Wirtschaftspolitischer Beitrag

Anwerbung von Fachkräften, Spurwechsel, Regularisierung – was soll das neue Einwanderungsgesetz leisten?

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Autor

  • Matthias Lücke
Erscheinungsdatum

Ein deutsches Einwanderungsgesetz sollte für alle potentiellen Migranten einen legalen Weg in den deutschen Arbeitsmarkt aufzeigen. Nicht nur für hoch qualifizierte oder illegal ins Land gereiste.

Experte IfW Kiel

Der Plan der Bundesregierung für ein Einwanderungsgesetz hat zu einer lebhaften Debatte geführt, wie die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland erleichtert werden soll. Auf der einen Seite gibt sich das Bundesinnenministerium in seinem Eckpunktepapier zurückhaltend. Um in Deutschland zu arbeiten, müssten Arbeitskräfte ohne Hochschulabschluss demnach weiterhin hohe Hürden überwinden: ein qualifizierter Berufsabschluss, der in Deutschland als gleichwertig anerkannt werden muss; ein Arbeitsvertrag für eine Tätigkeit, die dieser Qualifikation entspricht; und entsprechende deutsche Sprachkenntnisse.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt in Deutschland würde insofern erleichtert, als diese Regeln für alle qualifizierten Berufsabschlüsse gelten würden und nicht nur für die gegenwärtige Positivliste mit Mangelberufen. Außerdem soll bei ausgewählten Berufsbildern etwa in der IT-Branche auf einen formalen Berufsabschluss verzichtet werden, wenn die übrigen Voraussetzungen vorliegen. Schließlich soll es Visa für einen Aufenthalt in Deutschland zur Arbeitsplatzsuche geben, wenn Arbeitskräfte die sonstigen Voraussetzungen erfüllen. Geprüft werden soll außerdem, wie Nicht-EU-Staatsangehörige in Deutschland leichter eine Berufsausbildung oder Qualifizierungsmaßnahmen absolvieren können.

Diese Eckpunkte fallen hinter die vielfach erhobene Forderung zurück, die Zuwanderung nach Deutschland für Arbeitskräfte ohne Hochschulabschluss wesentlich zu erleichtern. Nur wenige Nicht-EU-Staatsangehörige werden, wie vom Bundesinnenministerium vorgesehen, die formale Gleichwertigkeit ihrer Berufserfahrungen mit einem qualifizierten deutschen Berufsabschluss nachweisen können – auch wenn sie mit ihren beruflichen Kenntnissen ihren Lebensunterhalt in Deutschland tatsächlich selbst verdienen könnten. Zu sehr unterscheiden sich die Ausbildungssysteme für die meisten qualifizierten Berufe zwischen Deutschland und dem Rest der Welt.

Weitere Vorschläge zu dem geplanten Einwanderungsgesetz beziehen sich auf Verbesserungen für Menschen, die ursprünglich als Asylsuchende nach Deutschland gekommen sind und letztlich keinen Schutzstatus erhalten haben, aber trotzdem hier leben und arbeiten. Wenn solche Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, führt dies in der deutschen Öffentlichkeit häufig zu Unverständnis und zu der Forderung, unter gewissen Bedingungen einen „Spurwechsel“ beim Aufenthalt in Deutschland zuzulassen: von der „Asyl-Spur“ auf die „Arbeitsmarkt-Spur“.

Allerdings ist diese Forderung umstritten, weil eine Institutionalisierung des Spurwechsels für potenzielle künftige Migranten ein Grund sein könnte, irregulär nach Deutschland zu reisen und einen unbegründeten Asylantrag zu stellen – in der Hoffnung, später bei Bedarf auf die „Arbeitsmarkt-Spur“ zu wechseln. Schließlich gibt es derzeit ohne Hochschulabschluss für Nicht-EU-Staatsangehörige kaum einen regulären Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.

Deshalb wurde für den Spurwechsel auch eine Stichtagsregelung vorgeschlagen: Nur wer vor dem kritischen Datum eingereist ist, darf die Spur wechseln. Allerdings kann dies nur funktionieren, wenn die Stichtagsregelung glaubwürdig ist: Die Anreize für irreguläre Zuwanderung müssen grundsätzlich geringer werden – etwa durch faire und rasche Asylverfahren und eine zeitnahe Rückkehr abgelehnter Asylsuchender in ihre Heimatländer. Sonst werden potenzielle irreguläre Migranten darauf hoffen, dass es irgendwann einen neuen Stichtag und auch für sie Aussicht auf Spurwechsel geben wird.   

Drei Schlussfolgerungen liegen nahe. Erstens leben in Deutschland tatsächlich viele Nicht-EU-Staatsangehörige ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht (zum Beispiel mit vielfach erneuerter Duldung), von denen die meisten erfahrungsgemäß nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Die Lebensbedingungen sind dort oft viel schwieriger als in Deutschland, und letztlich werden nur wenige Menschen aus dieser Gruppe tatsächlich abgeschoben. Wenn der Aufenthalt dieser Menschen in Deutschland „regularisiert“ würde (sie also ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekämen), könnten sie sich leichter eine dauerhafte Existenz aufbauen, und Behörden und Sozialsysteme würden am Ende vermutlich entlastet. Dies kann unabhängig von dem geplanten Einwanderungsgesetz geschehen – zum Beispiel durch wesentliche Erleichterungen bei der Aufenthaltsgewährung für gut integrierte ausländische Staatsangehörige.

Zweitens ist ein institutionalisierter „Spurwechsel“ für abgelehnte Asylsuchende nur dann sinnvoll, wenn eine ähnliche „Arbeitsmarkt-Spur“ allen Nicht-EU-Staatsangehörigen offensteht – auch bei Beantragung eines Arbeitsvisums vom Herkunftsland aus. Sonst würde ein institutionalisierter Spurwechsel die Anreize für irreguläre Einwanderung nach Deutschland erhöhen. Ausnahmsweise könnte ein Spurwechsel speziell für Asylsuchende gerechtfertigt sein, wenn Asylverfahren sehr lange dauern: Dann hätten alle Asylsuchenden einen großen Anreiz, sich von Beginn an für ihre soziale und wirtschaftliche Integration zu engagieren, unabhängig vom Ausgang des Asylverfahrens. Faire und rasche Asylverfahren (wie etwa in den Niederlanden und der Schweiz) sind aber in jedem Fall wünschenswert und würden dieses Anreizproblem lösen.

Drittens sind die Eckpunkte des Bundesinnenministeriums für das geplante Einwanderungsgesetz so restriktiv, dass nur wenige potenzielle Migrantinnen und Migranten legalen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen würden. Damit würden nicht nur auf individueller Ebene Anreize für irreguläre Migration fortbestehen. Es würde auch ein wichtiger Baustein für umfassende Partnerschaftsabkommen mit afrikanischen Staaten fehlen: Ohne mehr legale Migrationswege werden afrikanische Regierungen kaum bereitwilliger an der unpopulären Rückführung ihrer Staatsangehörigen mitwirken, die in Europa kein Bleiberecht bekommen. Das künftige Einwanderungsgesetz sollte daher die formale Gleichwertigkeit ausländischer mit deutschen Berufsabschlüssen als Zulassungskriterium nicht absolut setzen; sehr oft sollten relevante Berufserfahrungen verbunden mit einem adäquat dotierten Jobangebot in Deutschland genügen.

(Leicht geänderte Fassung eines Gastkommentars, der am 6. September 2018 unter dem Titel „Drei Punkte für ein gutes Einwanderungsgesetz“ auf Zeit Online erschienen ist.)


Coverfoto: © European Union 2015 - Source EP

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.

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