Wirtschaftspolitischer Beitrag

Wahlprogramme im Check: Der Klimawiderspruch

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Autoren

  • Wilfried Rickels
  • Christine Merk
Erscheinungsdatum

In ihren Programmen zur Bundestagswahl 2017 bekennen sich CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP klar zum Pariser Klimaschutzabkommen und damit zu dem Ziel, den A

Was wissenschaftlichen Studien und Vorausberechnungen zufolge neben der drastischen Senkung des Treibhausgasausstoßes notwendig sein wird, ist der Einsatz von sogenannten Negativen Emissi-onstechnologien (NETs). NETs entziehen der Atmosphäre mit Hilfe natürlicher biologischer und chemischer Prozesse bereits ausgestoßenes CO2, das dann langfristig in Bäumen, im Ozean oder unter der Erde gespeichert werden muss. Wird der Atmosphäre mehr CO2 entzogen als gleichzeitig emittiert wird, erreicht man negative Emissionen. In den aktuellen Berechnungen des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), die Grundlage des Pariser Klimaschutzabkommens sind, ist der Einsatz dieser Technologien bereits enthalten, und ohne sie ist das 2-Grad-Ziel, geschweige denn das 1,5-Grad-Ziel, gar nicht einhaltbar.

Das gilt umso mehr, wenn man von den zugrundeliegenden idealisierten Annahmen einer global abgestimmten ambitionierten Klimapolitik abweicht und zum Beispiel Preiseffekte sowie strategische Reaktionen auf den Märkten für fossile Brennstoffe als Folge nichtglobaler nachfrageseitiger Vermeidungsanstrengungen berücksichtigt. Vereinfacht gesagt, eine zunehmende „Trumpisierung“ der internationalen Klimapolitik mit der Abkehr von internationalen Emissionsreduktionsvereinbarungen macht NETs für die Länder umso wichtiger, die den Klimawandel begrenzen wollen.

In den Programmen der koalitionsrelevanten Parteien sucht man vergeblich nach einem Bekenntnis zu negativen Emissionen und den damit verbundenen neuen Technologien. Die CDU spricht zwar vage vom „Einsatz modernster Technologien“, die SPD von „Technologieneutralität und Innovationsoffenheit“, die Grünen meinen aber, man habe bereits heute „das Wissen, die Technik und den Erfinder*innengeist“, um den Klimawandel zu stoppen. Die FDP geht immerhin einen Schritt weiter indem sie hervorhebt, dass es technisch viele Wege gibt, das Klima zu schützen – wenn die Technologien eben gesellschaftlich akzeptiert sind. Hier liegt aber das Dilemma. Die Notwendigkeit von NETs ist weder gesellschaftlich verstanden noch akzeptiert. Keine der Parteien hat den Mut diese Notwendigkeit anzusprechen und die Maßnahmen entsprechend zu erklären und zu erforschen.

Dies ist auch deshalb so folgenreich, weil die tatsächliche Realisierung bzw. die Integration von NETs in Klimapolitiken bislang kaum erforscht ist. So wären zum Beispiel weltweit gigantische Flächen für den Anbau schnell wachsender Pflanzen erforderlich, mit entsprechenden Konsequenzen für Land- und Nahrungsmittelpreise, es müsste untersucht werden wie und in welchem Umfang Olivin oder pulverisierter Kalk in Küstengebieten und im Ozean ausgebracht werden könnte, und es müssten geologische Speichermöglichkeiten gefunden werden. Damit diese Technologien in den nächsten Jahrzehnten zum Einsatz kommen können, muss jetzt mit ihrer Erforschung und Entwicklung begonnen werden. Dazu gehört eben auch, die verschiedenen Ansätze in der Öffentlichkeit zu diskutieren und zu erklären.

Besonders die Speicherung von CO2 unter der Erde ist in Deutschland aber ein Tabuthema. Umweltverbände und Parteien tragen nicht dazu bei, dass hier ein sachlicher und problemorientierter Dialog entsteht. Im Gegenteil, keiner, der ambitioniert auf einen höheren Posten in der Politik aus ist, traut sich das Thema anzusprechen. Gleichzeitig wird aber die Wichtigkeit der Pariser Klimaschutzziele auch im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung, internationale Stabilität und weltweites Wachstum nachdrücklich betont.

Hierin liegt der Widerspruch: Natürlich könnten sich Parteien aus naturwissenschaftlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Gründen gegen den Einsatz dieser oder ähnlicher Technologien positionieren, sie können aber nicht gleichzeitig behaupten, die Erwärmung auf weniger als 2°C begrenzen zu wollen. Alleine mit der Reduzierung von Treibhausgasen, wie es die Parteiprogramme glauben machen wollen, ist dies nicht machbar. Wir brauchen ein offenes Wort zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft darüber, was gegen den Klimawandel getan werden kann, was die Gesellschaft tatsächlich bereit ist zu tun und wie wir uns anpassen müssen, falls nichts oder zu wenig gegen den Klimawandel getan wird.

Weiterführende Literatur:
Braun, Carola, Christine Merk, Gert Pönitzsch, Katrin Rehdanz und Ulrich Schmidt. Public Perception of Climate Engineering and Carbon Capture and Storage in Germany: Survey Evidence. In: Climate Policy 5 (1): 1–14. DOI: 10.1080/14693062.2017.1304888. http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14693062.2017.1304888  Im Erscheinen.

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.

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Schlagworte

  • negative Emissionen

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