Wirtschaftspolitischer Beitrag

Das Investitionsabkommen der EU mit China aus europäischer Sicht: Erfolge mit Defiziten

Autoren

  • Frank Bickenbach
  • Wan-Hsin Liu
Erscheinungsdatum

In ihrem Investitionsabkommen mit China konnte die EU wichtige Erfolge erreichen, bleibt allerdings hinter wesentlichen ursprünglichen Zielen zurück. So fehlen konkrete Bestimmungen zum Investitionsschutz und die Vereinbarungen zu Arbeits- und Umweltstandards sind eher schwach. Signifikante Verbesserungen für EU-Unternehmen gibt es hinsichtlich des Marktzugangs und fairerer Wettbewerbsbedingungen in China.

Nach siebenjährigen Verhandlungen haben die Europäische Union (EU) und die Volksrepublik China (China) am 30. Dezember 2020 eine grundlegende Einigung über ein Umfassendes Investitions­abkommen (Comprehensive Agreement on Investment – CAI) erzielt. Die Europäische Kommission hat in einer Pressemitteilung erklärt, dass dieses Abkommen "[i]m Hinblick auf Investitionen … das ehrgeizigste sein [wird], das China jemals mit einem Drittland geschlossen hat". Tatsächlich konnte die EU in den Verhandlungen wichtige Erfolge erzielen. Dies kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nicht alle der wesentlichen Ziele, die sie sich zu Beginn der Verhandlungen im Januar 2014 gesetzt hat, vollständig erreicht hat. Damals war es das erklärte Ziel der EU, einen kohärenten Rechtsrahmen für die Investitionsbeziehungen zwischen der EU und China zu schaffen, der die damals bestehenden 26 (heute 25) heterogenen und teilweise veralteten bilateralen Investitionsabkommen (bilateral investment treaties – BITs) zwischen den EU-Mitgliedstaaten und China ersetzen sollte. Das neue Abkommen sollte dabei deutlich über die bestehenden BITs hinausgehen, indem es den Schutz von EU-Investitionen in China verbessert, den Marktzugang für europäische Investoren in China erleichtert und fairere Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen in China garantiert.

In Bezug auf den Investitionsschutz war es das Ziel der EU, die bestehenden BITs durch einen einheitlichen Rechtsrahmen mit modernen Schutzstandards und Streitbeilegungsregelungen zu ersetzen. Letzteres beinhaltet aus Sicht der EU die Einrichtung eines Investor-Staat-Streitbeilegungs­mechanismus (investor-state dispute settlement – ISDS) mit einem zweistufigen Investitionsgericht (erste Instanz und Berufungsinstanz), das längerfristig durch ein ständiges multinationales Investitions­gericht ersetzt werden soll. Das nun vereinbarte Investitionsabkommen enthält jedoch keine konkre­ten Bestimmungen zum Investitionsschutz. Die EU und China haben lediglich vereinbart, die Verhand­lungen über den Investitionsschutz und die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten fortzuführen und eine Einigung innerhalb von zwei Jahren nach Unterzeichnung des umfassenden Investitionsab­kommens anzustreben. Damit hat die EU ihr ursprüngliches Ziel, die Investitionsschutzregeln der bestehenden BITs zwischen den EU-Mitgliedstaaten und China zu modernisieren und zu ersetzen, zumindest vorerst nicht erreicht.

