Wirtschaftspolitischer Beitrag

Chinas neuer Fünfjahresplan: Wirtschaftliche Kernelemente und Implikationen für Deutschland und Europa

Autoren

  • Frank Bickenbach
  • Wan-Hsin Liu
Erscheinungsdatum

Für deutsche und europäische Firmen dürfte es künftig schwieriger werden, Geld in China zu verdienen. Denn in seinem neuen Fünfjahresplan setzt China noch deutlicher als bisher auf eine Entkopplung vom Ausland und auf die Stärkung heimischer Unternehmen und des heimischen Absatzmarktes.

Chinas diesjähriger nationaler Volkskongress, der am 11. März mit der Versammlung von fast 3.000 Delegierten in der Großen Halle des Volkes in Peking endete, hat vor allem zwei wichtige Nachrichten an die Welt gesendet. Erstens hat er demonstriert, wie gut China – anders als viele andere, insbe­sondere westliche Länder – die Herausforderungen der Corona-Pandemie ein Jahr nach deren Aus­bruch gemeistert hat. Zweitens hat er signalisiert, wie entschlossen China ist, die Modernisierung und Entwicklung des Landes mit aller Kraft weiter voranzutreiben, um seine ehrgeizigen auf 2035 und 2049, dem 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, ausgerichteten, mittel- und langfristigen Entwicklungs­ziele zu erreichen. So soll die „sozialistische Modernisierung“ bis 2035 im Wesentlichen abgeschlossen sein, das Pro-Kopf-Einkommen soll auf das Niveau eines „mittleren entwickelten Landes“ steigen, es sollen wichtige Durchbrüche in Schlüsseltechnologien erzielt werden, und China soll in die vorderste Reihe der innovativsten Länder der Welt aufsteigen. Hierbei dient der durch den Volkskongress offiziell beschlossene „14. Fünfjahresplan (2021–2025) für die nationale wirtschaftliche und soziale Entwicklung und die langfristigen Ziele bis zum Jahr 2035“ als Leitfaden zur (wirtschafts-)politischen Orientierung für die nächsten fünf Jahre. Angesichts Chinas Bedeutung für die Welt­wirtschaft werden der neue Fünfjahresplan und die daraus in den kommenden Jahren abgeleiteten wirtschaftspolitischen Maßnahmen wichtige Implikationen auch für europäische Unter­neh­men und die europäische Wirtschaft insgesamt haben.   

Wirtschaftliche Kernelemente des 14. Fünfjahresplans

Das übergeordnete Ziel des neuen Fünfjahresplans ist die Förderung einer qualitativ hochwertigen Entwicklung in China. Diese Entwicklung soll innovationsgetrieben, umweltfreundlich und über­wiegend vom chinesischen Binnenmarkt getrieben sein. Zur Förderung dieses Ziels werden in dem neuen Fünfjahresplan eine Vielzahl von Einzelzielen und Maßnahmen in praktisch allen Bereichen von Politik und Gesellschaft (u.a. Wissenschaft und Technologie, wirtschaftliche Entwicklung, Wirtschafts­politik und institutionelle Reformen, Landwirtschaft, regionale Entwicklung, Umwelt, Kultur, Sozialpolitik, Bildung und Gesundheit, nationale Sicherheit und Verteidigung) formuliert. Zwei Eckpfeiler der neuen Entwicklungsstrategie sind dabei (i) die Förderung der technologischen Inno­vationsfähigkeit Chinas und seiner Eigenständigkeit in Wissenschaft und Technologie und (ii) die Stärkung der chinesischen Binnenwirtschaft (des „inlän­dischen Wirtschafts­kreislaufs“) als Hauptstütze eines neuen Entwicklungsmusters. Beide Ziele sind nicht grundsätzlich neu, werden im neuen Fünfjahresplan jedoch mit deutlich mehr Nachdruck und Konsequenz eingefordert.

