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Deutsche Wirtschaft unter Volldampf

Die deutsche Wirtschaft hat einen nachhaltigen Wachstumspfad verlassen und steuert mit hohem Tempo in die Hochkonjunktur. Die Überauslastung der Produktionskapazitäten nimmt somit weiter zu und steuert ihrem Spitzenwert im Boomjahr 2007 entgegen. Damit steigen auch die Risiken eines Konjunkturumschwungs. Dies geht aus der heute veröffentlichten Konjunkturprognose des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) bis 2019 hervor, in der die Konjunkturforscher ihre bisherigen Prognosen, die ohnehin schon kräftige Zuwächse anzeigten, noch etwas anheben.

Für das Jahr 2017 erwarten sie nun eine Zuwachsrate des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 2,3 Prozent, für das Jahr 2018 von 2,5 Prozent (beide +0,3 Prozentpunkte) und für 2019 von 2,2 Prozent (+ 0,1 Prozentpunkte). Ursache für die Aufwärtsrevision sind Nachmeldungen in der amtlichen Statistik und das starke dritte Quartal. „Die deutsche Wirtschaft fährt unter Volldampf. Die Zuwachsraten liegen deutlich über der Wachstumsrate der Produktionskapazitäten, so dass die ohnehin schon über dem Normalniveau liegende Kapazitätsauslastung weiter steigt“, sagte Stefan Kooths, Leiter des IfW-Prognosezentrums.

„Je weiter die ökonomische Aktivität über das Normalmaß hinaus zulegt, desto größer werden die Risiken für eine Anpassungsrezession, durch die Geschäftsmodelle korrigiert werden, die nur im Boom funktionieren. Ein Boom mag sich gut anfühlen, er trägt aber den Keim der Krise in sich. Die Ansicht, eine Hochkonjunktur sei harmlos, solange die Verbraucherpreise noch nicht aus dem Ruder laufen, greift daher viel zu kurz.“

In der verzögerten Regierungsbildung auf Bundesebene sehen die Konjunkturforscher kein konjunkturelles Risiko und stützen sich dabei auf eine empirische Untersuchung zu ähnlichen Phasen in anderen Ländern (IfW-Box „Regierungsbildung mit Hinder­nissen: Hemmt die Unsicherheit die deutsche Konjunktur?“). „Regierungsunsicherheit und Politikunsicherheit sind nicht dasselbe. Politische Unsicherheit hemmt nur dann die Wirtschaftsleistung, wenn der wirtschaftspolitische Kurs des Landes in fundamentaler Weise in Frage gestellt wird“, sagte Kooths. „Dies zeichnet sich bislang in Deutschland jedoch nicht ab.“

Angespannter Arbeitsmarkt

Deutschlands Aufschwung ist breit aufgestellt. Neben dem Exportgeschäft kommen auch von der Binnenwirtschaft kräftige Impulse. Die privaten Haushalte bleiben dank der ausgezeichneten Beschäftigungs- und Einkommensperspektiven in Konsumlaune. Ihre Käufe von Konsumgütern legten im ersten Halbjahr so stark zu wie seit 15 Jahren nicht mehr und expandieren in den kommenden Jahren voraussichtlich mit Raten um die 1,75 Prozent.

Die Lage am Arbeitsmarkt spannt sich zunehmend an, so die Forscher. Die Arbeitslosigkeit geht bis auf 5,1 Prozent im Jahr 2019 zurück. Für Unternehmen wird es immer schwieriger, qualifiziertes Personal zu finden. Die Anzahl der Betriebe, die dadurch ihre Produktion beeinträchtigt sehen, ist auf ein Rekordniveau gestiegen. (IfW-Box: „Deutliche Anzeichen für Anspannungen am Arbeitsmarkt“)

Die Effektivlöhne dürften mit Raten um 3 Prozent steigen. „Wegen zunehmender Knappheiten sitzen immer mehr Beschäftigte bei Lohnverhandlungen am längeren Hebel und können sich so über merkliche Kaufkraftzuwächse freuen“, so Kooths. Die Überauslastung der deutschen Wirtschaft wird nach und nach aber auch den Preisdruck verstärken. Die Teuerungsrate für die Verbraucher steuert auf zwei Prozent zu. In Engpassbereichen wird es deutlich mehr sein. So müssen sich Bauherren auf jährliche Preissteigerungen von über drei Prozent einstellen – Tendenz steigend.

