Wirtschaftspolitischer Beitrag

Anhebung der EU-Klimaziele: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Autoren

  • Sonja Peterson
  • Wilfried Rickels
Erscheinungsdatum

Die Treibhausgasemissionen der EU sollen um mindestens 55 Prozent bis 2030 sinken – darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember 2020 geeinigt. Hehre Klimaziele sind ein wichtiger Zwischenschritt - für die klimapolitische Realität sind aber die Erreichung der Ziele und die damit verbundenen Kosten im Zweifel relevanter; ebenso wie die Einbindung in die internationale Klimapolitik.

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich nach zähem Ringen am Freitag darauf geeinigt, dass die EU ihre Treibhausgasemissionen statt wie bisher um 40 Prozent (gegenüber 1990) nun um mindestens 55 Prozent bis 2030 senken will. Eine solche Verschärfung des Emissionsziels ist ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zu einer treibhausgasneutralen und CO2-netto-negativen EU in 2050.

Trotzdem kritisieren Umweltverbände das Ziel als zu lasch und nicht ausreichend im Hinblick auf die Pariser Temperaturziele und verweisen auf den Vorschlag des EU-Parlaments von 60 Prozent Reduktion, während Industrieverbände vor hohen Kosten warnen. Nun zeigt die klimapolitische Realität allerdings, dass es an hehren Zielen selten gemangelt hat und im Zweifel deren Erreichung das Entscheidende ist und dass die damit verbundenen Kosten stärker durch die eingesetzten Instrumente als durch das absolute Ziel bestimmt wurden. Außerdem steht der eigentliche Kraftakt noch im nächsten Jahr an, wenn sich die EU-Staaten darauf einigen müssen, wie die existierenden nationalen Reduktionsziele mit dem neuen Gesamtziel in Einklang gebracht werden. Entsprechend ist die Umsetzung des EU-Reduktionsziels und auch die Einbettung in die internationale Klimapolitik wichtiger als die reine Prozentzahl.

Durch den Brexit fehlt der EU ein vermeintlicher Musterschüler

Ohne Frage ist das Reduktionsziel von minus 55 Prozent ambitioniert. Bislang sind die Treibhausgasemissionen der EU-28 von 1990 bis 2018 um nur gut 23 Prozent gesunken. Entsprechend muss sich das Reduktionstempo deutlich erhöhen. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass viele „einfache“ und kostengünstigste Vermeidungsmaßnahmen bereits ergriffen wurden – weitere effiziente Emissionsreduktionen setzen entsprechende Technologieentwicklungen und deren Einsatz voraus. Außerdem muss das zukünftige Reduktionsziel ohne einen vermeintlichen Musterschüler erreicht werden: Durch den Brexit zählen die britischen Emissionsreduktionen nicht mehr länger beim EU-Ziel. Großbritannien besticht durch einen wissenschaftsbasierten und pragmatischen klimapolitischen Ansatz mit klarem CO2-Preissignal. Entsprechend hat sich Großbritannien im Zuge der nationalen Beiträge zum Pariser Klimaabkommen zu einer Reduktion von 68 Prozent bis 2030 verpflichtet und übertrifft damit das europäische Reduktionsziel deutlich. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass das Land laut Zahlen des Global Carbon Budgets etwa ein Drittel der Reduktionen seit 2008 durch Emissionsverlagerungen ins Ausland erreicht hat.

Hier zeigt sich, dass ein Fokus auf territoriale Emissionen für effiziente Klimapolitik nicht ausreichend ist, denn am Ende wird der Klimawandel durch die globalen Nettoemissionen bestimmt. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass die EU vor ambitionierten Klimazielen zurückschrecken sollte. Allerdings werden die internationale Signalwirkung und Anschlussfähigkeit stark davon abhängen, inwieweit es der EU durch den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente gelingt, diese Ziele effizient zu erreichen.