Dies ist auch als Reaktion der chinesischen Führung auf die seit längerem abnehmende Dynamik des Welthandels und die zunehmende Unsicherheit in den internationalen (Wirtschafts-)Beziehungen zu verstehen. Der Handels- und Technologiekonflikt zwischen den USA und China und die zuneh­menden Risiken für internationale Lieferketten sowie der globale Konjunkturabschwung infolge der Corona-Pandemie haben Chinas Wirtschaft erheblich zugesetzt. Indem es seine technologische Eigen­ständig­keit und den Binnenmarkt stärkt, will China seine Abhängigkeit von Schwankungen der Welt­konjunktur und des Welthandels sowie seine Verwundbarkeit durch mögliche zukünftige Sanktionen und Exportbeschränkungen, wie sie etwa die USA für amerikanische Halbleiter-Techno­logie gegen einzelne chinesische Unternehmen bereits verhängt haben, verringern.

Der neue Fünfjahresplan sieht vor, die wissenschaftlichen und technologischen Fähigkeiten des Landes umfassend zu stärken. Mehr Eigenständigkeit und Selbstverbesserung in Wissenschaft und Techno­logie sollen die strategische Grundlage für die nationale Entwicklung bilden. Die Grundlagenforschung soll gestärkt und mehr grundlegende Innovationen hervorgebracht werden. Der Schwerpunkt soll dabei auf Schlüssel- und Kerntechnologien in Bereichen wie künstliche Intelligenz, Quanteninformation, integrierte Schaltkreise, Lebenswissenschaften und Gesundheit, Hirnforschung, biotechnologische Züchtung, Luft- und Raumfahrttechnik sowie die Erforschung der Tiefen der Erde und der Ozeane liegen. In diesen Bereichen sollen eine Reihe strategischer Wissenschaftsprojekte umgesetzt und der Bau von nationalen Laboratorien gefördert werden. Es sollen nationale Wissen­schaftszentren und regionale Innovationshubs aufgebaut werden. In Peking, Shanghai und der Greater Bay Area (der Region um Guangdong, Hongkong und Macao) soll der Aufbau internationaler Wissen­schafts- und Technologie-Innovationszentren gefördert werden. Die Ausbildung und Förderung wissenschaftlicher und technologischer Talente soll verbes­sert sowie mehr wissen­schaft­liche und technologische Talente und Inno­vationsteams von Weltrang hervorgebracht werden.

Die technologische Innovationsfähigkeit der Unternehmen soll verbessert und ihre dominante Rolle im Innovationsprozess gestärkt werden. Hierzu sollen die Innovationsressourcen aller Art stärker in den Unternehmen konzentriert werden. Die Unternehmen sollen ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung erhöhen und Unternehmensinvestitionen in die Grundlagenforschung steuerlich gefördert werden. Die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung sollen insgesamt um durchschnittlich mehr als sieben Prozent pro Jahr wachsen. Der Transfer wissen­schaftlich-technischer Forschungsergebnisse in praktische Anwen­dungen soll deutlich verbessert werden; die Kommerzialisierung und skalierte Anwendung neuer Technologien sollen gefördert werden.

Die angestrebte Eigenständigkeit und Selbstverbesserung in Wissenschaft und Technologie bedeutet allerdings nicht, dass China in diesem Bereich nicht auch weiter vom Ausland profitieren möchte. Hierzu will China stärker noch als bisher ausländische Forschungs- und Innovationsressourcen – technologisch führende ausländische Unternehmen und deren Forschungsaktivitäten ebenso wie ausländische wissenschaftliche und technologische (Forscher-)Talente – attrahieren. Hierzu sollen u.a. der Aufbau internationaler Wissenschafts- und Technologie-Innovationszentren gefördert und Forschungs- und Innovationshochburgen aufgebaut werden, die herausragende Talente aus dem Ausland anziehen. Zugleich soll die Einrichtung eines global ausgerichteten wissenschaftlichen Forschungsfonds geprüft werden, der auch dazu dienen kann, einen besseren Zugang zu herausragenden ausländischen Talenten und Spitzenforschungsergebnissen zu erhalten. 