Investitionen ziehen an

Die Unternehmensinvestitionen legen laut Prognose aufgrund der sehr guten Absatz- und Ertrags­aussichten auch im internationalen Umfeld spürbar zu. Schon im vergangenen Jahr waren diese stärker gestiegen als zunächst ausgewiesen, wie sich nach einer umfangreichen Revision in der amtlichen Statistik herausgestellt hat.

Der Boom in der Baubranche geht weiter. Aufgrund äußerst anregender Finanzierungsbedingungen, dem hohen Bedarf an Wohnraum und hoher öffentlicher Einnahmenzuwächse dürften die Bauinvestitionen nochmals kräftig ausgeweitet werden.

Die Exporte werden dank der guten Lage auf den Absatzmärkten weiter zunehmen, wenn auch aufgrund der Aufwertung des Euro in abnehmendem Tempo. Die Zuwächse im laufenden Jahr dürften 4,3 Prozent, in den beiden kommenden Jahren etwa 5 Prozent betragen.

Konjunktur könnte noch stärker zulegen

Der deutsche Staat kann aufgrund der guten Konjunktur weiter hohe Einnahmen aus Steuern und Abgaben verzeichnen, die  Experten rechnen in diesem Jahr mit einem Überschuss von 45 Mrd. Euro. Angesichts der guten Kassenlage könnten wirtschaftspolitische Beschlüsse eines neu gewählten Bundestages die Konjunktur in Deutschland zusätzlich stimulieren und zu noch höheren Zuwachsraten führen als hier prognostiziert. Deutliche Mehrausgaben bzw. Abgabensenkungen wären auch mit Blick auf die Schuldenbremse rechtlich zulässig. Da bislang unklar ist, welche konkreten finanzpolitischen Beschlüsse im Bundestag nach der Neuwahl der Regierung getroffen werden, bildet die vorliegende Prognose im Wesentlichen den finanzpolitischen Status quo ab.

„Eine neue Regierung wäre gut beraten, nicht ihrerseits dazu beizutragen, die konjunkturellen Anspannungen zu befeuern. Ein expansives Finanzgebaren des Staates läuft in Zeiten der Überauslastung dem makroökonomischen Stabilitätsziel zuwider“, sagte Kooths. „Die Wirtschaftspolitik sollte jetzt vor allem die sich abzeichnenden Verteilungskonflikte der alternden Gesellschaft in den Blick nehmen. Immer weniger Erwerbstätige müssen künftig immer höhere Ansprüche an die öffentlichen Versorgungssysteme finanzieren. Eine Politik nach Kassenlage würde das Land teuer zu stehen kommen.“

Weltwirtschaft kräftig

Für die Weltwirtschaft geben die Konjunkturforscher einen positiven Ausblick. Die Konjunktur ist in nahezu allen großen Volkswirtschaften gleichzeitig aufwärts gerichtet. Für das gesamte Jahr 2017 zeichnet sich ein Anstieg der Weltproduktion um 3,8 Prozent ab. Dies ist ein Zehntel mehr als noch in der Herbstprognose erwartet und der stärkste Anstieg seit 2011. Auch für 2018 haben die Konjunkturforscher die Prognose leicht, auf nunmehr 3,9 Prozent, angehoben, für 2019 rechnen sie mit einem globalen Produktionsanstieg um 3,6 Prozent.

„Trotz der lebhaften Konjunktur wird sich der Preisauftrieb in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften nur allmählich verstärken. Die niedrige Kerninflation ist wesentlich strukturellen Faktoren geschuldet und auch noch mit der Diagnose deutlich geschrumpfter freier Kapazitäten vereinbar“, so Kooths. Risiken für die Weltkonjunktur ergeben sich insbesondere aus dem finanzwirtschaftlichen Umfeld. So könnte es im Zuge der anstehenden Normalisierung der Geldpolitik zu einer plötzlichen Verunsicherung an den Kapitalmärkten kommen, mit der Folge schubartiger Korrekturen bei Vermögenspreisen, Renditen und Wechselkursen.