Wirtschaftspolitischer Beitrag

Patentauktion statt Freigabe: Wie weltweites Impfen gelingt

Covid 19 Nurse, Vaccination

Autor

  • Michael Stolpe
Erscheinungsdatum

Um Corona-Impfstoffe weltweit verfügbar zu machen, gibt es einen besseren Weg, als den Patentschutz auszusetzen. Die internationale Impfinitiative Covax könnte ausgewählte Patente in einer Auktion aufkaufen und sie für ärmere Länder frei zugänglich machen. Gewinnen würden damit am Ende alle Seiten.

Experte IfW Kiel

Deutschland und die Europäische Union (EU) haben ein Aussetzen des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe verhindert, das zuerst Indien, Südafrika und andere ärmere Länder, dann auch die USA gefordert hatten. Gleichwohl ist Bewegung in die Pandemie-Bekämpfung gekommen. Auf dem Weltgesundheitsgipfel in Rom haben EU und Pharmaindustrie zugesagt, die Covid-19 Vaccines Global Access-Initiative (Covax) für ärmere Länder künftig stärker zu unterstützen, bis Ende 2022 mit 3,5 Milliarden Impfstoffdosen von Pfizer, Moderna und Johnson & Johnson und noch 2021 mit 100 Millionen Dosen als Spende der EU. Insgesamt wollen die G7-Staaten einschließlich der EU ihrem Gipfel in Cornwall folgend mindestens eine Milliarde Dosen spenden.  

Kurz zuvor allerdings hatte die EU allein für ihre eigenen 450 Millionen Einwohner, das sind weniger als sechs Prozent der Weltbevölkerung, weitere 1,8 Milliarden Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffes bestellt. Zusätzlich zu den zuvor bestellten 2,6 Milliarden verschiedener Hersteller, von denen mehr als zehn Prozent bereits geliefert und in circa 50 Prozent der erwachsenen EU-Bevölkerung verimpft sind. 

So lässt sich die globale Ungleichheit im Kampf gegen das Virus kaum überwinden. Dabei kommt es auch angesichts gefährlicher Mutationen jetzt vor allem auf Schnelligkeit an. Statt den Patentschutz auszusetzen, gibt es aber eine bessere Lösung: die rasche finanzielle Aufstockung von Covax. Die Initiative könnte ein globaler Fonds werden und die Patentrechte an den Impfstoffen aufkaufen, die für ärmere Länder am besten geeignet sind. Geschehen würde das durch ein klug konzipiertes Auktionsverfahren. Anschließend könnte Covax kostenlose Herstellungslizenzen vergeben, an qualifizierte Impfstoff- und Generika-Hersteller in Ländern des globalen Südens. Besonders geeignet sind wohl der Impfstoff von Astrazeneca, der an der Oxford Universität speziell für ärmere Länder entwickelt wurde, und der von Johnson & Johnson in den Niederlanden entwickelte, der bereits nach einer Dosis vollen Schutz gewähren soll, was die Logistik enorm vereinfacht. 

Ökonomische Effizienz in den Blick nehmen 

Erfolg bei globalen Impfkampagnen ist auch eine Frage ökonomischer Effizienz. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten können den Erfolg vereiteln. Oft breiten sich Infektionskrankheiten unter ärmeren Menschen und in armen Ländern stärker aus und bleiben dann eine weltweite Gefahr. Gleicher Zugang zu Impfstoffen ist daher essentiell und das heißt für die Armen kostenlos, was aber nicht im Interesse privater Patentinhaber ist, die ja Geld verdienen wollen – auch um die oft hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zu refinanzieren.  

Dieses Dilemma kann der gezielte Patentkauf durch einen globalen Fonds überwinden. Er kann helfen, den Armen kostenlosen Zugang zu verschaffen, und gleichzeitig den Impfstoffentwicklern einen höheren finanziellen Gewinn anbieten, sodass sie die ausgewählten Patente freiwillig verkaufen.  

Die Wirtschaftswissenschaften haben Auktionsverfahren entwickelt, die einen finanziell attraktiven Preis ermitteln können, der gleichwohl weit unter dem bleibt, was die Welt durch maximalen Impfschutz an sozialem Ertrag gewinnt – eine Win-Win-Situation also. Das ist möglich, weil es den Impfstoffentwicklern als Patentinhabern ohne die Hilfe von Covax nicht möglich wäre, sich mehr als nur einen recht kleinen Teil, geschätzt weit unter einem Zwanzigstel, des sozialen Ertrags weltweiten Impfschutzes in Form von finanziellem Gewinn privat anzueignen. 