Der zweite Eckpfeiler des neuen Fünfjahresplans ist die Stärkung der Binnenwirtschaft. Sie ist das Kernelement eines „neuen Entwicklungsmusters“, das auf der Strategie des „doppelten Wirtschafts­kreislaufs“ beruht. Auf der Grundlage eines stärkeren und dynamischeren Binnenmarkts sollen sich Binnenwirtschaft („inländischer Wirtschaftskreislauf“) und die Außenwirtschaft („inter­nationaler Wirtschaftskreislauf“) in ihrer Entwicklung gegenseitig fördern.

Zur Förderung des inländischen Wirtschaftskreislaufs sollen sowohl die heimische Produktion als auch die heimische Nachfrage gestärkt werden sowie Angebot und Nachfrage und vor- und nachgelagerte Produktionsstufen effektiver aufeinander abgestimmt und miteinander verbun­den werden. Auf der Angebotsseite sollen eine Vertiefung der Strukturreform(en) und die Förderung techno­logischer Innovationen die Vielfalt und die Qualität des Angebots erhöhen, die Fähigkeit des Angebotssystems, die Inlandsnachfrage zu befriedigen, verbessern und zusätzliche Nachfrage schaffen. Die industrielle Basis und industrielle Lieferketten sollen weiter gestärkt und modernisiert werden. Die vertiefte Integration von Internet, Big Data und künstlicher Intelligenz soll in allen Industrien vorangetrieben werden. Auch die Entwicklung moderner Dienstleistungsindustrien soll beschleunigt werden, der Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung soll jedoch grundsätzlich stabil bleiben. Beson­ders gefördert und beschleunigt werden soll die Entwicklung einer Reihe „strategischer aufstrebender Industrien“. Hierzu zählen Informationstechnologie der neuen Generation, Biotechnologie, neue Energien, neue Materialien, High-End-Ausrüstung, mit alternativen Energien betriebene Fahrzeuge, Umweltschutz, Luft- und Raumfahrt- sowie Schiffsausrüstung. 

Zur Förderung der Binnennachfrage soll vor allem der Binnenkonsum (inklusive des staatlichen Konsums) umfassend gefördert werden. Hierzu sollen u.a. auch eine Erhöhung der Lohnquote und das fortgesetzte Wachstum der Mittelschicht beitragen. Die Stärkung des Binnenkonsums soll die Nachfrage nach innovativen und qualitativ hochwertigen Produkten erhöhen und deren inländische Produktion anregen. Bei den Investitionen soll an einem angemessenen Wachstum festgehalten werden, wobei die Investitionen verstärkt zur Optimierung der Angebotsstruktur beitragen sollen. Dem sollen Investitionen in Infrastruktur und in staatliche Forschungseinrichtungen ebenso dienen, wie eine verstärkte Förderung von Investitionen in die Modernisierung der Ausrüstung und die technische Erneuerung der Unternehmen.

Durch die Stärke und Dynamik des Binnenmarkts soll die Anziehungskraft der chinesischen Wirtschaft für globale Ressourcen für Produktion und Forschung erhöht werden. Zugleich soll das erwei­terte Angebot innovativer und qualitativ höherwertiger Produkte neben der inländischen auch die auslän­dische Nachfrage nach chinesischen Produkten steigern und Chinas Position als führende Handels­macht weiter stärken. So sollen sich der gestärkte inländische Wirtschaftskreislauf (Binnenwirtschaft) und der internationale Wirtschaftskreislauf (Außenwirtschaft) gegenseitig fördern. Der inter­nationale Handel und ausländische Direktinvestitionen sollen dabei aber anders als in der Vergangen­heit nicht mehr die Triebfeder der chinesischen Binnenwirtschaft sein, sondern eher umgekehrt.

