Wirtschaftspolitischer Beitrag

Wie Globalisierung und Digitalisierung die Bundestagswahlen beeinflussen

Autor

  • Robert Gold
Erscheinungsdatum

Globalisierung und Digitalisierung treiben nicht nur die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen, sie beeinflussen auch das Wahlverhalten. In einer Rei

Experte IfW Kiel

Die Produktivitätsentwicklung in China beeinflusst Bundestagswahlen in Deutschland (Dippel, Christian, Robert Gold und Stephan Heblich (2015). Globalization and Its (Dis-)Content: Trade Shocks and Voting Behavior. NBER Working Paper 21812). Das sagt viel aus über den aktuellen Stand der Globalisierung. Es ist nicht ungewöhnlich, dass wirtschaftliche Entwicklungen einen Einfluss auf Wahlentscheidungen haben. Dass wirtschaftliche Entwicklungen am anderen Ende der Welt Parlamentswahlen in Deutschland beeinflussen, macht aber doch in bemerkenswerter Weise deutlich, wie eng vernetzt die nationalen Volkswirtschaften mittlerweile sind.

Doch warum genau sollten sich deutsche Wählerinnen und Wähler mehr für die chinesische Produktivität interessieren als für den sprichwörtlichen Sack Reis? Die steigende Produktivität in Niedriglohnländern wie China erhöht den Wettbewerbsdruck auf deutsche Produzenten und führt zu Arbeitsmarktanpassungen. Regionen, die einem starken Import-Wettbewerb aus Niedriglohnländern ausgesetzt sind, sehen sich nicht nur mit Arbeitsplatzverlusten vor allem im Verarbeitenden Gewerbe konfrontiert. Sie verzeichnen auch Stimmzuwächse für rechtsextreme Parteien, die eine streng nationalistische Agenda als Gegenentwurf zur Globalisierung propagieren. Der Effekt ist getrieben von geringqualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Verarbeitenden Gewerbes. Entsprechend vermutet man, dass exakt diese Gruppe von „Verlierern“ der Globalisierung auch hinter dem Ausgang der letzten Präsidentenwahlen in den USA. (Jensen, J. Bradford, Dennis P. Quinn und Stephen Weymouth (2016). Winners and Losers in International Trade: The Effects on U.S. Presidential Voting. NBER Working Paper 21899 und Che, Yi, Yi Lu, Justin R. Pierce, Peter K. Schott und Zhigang Tao (2016). Does Trade Liberalization with China influence U.S. Elections? NBER Working Paper 22178) .Sie unterstützen den Front National bei Präsidentschaftswahlen in Frankreich (Malgouyres, Clément (2017). Trade Shocks and Far-Right Voting: Evidence from French Presidential Elections. RSCAS Working Paper 2017/21)  – und eben auch rechts-nationalistische Parteien bei Bundestagswahlen (Dippel, Christian, Robert Gold und Stephan Heblich (2015). Globalization and Its (Dis-)Content: Trade Shocks and Voting Behavior. NBER Working Paper 21812).

Dabei haben zunehmender internationaler Handel und Wettbewerb per se eine moderierende Wirkung auf Wählerinnen und Wähler. (Dippel, Christian, Robert Gold, Stephan Heblich und Rodrigo Pinto (2017). Instrumental Variables and Causal Mechanisms: Unpacking the Effect of Trade on Workers and Voters. NBER Working Paper 23209).Offenbar verbinden sich mit dem Austausch von Gütern und Dienstleistungen auch Formen des kulturellen Austauschs, welche streng nationalistische Agenden weniger attraktiv erscheinen lassen. Dieser Effekt wird aber deutlich überkompensiert durch die radikalisierende Wirkung der globalisierungsbedingten Arbeitsmarktfriktionen. Interessanterweise kommt es nicht so sehr darauf an, ob Wählerinnen und Wähler direkt negativ von der Globalisierung betroffen sind. Sie erhöhen ihre Unterstützung rechts-nationalistischer Parteien vielmehr dann, wenn ihre Heimatregion von negativen Arbeitsmarkteffekten der Globalisierung betroffen ist. Dieser Effekt wirkt aber in zwei Richtungen: Regionen, die von neuen Absatzpotenzialen auf den Weltmärkten profitieren, verzeichnen Stimmverluste für rechtsradikale Parteien. Die Unterstützung globalisierungsfeindlicher Parteien steht und fällt also mit den Arbeitsmarktanpassungen, die der globale Handel hervorruft – und wie mit diesen Arbeitsmarktanpassungen umgegangen wird.

