Wirtschaftspolitischer Beitrag

Die EU geht zu Recht mit dem China-Abkommen voran

Autor

  • Gabriel Felbermayr
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Die Einigung der EU mit China nach jahrelangen Verhandlungen kam erst vor dem Hintergrund des Wahlsiegs von Joe Biden in den USA zustande. Es wäre falsch gewesen, wenn die Europäer zunächst abgewartet hätten, welche Pläne die neue US-Regierung mit Blick auf China hat. Denn die Interessen von Europäern und Amerikanern sind in wichtigen Fragen nicht deckungsgleich.

Nach siebenjährigen Verhandlungen und 34 zähen Runden haben die EU und China am 30. Dezember 2020 endlich einen erfreulichen Durchbruch zu einem Abkommen über Investitionen erreicht. Mit einer selbständigen, auf Marktöffnung statt Abschottung abzielenden Außenwirtschaftspolitik kann die EU ihrem neuen Slogan „Open Strategic Autonomy“ sinnvolle Bedeutung verleihen.

Die Einigung ist für die EU ein Erfolg. Denn die Initiative für die Verhandlungen waren von ihr ausgegangen. Während Europa für chinesische Investoren grundsätzlich offen ist, galt dies bisher für europäische Unternehmen in China nicht. Darum hatte die EU den Chinesen wenig an zusätzlichem Marktzugang anzubieten. Die Folge: jahrelanger Stillstand bei den Verhandlungen.

Mit dem Wahlsieg von Joe Biden kam Bewegung in die Angelegenheit, weil China nun in den nächsten Jahren mit verstärkter transatlantischer Kooperation zu seinen Lasten rechnen muss. Es hat daher entscheidende Zugeständnisse gemacht, die den Abschluss eines Abkommens möglich machten. Künftig verzichtet China etwa auf die Aussperrung und Diskriminierung europäischer Investoren vor allem in wichtigen Dienstleistungsbereichen wie der Finanzbranche. Es akzeptiert neue Regeln für staatseigene Unternehmen und Subventionen. Zu Arbeitsstandards und Nachhaltigkeit akzeptiert es Bemühensklauseln, wie sie die EU mit anderen Vertragspartnern vereinbart hat. Der Preis für die EU: Sie verzichtet darauf, die Bedingungen für ausländische Investoren weiter zu verschärfen. Und sie läuft Gefahr, China einen Keil zwischen EU und USA treiben zu lassen. Mit beiden Punkten kann man umgehen.

Abstimmung mit den USA wäre zeitraubend und wenig aussichtsreich

Denn ob das Abkommen die transatlantische Partnerschaft schwächt, ist überhaupt nicht ausgemacht. Um die Beziehungen zu Washington zu verbessern, sollte Brüssel, statt über die chinesische Bande zu spielen, die existierenden bilateralen Streitthemen angehen: Subventionen im Flugzeugbau, EU-Agrarprotektionismus, US-Zölle auf Stahl und Aluminium, Regulierung und Besteuerung von Digitalkonzernen, um nur einige zu nennen.

Klar ist: Eine gemeinsame transatlantische Position zu China zu entwickeln, würde Zeit erfordern. Und die Zeit spielt nicht für Europa. Die Größe des EU-Binnenmarktes ist durch den Austritt des Vereinigten Königreichs um ein Siebtel geschrumpft, während das relative wirtschaftliche Gewicht Chinas und damit seine Verhandlungsmacht stetig zunimmt. Außerdem wäre die EU bei einem transatlantischen Schulterschluss wohl gezwungen, gegenüber China oder den USA zusätzliche Zugeständnisse zu machen, um eine trilaterale Einigung zu ermöglichen.

Zudem sind die Konturen von Bidens Chinapolitik noch gar nicht sichtbar. Die USA haben Anfang 2020 mit dem so genannten Phase-1-Abkommen China zu zusätzlichen Importen amerikanischer Flugzeuge und Agrarprodukte verpflichtet – zum Nachteil der EU. Und China macht den Amerikaner damals Zugeständnisse zum Beispiel im Finanzmarkt, die an die EU erst mit dem jetzigen Abkommen gemacht werden. Biden will das US-chinesische Abkommen nachverhandeln. Dass er dabei EU-Interessen berücksichtigt, ist zu bezweifeln. Während seiner Vizepräsidentschaft von 2009 bis 2016 setzten die USA bei der Eindämmung Chinas auf einen „Pivot to Asia“ und gerade nicht auf eine engere Kooperation mit Europa.