Implikationen für Europas Unternehmen

Auch wenn die chinesische Führung betont, dass die Stärkung der technologischen Eigenständigkeit und des Binnenmarkts keineswegs eine Abkehr von der Öffnungspolitik der letzten Jahrzehnte bedeute, könne insgesamt doch kein Zweifel daran bestehen, dass China seine Abhängigkeit von auslän­discher Technologie, von ausländischen Zulieferern und von der ausländischen Nachfrage reduzieren will. Heimische Innovation, heimische Produktion und heimische Nachfrage haben Priorität. Es ist daher davon auszugehen, dass China die Förderung von internationalem Handel und Direkt­investitionen in Zukunft stärker noch als bisher selektiv betreiben und an den eigenen Entwicklungs­interessen ausrichten wird. Ausländische Direkt­investitionen werden vor allem dort gefördert werden, wo sie zur Stärkung der eigenen technolo­gischen Leistungsfähigkeit beitragen oder die Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern reduzieren. Direktinvestitionen oder auch Importe, die die Entwicklung chinesischer Unternehmen eher hemmen, müssen hingegen mit Gegenwind rechnen. Und auch die Unterstützung chinesischer Direkti­nvesti­tionen im Ausland dürfte noch stärker an den übergeordneten Entwicklungszielen ausgerichtet werden.

Für viele europäische Unternehmen und die europäische Wirtschaft insgesamt dürfte die Umsetzung des Fünfjahresplans potenziell erhebliche Konsequenzen haben. Die Stärkung der chinesischen Binnennachfrage und die mit der Modernisierung der chinesischen Industrie verbundene Nachfrage nach technologisch hochwertigen (Zwischen-)Produkten dürften vielen europäischen Unter­nehmen zumindest vorübergehend zusätzliche Geschäftschancen in China eröffnen. Dies gilt insbeson­dere für diejenigen europäischen Unternehmen, die selbst vor Ort in China produzieren. Die Mehrheit der in China produzierenden europäischen Unternehmen fertigen dort schon heute ganz überwiegend für den chine­sischen Markt. Viele von ihnen dürften daher von einer Steigerung der Binnennachfrage und der weiteren Stärkung der Kaufkraft vor allem der wachsenden chinesischen Mittelschicht (unmittelbar) profitieren.

Viele der europäischen Unternehmen in China haben bereits seit einigen Jahren auch ihre Beschaffung (Lieferketten) und teilweise auch ihre Forschung und Entwicklung für den chinesischen Markt zunehmend nach China verlagert. Die im neuen Fünfjahresplan angelegten Bestrebungen der chinesischen Regierung zur Stärkung des chinesischen Binnenmarkts dürften diese Tendenz noch verstärken. Für viele spezifische, vor allem technologisch und qualitativ besonders hochwertige Vorleistungen sind die Unternehmen derzeit jedoch auf Zulieferer außerhalb Chinas angewiesen, und oftmals wird eine Verlagerung der Produktion dieser Vorleistungen nach China nicht möglich bzw. von den Produzenten nicht gewollt sein. Hier könnte seitens der chinesischen Regierung oder auch chinesischer Geschäftspartner, zunehmend Druck auf die Unternehmen ausgeübt werden, auf in China (und dort vor allem von chinesischen Unternehmen) produzierte Vorleistungen umzusteigen, selbst dann, wenn diese technologisch oder qualitativ (noch) nicht gleichwertig sind. Dies könnte für die Unternehmen mit erheblichen (Anpassungs-)Kosten verbunden sein und auch die Qualität ihrer eigenen Produkte reduzieren und damit ihre Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren chinesischen Konkurrenten vermindern.

