Wirtschaftspolitischer Beitrag

Wie aus der Flucht ein Ankommen werden kann

Kiel Focus Cover

Autoren

  • Toman Barsbai
  • Hillel Rapoport
Erscheinungsdatum

Die jeweiligen Präferenzen von Flüchtlingen und aufnehmenden Orten zu berücksichtigen, erhöht die Integrationschancen. Ein Vorschlag von Hillel Rapoport von der Paris School of Economics und Toman Barsbai vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, wie das gelingen kann.

Ziehen zu viele Flüchtlinge in Ballungsräume entstehen soziale Brennpunkte, sagt die Politik, und beschloss jüngst, dass Flüchtlingen ein Wohnort zugewiesen werden kann. Diese behördliche Verteilung nimmt jedoch keine Rücksicht auf Interessen und Qualifikationen der Menschen. Und auf soziale Bindungen nur in Ausnahmefällen. Doch Flüchtlinge an einen Ort zu binden, an dem sie nicht sein wollen, ist womöglich integrationspolitisch genauso kontraproduktiv wie über die Entstehung sozialer Brennpunkte hinwegzusehen.

Studien aus Schweden legen nämlich nahe, dass die Integrationschancen von Flüchtlingen möglicherweise geringer sind, wenn ihre Präferenzen für Wohnorte nicht berücksichtigt werden. Denn der ihnen zugewiesene Ort hat langfristige Effekte auf Gesundheit, Bildung und den Arbeitsmarkterfolg von Flüchtlingen. Ebenso wenig wie die Präferenzen von Flüchtlingen für Wohnorte werden bei der Verteilung die Präferenzen der aufnehmenden Orte für bestimme Gruppen von Flüchtlingen berücksichtigt.

Dabei gäbe es einen wissenschaftlich basierten Lösungsansatz: Matching. Würden die Interessen von Flüchtlingen und aufnehmenden Gemeinden vorab abgeglichen, wäre das humaner und effizienter zugleich. Nicht nur den Flüchtlingen wäre mit einer besseren Ortswahl geholfen. Auch in den aufnehmenden Ländern würde der Aufwand sinken, die Residenzpflicht durchzusetzen. Zudem wäre die Integrationsperspektive im Sinne aller von Anfang an besser.

Ein wissenschaftlicher Ansatz

Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht ist die optimale Berücksichtigung der gegenseitigen Präferenzen bei der Verteilung von Flüchtlingen auf Wohnorte das, was man als Matching-Problem bezeichnet.

Ausgangspunkt für Matching sind Verteilungsschlüssel, die festlegen, wie viele Flüchtlinge wo leben sollen. Diese Verteilungsschlüssel gibt es in Deutschland bereits. Der Königsteiner Schlüssel legt unter Berücksichtigung des Steueraufkommens und der Bevölkerungsgröße fest, wie viele Flüchtlinge in welchem Bundesland untergebracht werden. Und auch bei der Verteilung über Gemeinde und Kreise innerhalb von Bundesländern kommen ähnliche Verteilungsschlüssel zum Einsatz. Bei der nun gegebenen Zahl von aufzunehmenden Flüchtlingen für jeden Ort hilft Matching zu optimieren, welche Flüchtlinge wo untergebracht werden.

Dafür würden Flüchtlinge bei der Erstregistrierung zunächst alle Bundesländer gemäß ihrer Präferenzen in eine Rangfolge bringen. Informationen – etwa zu Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur – würden ihnen dabei helfen.Nach dem Zufallsprinzip würden dann Flüchtlinge ausgewählt, die ihren Erstwunsch erfüllt bekommen. Wenn der Erstwunsch nicht mehr erfüllbar ist, kommt der Zweitwunsch zum Tragen und so weiter.