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass Globalisierung zu einem massiven Rechtsruck bei den nächsten Bundestagswahlen führen wird. Dafür profitiert die deutsche Volkswirtschaft viel zu sehr von den Exportmöglichkeiten, die der Welthandel bietet. Tatsächlich ist es eher so, dass ohne Globalisierung mehr Stimmen für nationalistische Parteien bei der nächsten Bundestagswahl zu erwarten wären. In diesem Sinne unterscheidet sich Deutschland von anderen Hochlohnländern. Zwar gibt es auch hierzulande Regionen, die von der Globalisierung gebeutelt sind und in denen nationalistisch ausgerichtete Parteien von den Stimmen der „Globalisierungsverlierer“ profitieren können. Globalisierung allein kann bei den anstehenden Wahlen aber kein massives Erstarken rechtspopulistischer Tendenzen begründen. Vielmehr finden globalisierungskritische Parteien in Deutschland derzeit einen sehr viel schlechteren Nährboden vor als in den meisten anderen westlichen Ländern. Es besteht aber die Gefahr, dass sich etablierte Parteien vom Freihandel abwenden, um sich globalisierungskritische Wählerpotenziale zu erschließen.

Das Potenzial, mit protektionistischen Handelspolitiken Wahlkampf zu betreiben, ist nämlich auch in Deutschland vorhanden. Trotz der insgesamt positiven Effekte des globalen Handels gibt es Branchen, die negativ vom internationalen Wettbewerb betroffen sind. Häufig setzen gerade diese Branchen auf Automatisierung, um dem globalen Wettbewerb zu begegnen. Bei zunehmender Digitalisierung der Wirtschaft legt dies nahe, dass es Berufsgruppen gibt, deren Arbeitsmarktperspektiven sich durch Globalisierung und Digitalisierung zunehmend verschlechtern. Insgesamt wirken sich Globalisierung und Digitalisierung wohlfahrtssteigernd aus, doch nicht alle Menschen profitieren gleichermaßen von dieser Entwicklung. Wenn es nicht gelingt, den Verlierern dieser Prozesse neue Perspektiven zu bieten, besteht die Gefahr, dass einer gesamtgesellschaftlich positiven Entwicklung die politische Unterstützung entzogen wird.

Digitalisierung wirkt sich aber auch sehr viel direkter auf Wahlen aus (Falck, Oliver, Robert Gold und Stephan Heblich (2014). E-lections: Voting Behavior and the Internet. American Economic Review 104 (7), 2238–2265). Immer mehr Menschen nutzen Online-Medien, um sich über politische Sachverhalte zu informieren. Und je besser Individuen informiert sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich an Wahlen beteiligen. Die Frage ist also, ob Internetnutzung den Informationsstand einer bzw. eines durchschnittlichen Wahlberechtigten erhöht. Dafür spricht die Fülle an Informationen, die über das Internet quasi kostenlos abgerufen werden kann. Während man bei den „traditionellen“ Medien Zeitung, Radio oder Fernsehen stets nur redaktionell vorgefilterte Informationen präsentiert bekommt, ist man im Internet frei, die relevanten Informationen selbst zu recherchieren. Dagegen spricht der Zeitaufwand der Informationsbeschaffung online. Nicht jeder Internetnutzer dürfte in der Lage sein, sich binnen 15 Minuten die Menge an Informationen zu ergooglen, die dem Informationsgehalt einer Hauptnachrichtensendung entspricht. Hinzu kommen die vielfältigen Möglichkeiten zum Unterhaltungskonsum, mit denen der Informationskonsum online konkurriert.