Unternehmen, die den chinesischen Markt derzeit ausschließlich oder überwiegend von außerhalb Chinas aus bedienen, müssen damit rechnen, tendenziell noch stärker gegenüber chinesischen Unter­nehmen benachteiligt zu werden als die ausländischen Produ­zenten vor Ort. Zwar dürften auch viele dieser Unternehmen von der Ausweitung der chinesischen Binnennachfrage zunächst profitieren kön­nen. Mit der geplanten Stärkung der technologischen Leistungsfähigkeit der chinesischen Unter­nehmen und der Steigerung der Vielfalt und der Qualität ihrer Produkte, dürften sich ihre Absatz­möglichkeiten in China jedoch zunehmend verschlechtern. Einige dieser Unternehmen könnten erwägen, ihre Produktion doch noch nach China zu verlegen, um ihre dortigen Absatzchancen zu verbessern. Allerdings müssen die Unternehmen dann auch damit rechnen, gegenüber chinesischen Konkur­renten vor Ort benachteiligt zu werden.

In vielen Technologiefeldern, inklusive einiger der im Fünfjahresplan genannten Schlüssel­techno­logien, sind chinesische Unternehmen derzeit allerdings noch weit von der angestrebten Technolo­gieführerschaft entfernt. Zusätzlich zur geplanten verstärkten Förderung eigenständiger Forschung und Innovation wird China daher zur Erreichung seiner Ziele nicht auf den Wissens- und Technologie­transfer aus dem Ausland verzichten wollen. Neben dem Anreiz für ausländische Unternehmen und Talente dürften daher auch chinesische Direktinvestitionen und gezielte Übernahmen führender ausländischer Unternehmen in wissens- und technologieintensiven Industrien weiter an Bedeutung gewinnen. Als Heimatstandort vieler solcher Unternehmen dürften Deutschland und Europa daher in Zukunft wieder mit einem Anstieg solcher Firmen­übernahmen zu rechnen haben. Angesichts der Bedeutung, die der neue Fünfjahresplan der Förderung der technologischen Eigen­ständig­keit sowie der Stärkung des chinesischen Binnenmarkts und dem Aufbau geschlossener Wertschöpfungsketten in China beimisst, könnte es dabei im Anschluss an solche Übernahmen eher als in der Vergangenheit auch zu einer Verlagerung der Forschungs- und Entwicklungs­aktivitäten oder auch der Produktion der über­nommenen Unternehmen nach China kom­men.

Was Deutschland und Europa tun sollten

Mit der Forderung nach Eigenständigkeit in Wissenschaft und Technologie und einer Stärkung der Binnenwirtschaft erinnert der neue chinesische Fünfjahresplan an aktuelle Diskussionen in Deutsch­land und Europa. Auch hier werden verstärkt Forderungen nach mehr technologischer Souveränität und geschlossenen europäischen Wertschöpfungsketten laut. Zweifellos könnten auch Deutschland und Europa von einer intensiveren Förderung ihrer wissenschaftlichen und technolo­gischen Leistungs­fähigkeit und einer Stärkung (der Integration) des europäischen Binnenmarkts profitieren. Allerdings wäre es ein Fehler, hierfür die Vorteile zu gefährden, die sich sowohl bei Forschung und Innovation als auch bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen aus der internationalen Arbeitsteilung ergeben. Offenheit für Handel, Investitionen und Wissensaustausch ist eine wesentliche Grundlage für den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit Europas, an der es festzuhalten gilt. Und auch wenn China selbst weniger offen für Importe und ausländische Investoren ist und sich die politischen Spannungen zwischen China und Europa gegenwärtig verschärfen, gilt dies grundsätzlich auch gegenüber China. Eine wechselseitige Verschärfung und Eska­lation von Maßnahmen zur wirtschaft­lichen und technolo­gischen Entkoppelung von China und Europa und den USA, wäre für die europäische und insbesondere die deutsche Wirtschaft mit erheblichen Risken verbunden.