Ein erfolgreiches gemeinsames Vorgehen der EU mit den USA setzt die Existenz gemeinsamer Interessen voraus. Zwar wollen beide einen besseren Schutz geistigen Eigentums und schärfere Regeln zu Subventionen und Staatsunternehmen. Aber die Interessen sind nicht identisch. Die EU hat ihre komparativen Vorteile im Industriebereich, die USA im Dienstleistungssektor. Beide haben gegenüber China Leistungsbilanzdefizite; jenes der USA lag in den letzten Jahren bei 2% des Bruttoinlandsprodukts; jenes der Eurozone aber nur bei 0,5%. Deutschland hat seit Jahren sogar einen Leistungsbilanzüberschuss. Im Jahr 2019 exportierte es Güter im Wert von 96 Milliarden Euro nach China, was ziemlich genau dem US-Exportwert entspricht, obwohl die amerikanische Volkswirtschaft fünfeinhalbmal so groß ist. Bei den Erträgen auf Investitionen (dem Primäreinkommen aus) hatte Deutschland im Jahr 2019 Einnahmen von circa 15 Milliarden Euro zu verbuchen; die USA nur ein paar hundert Millionen mehr. Fakt ist also: Die europäischen und vor allem die deutschen Unternehmen sind in China seit Jahren deutlich erfolgreicher als die amerikanischen.

Mehr Zugeständnisse von China sind kaum zu erreichen

Neben der fehlenden transatlantischen Abstimmung wird kritisiert, dass die chinesischen Zugeständnisse an die EU nicht weit genug gehen. In der Tat werden Unternehmen aus der EU in China den heimischen nicht völlig gleichgestellt. Zur Abschaffung von Zwangsarbeit enthält das Abkommen nur vage Bemühensklauseln. Alles andere wäre aber, gegeben die oben beschriebenen schlechten Karten der EU, illusorisch gewesen. Eine Eskalation wäre für die EU teuer, bei höchst zweifelhaften Erfolgsaussichten. Denn China lässt sich in politisch sensible Streitpunkte der Innenpolitik nicht reinreden. Das sollte nach den Erfahrungen mit dem Trump’schen Handelskrieg eigentlich unstrittig sein.

Die Kritik, das Abkommen sehe keine Öffnung des staatlichen Beschaffungsmarktes in China vor, ist besonders realitätsfremd. Natürlich ist es bedauerlich, dass China trotz aller Beteuerungen dem einschlägigen WTO-Abkommen noch immer nicht beigetreten ist. Aber es ist nicht Aufgabe bilateraler Politik, hier Druck zu machen; schon gar nicht im Kontext eines eng mandatierten Investitionsabkommens. Und auch der Umstand, dass der Vertrag ein Staat-Staat-Streitbeilegungsverfahren vorsieht und nicht das neue Investor-Staat-Verfahren der EU, ist im Umgang mit einem staatskapitalistischen System kein Nachteil, im Gegenteil.

Es kommt auf die Umsetzung an

Erst seit gut 10 Jahren liegt die Zuständigkeit für ausländische Direktinvestitionen bei der EU. Sobald das neue Abkommen durch Investitionsschutzabkommen komplettiert wird, ersetzt es 25 bestehenden bilateralen Abkommen, die Mitgliedsländer mit China geschlossen haben. Das allein ist in der aktuellen geostrategischen Lage schon ein wichtiger Gewinn für die EU. Aber es ist bedauerlich, dass der gesamte Verhandlungsprozesses höchst intransparent verlief. Die Anhänge des Abkommens, die Details zum erweiterten Marktzugang enthalten, sind noch nicht bekannt. Für eine endgültige Bewertung ist es also zu früh. Klar ist jedoch, dass ein gut verhandeltes Abkommen nur dann ein erfolgreiches sein kann, wenn seine Bestimmungen auch tatsächlich umgesetzt werden. Nur wenn dies plausibel angenommen werden kann, wird das EU-Parlament dem Abkommen zustimmen. Die EU muss bei der Umsetzung von Abkommen wachsam sein. Dafür hat sie seit kurzem einen Chief Trade Enforcement Officer. Er wird gut zu tun haben. Und was die Durchsetzung von Menschenrechtsstandards angeht: Die EU hat eben erst Sanktionsmöglichkeiten geschaffen, die nun – gerne mit den USA – auch eingesetzt werden sollten.

Leicht aktualisierte Version eines Beitrags, der am 8. Januar 2021 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist.


Coverfoto: © Lukasz Kobus, European Union

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.