wenn er von dauerhaften Strukturreformen begleitet wird.“

„Der Zustand Griechenlands zeigt, dass Stillstand und Verzögerungen im Reformprozess den Wohlstand nicht bewahren helfen, sondern im Gegenteil der Erosion der Einkommen Vorschub leisten. Vor diesem Hintergrund entspricht es eigentlich dem griechischen Interesse, dass im Jahr 2017 die Reformen ohne weitere Verzögerungen und ohne Abstriche umgesetzt werden. Sollte sich dieses Szenarium als naive Wunschvorstellung entpuppen und ein viertes Rettungsprogramm am Horizont auftauchen, müssten sich die Beteiligten fragen, welche Erfolgsaussichten ein solches noch hätte und den „Bail out Prozess“ im Zweifel beenden.“