Internationale Investitionsabkommen enthalten traditionell keine Regelungen zur Liberalisierung des Marktzugangs und auch die bestehenden BITs zwischen den EU-Mitgliedstaaten und China enthalten keine solchen Regelungen. Die EU hat jedoch von Beginn der Verhandlungen an betont, dass eine ehrgeizige Liberalisierung des Marktzugangs für EU-Investoren in China ein Kernziel des Abkommens sein müsse. Obwohl der konkrete Umfang der nun vereinbarten Marktzugangsverpflichtungen noch nicht veröffentlicht wurde, hat China Mitteilungen der Europäischen Kommission zufolge zuvor bereits unilateral getätigte Marktliberalisierungen vertraglich festgeschrieben und sich darüber hinaus zu substanziellen zusätzlichen Marktöffnungsmaßnahmen verpflichtet. Die Bindung der bisher unilateral erfolgten Marktliberalisierungen Chinas würde diese (bis zu einem gewissen Grad) dem Ermessen der chinesischen Innenpolitik entziehen, Rückschritte bei den Marktzugangsbedingungen für europäische Investoren erschweren und die damit verbundenen Unsicherheiten reduzieren. Darüber hinaus könnte die EU im Falle eines Verstoßes gegen diese Verpflichtungen von Seiten Chinas auf den im Abkommen vereinbarten zwischenstaatlichen Streitbeilegungsmechanismus (state-to-state dispute settlement – SSDS) zurückgreifen. Chinas neue, zusätzliche Marktzugangsverpflichtungen, etwa die Abschaffung von Obergrenzen für Beteiligungen oder Joint-Venture-Auflagen, beziehen sich der Euro­päischen Kommission zufolge sowohl auf das verarbeitende Gewerbe, einschließlich des wichtigen Automobilsektors, als auch auf zahlreiche Dienstleistungsbranchen. Sie umfassen vielfältige Unter­nehmens­dienstleistungen, Cloud-Dienste und IT-Dienstleistungen, Finanzdienstleistungen, Umwelt­dienstleistungen und Dienstleistungen im Bereich des Luftverkehrs und des internationalen Seeverkehrs. In einigen der genannten Bereiche sind die Liberalisierungsverpflichtungen wohl recht eng gefasst und unterliegen weiterhin bestimmten Einschränkungen. Dennoch könnten die von China im Investitionsabkommen insgesamt eingegangenen Marktzugangsverpflichtungen, wenn sie konse­quent umgesetzt werden, erhebliche neue Investitions- und Geschäfts­möglichkeiten für europäische Unternehmen eröffnen.

Hinsichtlich des Ziels der EU, fairere Wettbewerbsbedingungen für europäischen Unte­rnehmen in China zu schaffen, enthält das Abkommen Verpflichtungen, die verschiedene seit Langem von europäischen Unternehmen erhobene Forderungen aufgreifen. Sie betreffen das Verbot erzwungener Technologietransfers, die Transparenz und Fairness von Verwaltungsverfahren und Regulierungen, die Transparenz von Subventionen (im Dienstleistungssektor) sowie Regelungen für staatseigene Unter­nehmen.

In Bezug auf Technologietransfers verbietet das Abkommen Investitionsanforderungen, die einen Technologietransfer etwa an einen Joint-Venture-Partner erzwingen, und untersagt Eingriffe in die Vertragsfreiheit bei der Lizenzierung von Technologie. In Bezug auf Verwaltungsverfahren und Regulierungen enthält das Abkommen substantielle Transparenzregeln für administrative und regula­torische Maßnahmen sowie Regeln zur Verfahrensgerechtigkeit und zum Recht auf gerichtliche Überprüfung. So müssen Zulassungsanforderungen und -verfahren transparent und unparteiisch sein und im Voraus öffentlich gemacht werden. Insgesamt erscheinen die vereinbarten Regelungen zu Technologietransfers und Verwaltungsverfahren durchaus signifikant, auch wenn einige der vereinbarten Verpflichtungen nicht neu sind und von der chinesischen Regierung schon früher eingegangen wurden. Ob sie in der Praxis tatsächlich die beabsichtigten Verbesserungen für europäische Unternehmen bewirken können, wird maßgeblich von ihrer konsequenten Umsetzung und Durchsetzung abhängen. Ob der im Investitionsabkommen verein­barte SSDS-Mechanismus geeignet ist, dies in der Praxis zu gewährleisten, bleibt abzuwarten.

Was die Kontrolle von Subventionen angeht, sind die Regelungen des Abkommens wesentlich schwächer und erkennbar unzureichend. Sie beschränken sich auf Transparenzverpflichtungen, die zudem nur für Subventionen im Dienstleistungssektor gelten (sie ergänzen insofern die WTO-Regeln zur Transparenz von Subventionen in Bezug auf Waren). Das Abkommen enthält jedoch keine Regeln, die Subventionen, die sich besonders negativ auf die Investitionsinteressen der anderen Partei aus­wirken könnten, verbieten oder beschränken würden. Im Falle von Streitigkeiten im Zusammenhang mit Subventionen steht den Parteien zudem nur der Rückgriff auf ein spezifisches Konsultations­verfahren ohne effektive Durchsetzungsmöglichkeiten offen; der allgemeine SSDS-Mechanismus des Abkommens findet auf Subventionen keine Anwendung.