Dasselbe Verfahren würde auch innerhalb von Bundesländern angewendet, um Flüchtlinge auf Gemeinden zu verteilen. Um Flüchtlinge ohne Ortskenntnisse dabei nicht durch eine hohe Anzahl möglicher Gemeinden zu überfordern, könnten hier Gemeindetypen in eine Rangfolge gebracht werden. So könnten geflüchtete Studenten Gemeinden mit Hochschulen bevorzugen, junge Erwachsene ohne berufsqualifizierenden Abschluss Gemeinden mit vielen unbesetzten Ausbildungsstellen und Flüchtlinge mit Kindern Gemeinden mit einer größeren Kapazität an Kindertagesstätten und Schulen.

Ebenso könnten die Präferenzen der aufnehmenden Länder und Gemeinden für bestimmte Gruppen von Flüchtlingen berücksichtigt werden. Dies könnte die bevorzugte Aufnahme von Flüchtlingsfamilien oder Flüchtlingen mit bestimmten Qualifikationen sein, die eher den unterschiedlichen Bedürfnissen des ländlichen oder städtischen Arbeitsmarktes entsprechen. Auch könnten Gemeinden Flüchtlinge aus bestimmten Herkunftsländern bevorzugen, zum Beispiel weil sie mit dieser Gruppe von Flüchtlingen bereits positive Integrationserfahrungen gemacht haben. Die gegenseitigen Präferenzen würden „gematched“, und soweit es die Verteilungsschlüssel zuließen, kämen Flüchtlinge an Orte, die sie sich selbst ausgesucht haben und in denen sie willkommen sind.

Für das komplexe Matching-Verfahren, das die gegenseitigen Präferenzen weit möglichst zusammenführt,  gibt es bewährte Mechanismen, die vor allem auf die Arbeiten des Nobelpreisträgers Alvin Roth zurückgreifen. Roth und Kollegen haben verschiedene Matching-Mechanismen entwickelt, die etwa die Verteilung von Schul- und Studienplätzen oder Organspenden optimal regeln.

Solche Mechanismen auf die Verteilung von Flüchtlingen auf aufnehmende Länder und Gemeinden anzuwenden, würde noch nicht einmal große Zusatzkosten verursachen, der mögliche Gewinn wäre aber hoch, wenn eine passendere Zuweisung die Integrationschancen steigen ließe. Beide Seiten hätten ein Mitsprecherecht und würden womöglich Teilhabe für den Prozess und sein Ergebnis entwickeln. Bisher fehlt dieses demokratische und menschliche Element bei der rein behördlichen Verteilung von Flüchtlingen. Natürlich würden viele Flüchtlinge nicht ihren Erstwunsch und einige nur ihren Letztwunsch erfüllt bekommen. Aber dazwischen, bei den Zweit-, Dritt- und Viertwünschen, würde Matching die Verteilung im Vergleich zum status-quo deutlich verbessern. Dies wäre jetzt umso wichtiger, da Flüchtlinge durch das neue Integrationsgesetz jahrelang an ihren Wohnort gebunden werden können.

Prinzipiell ließe sich ein solches Verfahren auch auf EU-Ebene anwenden. Doch solange viele EU-Staaten keine oder nur möglichst wenige Flüchtlinge aufnehmen wollen, wäre die Einführung und Umsetzung ohne verbindliche Verteilungsschlüssel politisch äußerst schwierig. Dagegen ist Deutschland mit seinen bereits etablierten Verteilungsschlüsseln geradezu für Matching prädestiniert.

Unabhängig von der Debatte, ob und wie viele Flüchtlinge die Bundesländer oder einzelnen Gemeinden letztendlich aufnehmen, ist es im Interesse aller, den Verteilungsprozess so effizient und gleichzeitig so human wie möglich zu gestalten. Es ist den meisten Menschen, Flüchtlingen sowie Einheimischen, eben nicht gleichgültig, wo und mit wem sie leben.

(Geringfügig veränderte Fassung eines Gastkommentars, der am 31. Dezember unter dem gleichen Titel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist.)

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.

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