Wichtige Instrumente: Emissionshandel und Grenzausgleich

Voraussetzung dafür ist eine Ausweitung des europäischen Emissionshandels, der seit 2005 als zentrales Instrument der europäischen Klimapolitik die Emissionen von CO2 und weiteren Treibhausgasen bepreist. Allerdings umfasst er derzeit nur etwa 40 Prozent der europäischen Emissionen. Eine weitere Zielschärfung im Einklang mit den EU-Reduktionzielen sowie eine Ausdehnung auf den Gebäudesektor und den maritimen Sektor ist im EU Green New Deal bereits vorgesehen. Auch der Transportsektor sollte durch das EU EHS abdeckt werden, insbesondere angesichts derzeit überlappender und sich konterkarierender Instrumente von Flottenverbrauchszielen bis REDII Direktive. Wegen der hohen Vermeidungskosten im Transportsektor kann zwar in der Übergangszeit eine zweigeteilte Bepreisung sinnvoll sein, aber bis 2030 sollte auch dieser Sektor vollumfänglich Teil des EU EHS sein.

Die Verlagerung von Emissionen außerhalb der EU ist wie oben angesprochen ein ernsthaftes Problem für effiziente Klimapolitik. Trotzdem sollte auf Ausnahmen von einer einheitlichen Bepreisung über alle Sektoren verzichtet werden und stattdessen Anreize für die internationale Anschlussfähigkeit durch geeignete Grenzausgleichsmechanismen geschaffen werden. Neben dem Leitinstrument der Bepreisung sollten weitere staatliche Unterstützungsmaßnahmen nur mit viel Augenmaß angewendet werden, da man sonst schnell in einem lobbygetriebenen Wirrwarr verschiedener Maßnahmen endet, was wenig transparent und aufgrund von Widersprüchen in seiner Gesamtwirkung kaum noch abschätzbar ist. Allerdings umfasst der optimale Politikmix durchaus auch Subventionen in jenen Bereichen, in denen positive Externalitäten vorliegen wie im Bereich Forschung und Entwicklung neuer Technologien oder bei Infrastrukturinvestitionen.

Ohne negative Emissionen wird es nicht gehen

Umweltverbände und Think Tanks kritisieren ebenfalls, dass das Reduktionsziel nun anders als in der Vergangenheit ein „Netto-Ziel“ ist und auch CO2-Senken beinhaltet. Entsprechend betrüge das Bruttoemissionsreduktionsziel nur etwa 53 Prozent; die zusätzlichen 2 Prozent werden durch die Anrechnung von Senken erreicht. Tatsächlich kommt es für die Klimawirkung aber auf die Nettoemissionen an. Insofern ist ein solches Gesamtziel sinnvoll. Allerdings geht es nicht in erster Linie darum, durch die CO2-Entnahme Emissionsvermeidung zu substituieren, sondern darum, ambitionierte Netto-Reduktionsziele zu erreichen. Entsprechend sollte ein größerer Anteil von Negativen Emissionen Technologien (NETs) sowie naturbasierten Ansätzen zur CO2-Entnahme immer mit einem ambitionierteren Reduktionsziel einhergehen.

Ohne die Berücksichtigung dieser Möglichkeiten der CO2-Entnahme zur Erhöhung des Netto-Reduktionsziels, verbaut sich die EU sonst die Möglichkeit, noch stärker eine ursächliche Begrenzung des Klimawandels voranzutreiben. Voraussetzung dafür ist, dass NETs entsprechend in die Klimapolitik eingebunden und inzentiviert werden. Zur Integration von NETs in das EU ETS hat das IfW erst kürzlich Optionen aufgezeigt. Auch wenn ambitionierte nationale beziehungsweise EU-weite Reduktionsziele eine Voraussetzung für eine glaubwürdige Klimapolitik sind, kann die EU nur dann ihren Führungsanspruch für die internationale Klimapolitik verwirklichen, wenn sie die globalen Emissionen nicht aus den Augen verliert.


In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.

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Schlagworte

  • CO2 Emissionen
  • negative Emissionen