Ein weiteres wichtiges und zugleich sehr umstrittenes Thema in den Verhandlungen waren Regeln für staatseigene Unternehmen (state-owned enterprises – SOEs). Hier hat die EU es geschafft, substanziel­le neue Regelungen in das Abkommen einzubringen. Das Abkommen verpflichtet staatliche Unter­neh­men (im weiteren Sinne) dazu, bei ihren wirtschaftlichen Aktivitäten im Einklang mit kommerziellen Erwägungen zu handeln und ausländische Investoren beim Kauf und Verkauf von Waren oder Dienstleistungen nicht zu diskriminieren. Der Abkommen enthält zudem wichtige Transparenz- und Informationspflichten zur Organisation und Steuerung von SOEs, von denen angenommen wird, dass sie gegen die vereinbarten Verpflichtungen verstoßen. Bleibt das Problem ungelöst, können die Parteien auf den allgemeinen SSDS-Mechanismus des Abkommens zurückgreifen. Darüber hinaus verlangt das Abkommen, dass Regulierungsbehörden von SOEs unabhängig und unparteiisch handeln und dass Gesetze und Vorschriften in nicht-diskriminierender Weise gegenüber allen Unternehmen, einschließlich staatlicher Unternehmen, durchgesetzt werden. Auch wenn diese Verpflichtungen einen wichtigen Fortschritt darstellen, bedeutet dies nicht, dass chinesische Staatsunternehmen den gleichen rechtlichen Status haben werden wie private chinesische oder gar ausländische Unternehmen. Auch werden viele Formen der Vorzugsbehandlung von SOEs durch die chinesische Regierung (wie spezifische Subventionen oder Steuerbefreiungen oder der bevorzugte Zugang zu Kapital und anderen Produktionsfaktoren) durch die Regelungen des Abkommens nicht beseitigt. Das Abkommen wird auch nicht verhindern können, dass chinesische SOEs weiterhin politisiert und für die Verfolgung von Chinas ehrgeizigen industriepolitischen Zielen eingespannt werden. Da diese Ziele auch den Erwerb von Spitzentechnologien durch Auslandsinvestitionen chinesischer SOEs einschließen, werden die Privi­legien chinesischer SOEs nicht nur zu einer fortgesetzten Benachteiligung europäischer Unternehmen auf dem chinesischen Markt führen, ohne zusätzliche Maßnahmen seitens der EU besteht sogar die Gefahr, dass chinesische SOEs zunehmend auch auf europäischen Märkten über einen unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren europäischen Konkurrenten verfügen.