Es zeigt sich, dass mit der Einführung des Internets in Deutschland der Informationsstand der durchschnittlichen Nutzerin bzw. des durchschnittlichen Nutzers sinkt (Falck, Oliver, Robert Gold und Stephan Heblich (2014). E-lections: Voting Behavior and the Internet. American Economic Review 104 (7), 2238–2265). Die User verringern den Konsum anderer Medien, vor allem ihren Fernsehkonsum, und verwenden mehr Zeit auf den Unterhaltungskonsum. In der Folge sinkt die Wahlbeteiligung. Ähnliche Effekte sind für andere europäische Länder belegt (Gavazza, Alessandro, Mattia Nardotto und  Tommaso Valetti (2015). Internet and Politics: Evidence from U.K. Local Elections and Local Government Policies. CEPR Discussion Paper 10991 und Campante, Filipe R., Ruben Durante und Francesco Sobbrio (2013). Politics 2.0: The Multifaceted Effect of Broadband Internet on Political Participation. NBER Working Paper 19029. Allerdings ist davon auszugehen, dass verschiedene Nutzertypen recht unterschiedlich von der Einführung des Internets betroffen sind. Einige nutzen die Informationsmöglichkeiten des Internets sehr intensiv, was sich durchaus positiv auf ihr politisches Engagement auswirken kann. Andere nutzen vor allem die Unterhaltungsmöglichkeiten, reduzieren ihren Nachrichtenkonsum und ziehen sich aus der politischen Teilhabe zurück.

Neuere Studien deuten allerdings darauf hin, dass sich mit dem Aufkommen sozialer Medien wie Twitter und Facebook durchaus Mobilisierungspotenziale verbinden. Dabei gelingt es vor allem Politikern und Parteien, die eher randständige Ansichten vertreten, über soziale Medien Unterstützung zu organisieren. Beispielsweise ging auch in Italien mit der Einführung des Internets die Wahlbeteiligung zurück – ab 2013 nahm sie aber wieder zu (Campante, Filipe R., Ruben Durante und Francesco Sobbrio (2013). Politics 2.0: The Multifaceted Effect of Broadband Internet on Political Participation. NBER Working Paper 19029). Dieser Anstieg ist auf den Wahlerfolg von Beppe Grillos „5-Sterne“-Bewegung zurückzuführen, die mit einer intensiven Social-Media-Kampagne Wähler mobilisieren konnte. Im vergangenen Jahr nutzten 14 Prozent der Wahlberechtigten in den USA soziale Medien als „wichtigste Informationsquelle“ für die anstehenden Präsidentschaftswahlen (Allcott, Hunt und Matthew Gentzkow (2017). Social Media and Fake News in the 2016 Election. NBER Working Paper 23089). Soziale Medien waren aber auch der wichtigste Kanal zur Verbreitung von Fehlinformationen („fake“ bzw. „alternative news“), welche dem Wahlgewinner deutlich mehr genutzt haben als seiner Herausforderin. Im Vorfeld des Brexit-Referendums ließ sich im Vereinigten Königreich eine erhöhte Aktivität von Twitter-Bots verzeichnen, die versuchten, das Meinungsbild in die ein oder die andere Richtung zu beeinflussen, mit einem stärkeren Effekt auf Brexit-Befürworter (Gorodnichenko, Y., T. Pham und O. Talavera (2017). Social Network, Sentiment and Political Outcomes: Evidence from #Brexit. Paper presented at the 2017 RES Conference in Bristol).

Im Vergleich dazu sind die Wahlkampfaktivitäten in den sozialen Medien in Deutschland sehr viel geringer ausgeprägt. Das liegt einerseits an der speziellen Nutzerstruktur. Twitter ist weniger verbreitet als in anderen Ländern, und insgesamt werden soziale Medien weniger intensiv als Informationsmedium genutzt. Andererseits gibt es aber auch kaum speziell auf die sozialen Medien zugeschnittene Wahlkampfinstrumente. Damit bleiben jedoch auch die Potenziale, in direkten Kontakt zu Wählerinnen und Wählern zu treten, ungenutzt. Analysen des IfW zeigen, dass Diskussionen zu politischen Sachverhalten in Facebook zunehmend verrohen (Ademmer, Esther, Robert Gold und Tobias Stöhr (2017). A Slap in the Facebook: Social Media Users‘ Response to the Refugee Crisis. Unveröffentlichtes Manuskript). Gleichzeitig schließen sich vor allem Individuen mit stark von der Mehrheitsmeinung abweichenden Einstellungen zu Gruppen zusammen, in denen sie kaum noch mit alternativen Ansichten konfrontiert werden. Politikerinnen und Politiker sollten daher nicht nur in Wahlkampfzeiten stärkere Präsenz in den sozialen Medien zeigen. Das könnte nicht nur dazu beitragen, dem Abdriften gewisser Bevölkerungsteile in Online-Parallelwelten entgegenzuwirken. Es könnte auch helfen, verlorene Reputation im direkten Bürgerkontakt zurückzugewinnen.

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.