Wirtschaftspolitischer Beitrag

Warum die Schuldenbremse eine Krisenregel braucht

Autor

  • Jens Boysen-Hogrefe
Erscheinungsdatum

Mit einer Reform der Schuldenbremse sollten diese krisenfest gemacht werden. Längere Abbaupfade für die durch eine Krise verursachte Neuverschuldung sind sinnvoll. Statt sie in Krisen immer wieder zum politischen Spielball zu machen, würde die Schuldenbremse dadurch verstetigt.

Experte IfW Kiel

Eine ökonomische Krise kann die öffentlichen Haushalte nicht nur im Krisenjahr belasten, sondern auch in den folgenden Jahren Auswirkungen zeigen, selbst wenn die Ökonomie schon wieder deutlich auf Erholungskurs ist. So können Steuereinnahmen niedriger und Kosten für die Arbeitslosenunterstützung höher ausfallen, als es ohne Krise der Falle gewesen wäre. Unternehmen können Verluste aus der Krise in den folgenden Jahren noch steuerlich geltend machen (Verlustvorträge). So haben die Unternehmenssteuern nach der großen Rezession 2009 erst im Jahr 2016 wieder ihren „normalen“ Umfang erreicht. Zudem reagiert der Arbeitsmarkt in der Regel verzögert auf eine Erholung. Gleichzeitig hängen die öffentlichen Haushalte in Deutschland in erheblicher Weise von Arbeitsmarktentwicklungen ab. Dies bedeutet, dass Defizite in den Haushaltsjahren nach einer Krise nicht unbedingt auf strukturelle Schwächen hindeuten, sondern nur dem Timing des Kriseneinflusses auf die öffentlichen Haushalte geschuldet sind.

Die Vorgaben der Schuldenbremse berücksichtigen dies nicht. Sie sehen zwar eine Konjunkturbereinigung vor, doch ist diese an den Ergebnissen des Bruttoinlandsprodukts und nicht vorrangig an denen des Arbeitsmarkts oder der Unternehmenssteuern orientiert. Die Schuldenbremse unterstellt einen direkten zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Budgetsaldo und der Unterauslastung der Produktionskapazitäten in einer Krise, weshalb die zuvor genannten Aspekte nicht berücksichtigt werden. Zudem gibt es gerade in Krisenzeiten erhebliche Unsicherheiten bei der Schätzung des Produktionspotenzials. Somit besteht die Gefahr, dass die Vorgaben der Schuldenbremse dazu führen, dass die Finanzpolitik in der Nachkrisenzeit zu früh bremsen muss, obwohl dies strukturell gar nicht erforderlich wäre. Einem Aufschwung könnte damit also unnötigerweise durch Sparpolitik die Dynamik genommen werden.

Ein Lösungsvorschlag besteht darin, dass die Defizitgrenze nach schweren konjunkturellen Krisen für eine begrenzte Zeit angehoben wird. Letztlich ist dies auch nach der großen Rezession in Folge der Finanzkrise geschehen. Die Schuldenbremse ist also mit einer höheren Defizitgrenze, die mit einem Abbaupfad verbunden war, gestartet. Dass sich eine Situation wie im Jahr 2009 wiederholen könnte, scheint man für den weiteren Verlauf nicht bedacht zu haben und hat es bei einer einmaligen Regelung belassen. Da sich schwere Krisen aber immer wieder unvorhergesehen einstellen können, sollte eine solche Regelung generalisiert werden, um die Finanzpolitik in Nachkrisenzeiten zu verstetigen.

Schließlich sollte bedacht werden, was die Alternative ist: Solange Nachwirkungen einer Krise noch spürbar sind, wird es immer neue politische Diskussionen geben, ob eine Notsituation fortbesteht. Das Feststellen einer Notsituation wiederum bedeutet, dass in einem Haushaltsjahr gar keine Defizitschranke vorgegeben ist. Dies kann dazu führen, dass diese Jahre mit Ausgabenprojekten überfrachtet werden. Wenn dann der Sprung zurück auf die eigentlichen Vorgaben der Schuldenbremse erfolgt, besteht die Gefahr, dass die Finanzpolitik selber Konjunkturschwankungen induziert.

Eine Diskussion über eine Anpassung der Schuldenbremse ist deshalb sinnvoll. Es geht gerade nicht darum, die Regeln für die Verschuldung zu schleifen, sondern sie krisenfest zu machen und zu verstetigen. Lieber sollten wir eine krisenfeste Schuldenregel haben, als diese in Krisen immer wieder auszusetzen, wie es jetzt der Fall ist.


In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.