Zusätzlich zu den drei genannten Hauptzielen führte die EU später als weiteres Ziel die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und die Sicherung von Schutzstandards in den Bereichen Umwelt und Arbeit in die bereits laufenden Verhandlungen ein. Im Abkommen verpflichten sich China und die EU nun dazu, Schutz­standards in den Bereichen Umwelt und Arbeit weder für protektionistische Zwecke zu nutzen, noch diese Standards abzusenken, um Investitionen anzuziehen, sowie dazu ihre internationalen Ver­pflichtungen aus einschlägigen Verträgen einzuhalten. Insbesondere verpflichten sie sich, die von ihnen bereits ratifizierten multilateralen Umweltabkommen (einschließlich der UN-Klimarahmen­konvention und des Pariser Klimaabkommens) und grundlegenden Übereinkommen der Inter­nationalen Arbeitsorganisation (IAO) effektiv umzusetzen. In Bezug auf die beiden grundlegenden IAO-Übereinkommen zur Zwangsarbeit, die China bisher nicht ratifiziert hat, gibt es allerdings nur die weitgehend inhaltsleere Verpflichtung, "fortgesetzte und nachhaltige Anstrengungen" (eigene Über­setzung) zu unternehmen, diese zu ratifizieren. Anstelle des allgemeinen SSDS-Mechanismus, der für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Umsetzung der Verpflichtungen zur nachhaltigen Entwicklung keine Anwendung findet, schafft das Abkommen hierfür einen eigenen spezifischen Konsultationsmechanismus. Um entsprechende Streitigkeiten auszuräumen, sieht dieser die Möglich­keit vor, die Zivilgesellschaft einzubinden, ein Gremium unabhängiger Experten mit der Untersuchung zu beauftragen und dessen Untersuchungsbericht zu veröffentlichen. Auch wenn die Verpflichtungen im Bereich der nachhaltigen Entwicklung insgesamt noch eher schwach sind, wäre das Umfassende Investitions­abkommen das erste bilaterale Abkommen überhaupt, in dem China solche Ver­pflichtungen eingeht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Umfassende Investitionsabkommen signifikante Verbes­serungen hinsichtlich des Marktzugangs und fairerer Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen in China verspricht. Allerdings konnte die EU nicht alle ihrer wesentlichen Ziele voll­ständig erreichen. So gelang es der EU (zumindest vorerst) nicht, die Einführung moderner Investi­tionsschutzstandards und Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren zu vereinbaren. Auch enthält das Abkom­men zwar Verpflichtungen Chinas zur Einhaltung von Schutzstandards für Umwelt und Arbeit, doch sind die entsprechenden Regelungen insgesamt noch schwach. Chinas zusätzliche Marktzugangs­verpflichtungen bleiben selektiv und seine Verpflichtungen in Bezug auf Subventionen bleiben kraftlos. Hinzu kommt, dass viele der Verpflichtungen, die China in dem Abkommen eingeht, nicht gänzlich neu sind, sondern von China bereits zuvor einseitig oder im Rahmen multilateraler Abkommen einge­gangen wurden. Durch das Abkommen mit seinen zusätzlichen Transparenzanforderungen und Streitbeilegungs- und Durchsetzungsmechanismen würde es für die EU jedoch leichter, die Einhal­tung dieser Verpflich­tungen von China einzufordern und zugleich würde es für China schwieriger, bereits gemachte Zusagen einseitig zurückzunehmen. In einer Zeit erheblicher Spannungen in den wirtschaft­lichen und politischen Beziehungen zwischen der EU und China und zunehmender geopolitischer Konflikte ist dies ein Vorteil, der nicht leichtfertig abgetan werden sollte.

Zudem bedeutet der Abschluss des Umfassenden Investitionsabkommens ja keineswegs, dass sich die EU mit den darin vereinbarten Verbesserungen zufrieden geben und die verbleibenden Defizite in Chinas Umgang mit europäischen Investitionen und darüber hinaus in Chinas  (Wirtschafts-) Politik im Allgemeinen einfach hinnehmen müsste. Die EU sollte vielmehr auch weiterhin, und vielleicht sogar nachdrücklicher als bisher, versuchen, China dazu zu bewegen, seine Märkte weiter zu öffnen, die Wettbewerbsbedingungen (nicht nur) für europäische Unternehmen weiter zu verbessern und darüber hinaus auch weitergehende (wirtschafts-) politische Reformen anzugehen. Dies kann im Rahmen weiterer bilateraler Verhandlungen, wie den bereits vereinbarten weiteren Verhandlungen über den Investitionsschutz, geschehen oder auch in multilateralen Verhandlungen etwa im Rahmen der WTO oder gemeinsam mit den USA und anderen Verbündeten. Schließlich könnte die EU hierzu verstärkt auch einseitige Maßnahmen ergreifen; sie könnte die Regelungen zur Überprüfung aus­ländischer Direktinvestitionen (investment screening) weiter verbessern, ihre Möglichkeiten gezielt gegen Wettbewerbsverzerrungen durch Subventionen aus Drittstaaten vorzugehen, stärken, und in extremen Fällen sogar die vom Rat kürzlich erweiterten Möglichkeiten zur Verhängung von Sanktionen für Menschenrechtsverletzungen nutzen.


Coverfoto: © Christie Kim on Unsplash

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.