Anreizsystem der WTO nicht ausreichend 

Zwar gewährt das bestehende globale Anreizsystem, geschaffen 1995 durch die Trade-related Intellectual Property Rights des TRIPS-Abkommens als Teil des Vertragswerks der Welthandelsorganisation (WTO), Patentinhabern für jeweils bis zu 20 Jahre ein weltweites Monopol zur wirtschaftlichen Verwertung pharmazeutischer Innovationen. Und TRIPS ermöglicht dazu auch länderspezifische Niedrigpreise für Arme, ohne dass Re-Importe, also der verbotene Parallelhandel, in Hochpreisländern einen Preisrutsch auslösen können.  

In ärmeren Ländern können Patentinhaber Geld verdienen, solange der dort akzeptierte Preis über den Grenzkosten liegt. Gibt es aber auch innerhalb ärmerer Länder große soziale Ungleichheit, wäre eine viel stärker individuell differenzierte Preissetzungsstrategie erforderlich, als tatsächlich durchsetzbar ist, um private Gewinne zu erwirtschaften, die mehr als ein Zwanzigstel, also fünf Prozent, des sozialen Wertes weltweiten Impfschutzes erreichen. 

Woher die fünf Prozent? Wie groß der soziale Ertrag pharmazeutischer Innovationen ist und wieviel davon sich Patentinhaber privat aneignen können, ist seit langem Gegenstand gesundheitsökonomischer Forschung. So schätzen Anupam Jena und Tomas Philipson von der Universität Chicago 2008 im Journal of Health Economics, dass die privaten Gewinne meist deutlich unter 25 Prozent des sozialen Wertes lagen, den sie in der US-amerikanischen Bevölkerung erzeugt hatten. Im Mittel bei zehn bis 15 Prozent, in der Infektionsmedizin darunter. Im Fall antiretroviraler Medikamente, die ab 1995 in der Behandlung HIV-Infizierter zum Einsatz kamen, konnten sich die Patentinhaber nur fünf Prozent ihres sozialen Wertes aneignen.  

Die finanziellen Innovationsanreize scheinen also selbst in den USA mit ihrem traditionell starken Patentschutz nicht sehr groß zu sein. In anderen Ländern sind sie viel kleiner und bei Impfstoffen meist noch kleiner als in der Akutmedizin. 

Hinzu kommt, dass der private Wert des Impfschutzes für noch nicht Geimpfte, und damit deren individuelle Zahlungsbereitschaft, mit steigendem Anteil der bereits Geimpften in der Bevölkerung sinkt. Aus sozialer Sicht hat dagegen ein steigender Anteil der Geimpften einen steigenden Wert, bis Herdenimmunität erreicht ist, weil dann ja die Chance besteht, die Krankheit in der Bevölkerung zu kontrollieren und weitere Mutationen unwahrscheinlich zu machen. Danach dürfte die private Nachfrage nach Impfstoff stark zurückgehen – zum Nachteil der Patentinhaber. Privater finanzieller Ertrag und der soziale Gewinn aus einer erfolgreichen Impfkampagne können daher nicht nur stark voneinander abweichen, sondern sich sogar gegenläufig entwickeln. 

Auch reiche Länder profitieren von Impferfolgen anderswo 

Weil Geimpfte nicht nur selbst geschützt sind, sondern auch andere mit schützen und so auch die Wirtschaft stärken, profitieren auch reiche Menschen und die reichen Länder insgesamt, wenn möglichst alle Menschen in den ärmeren Ländern gegen Corona geimpft werden. Wie die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa, auf dem Weltgesundheitsgipfel erklärte, würden 40 Prozent des durch eine weltweit erfolgreiche Corona-Impfkampagne ausgelösten Wirtschaftswachstums von bis zu neun Billionen Dollar den reichen Ländern zufließen. 

Aus globaler Sicht haben wir nicht zu starke, sondern seit Langem viel zu schwache finanzielle Anreize für die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen ansteckende Krankheiten. Wenn Covax jetzt zeigt, wie der gezielte Aufkauf von Patenten und kostenlose Herstellungslizenzen beitragen können, Zugangsbarrieren abzubauen, ohne die durch den weltweiten Patentschutz geschaffenen finanziellen Innovationsanreize zu beschädigen, kann diese Strategie zum Modell für den Kampf gegen künftige Pandemien und bereits heute in vielen Ländern grassierende Infektionskrankheiten werden – wie zum Beispiel Tuberkulose, die in ärmeren Ländern wie Indien jedes Jahr Millionen Menschen tötet. 

Leicht veränderte Version eines Artikels, der am 6. Juni 2021 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist.


Coverfoto: AMISOM Mkhtar Mohamed (Flickr)

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.

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