Auf Chinas Fünfjahresplan sollte die EU daher ihrerseits nicht mit einer stärkeren Abschottung gegenüber China reagieren. Dort wo die Übernahme europäischer Unternehmen durch chinesische Investoren mit konkreten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verbunden sind, können sie in Deutschland und vielen anderen EU-Mitgliedstaaten schon heute untersagt werden. Ein Verbot von Unternehmensübernahmen allein aufgrund industriepolitischer Erwägungen oder wegen „mangelnder Reziprozität“ sollte dagegen auch in Zukunft nicht möglich sein. Ein Verbot des Erwerbs europäischer Technologiefirmen durch chinesische Investoren wäre ohnehin kaum ein geeignetes Instrument, um einen Technologietransfer effektiv zu verhindern oder den technologischen Vorsprung oder die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu verteidigen. Hierfür gilt es vielmehr sicherzustellen, dass Europa ein attraktiver Standort für Forschung und Innovation bleibt. Investitionen in Bildung, Grundlagenforschung und moderne Infrastruktur, Zugang zu Finanzmitteln und Human­kapital, innovationsfreundliche Regelungen und eine generelle Offenheit für neues Wissen sowie Innovationen sind hier entscheidend.  

Was die Gefahr einer mit der Umsetzung des Fünfjahresplans möglicherweise weiter zunehmenden Diskriminierung europäischer Unternehmen in China betrifft, so sollte die EU gegenüber China stärker noch als bisher auf die Einhaltung der von China bereits gemachten Zusagen zur Marktöffnung und zur fairen Behandlung ausländischer Unternehmen bestehen und darüber hinaus versuchen, China in bi- oder multilateralen Verhand­lungen zu weiteren Liberalisierungs­schritten zu bewegen. Mit Blick auf europäische Direktinvestitionen in China kann dem kürzlich zwischen der EU und China vereinbarten – aber noch nicht ratifizierten – umfassenden Investitions­abkom­men hierbei große Bedeutung zukommen. China verpflichtet sich in dem Abkommen dazu, europäischen Investoren einen umfas­senderen Marktzugang als je zuvor zu gewähren. Zudem verpflichtet sich China zu einer Reihe von Maßnahmen, die euro­pä­ischen Unternehmen eine faire Behandlung und fairere Wettbewerbs­bedingungen in China garan­tieren sollen (mehr Informationen siehe Bickenbach, F. und W.-H. Liu, „Das Investitionsabkommen der EU mit China aus europäischer Sicht: Erfolge mit Defiziten“. Kiel Focus 02/2021). Viele der Verpflich­tungen, die China in dem Abkommen eingeht, wurden von China zuvor zwar bereits einseitig zugesagt. Durch das Abkommen würde es für China jedoch deutlich schwieriger, diese Zusagen einseitig zurückzu­nehmen, und die EU hätte bessere Möglichkeiten, die Einhal­tung dieser Verpflich­tungen zu überwachen und einzufordern. Angesichts der möglichen Konsequenzen der im neuen Fünfjahresplan beschriebenen Ziele und Maßnahmen wäre dies ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass das Abkommen auch ratifiziert und in Kraft gesetzt wird, was derzeit jedoch keineswegs gesichert scheint.

Auch über das Investitionsabkommen hinaus, sollte die EU weiterhin den wirtschafts­politischen Dialog mit China suchen, um China dazu zu bewegen, seine Märkte für Handel wie für Investitionen weiter zu öffnen und (nicht nur) europäischen Unternehmen faire Marktzugangs- und Wettbewerbs­bedingungen zu garantieren. Dies kann im Rahmen weiterer bilateraler Verhand­lungen zwischen der EU und China geschehen oder auch gemeinsam mit den USA und in multilateralen Verhandlungen etwa im Rahmen der WTO. Dies erfordert freilich guten Willen und hinreichend Vertrauen auf allen Seiten, was in einer Zeit erheblicher Spannungen in den politischen Beziehungen zwischen China und der EU und den USA keine leicht zu erfüllende Voraussetzung ist. Chinas neuer Fünfjahresplan macht einen (erfolgreichen) Dialog nicht einfacher, aber vermutlich umso dringlicher.


Coverfoto: © Jenson – iStockphoto

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.