Wirtschaftspolitischer Beitrag

Wahlprogramme: Fehlende Konzepte in der Flüchtlingspolitik

Autor

  • Matthias Lücke
Erscheinungsdatum

In den Wahlprogrammen der Parteien fehlt es an Konzepten zu Asyl und Migration – sowie an einem ehrlichen Umgang mit den Wählerinnen und Wählern. In

Experte IfW Kiel

CDU, CSU, SPD, FDP, Die Grünen, Die Linke und die AfD haben sich klar positioniert und liegen in vielen Punkten weit auseinander. Während die Linke eigentlich jegliche Beschränkung der Zuwanderung nach Deutschland ablehnt, fordert die CSU eine „Obergrenze“ für die Aufnahme von Flüchtlingen und die AfD gar die Abschaffung des individuellen Asylrechts sowie die umgehende Schließung der Grenzen.

Dabei ist die tatsächlich verfolgte Flüchtlingspolitik schon viel restriktiver geworden – anders als viele Politikerinnen und Politiker sie kommunizieren. Der Zugang nach Deutschland ist längst nicht mehr so offen wie im Herbst 2015 – das EU-Türkei-Abkommen ist vor eineinhalb Jahren in Kraft getreten, die Balkan-Route wurde geschlossen, und auch die zentrale Mittelmeerroute durch Libyen nach Italien wird gerade geschlossen.

Bei allen Unterschieden in den Wahlprogrammen gibt es auch Gemeinsamkeiten. Alle sind sich einig, dass Fluchtursachen bekämpft werden müssen – als sei die Fluchtursachenbekämpfung ein unmittelbar wirksames und längst erprobtes Mittel in der Steuerung von Migration. Doch was genau sich hinter dem Begriff verbergen soll, erklären die Programme nicht.

Menschen fliehen vor Naturkatastrophen, Armut, Unterdrückung und Krieg. Die humanitäre Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft soll ein menschenwürdiges Leben der Geflüchteten sichern, bis sie wieder in ihr Heimatland zurückkehren können oder endgültig im Aufnahmeland bleiben. Demgegenüber soll die Entwicklungshilfe mittel- bis langfristig die Einkommen armer Menschen erhöhen. Selbst wenn dies gelingt, werden aber die globalen Einkommens- und Entwicklungsunterschiede noch lange Zeit groß bleiben und starke wirtschaftliche Anreize für Migration setzen.

Auch flieht der Großteil der Flüchtlinge weltweit vor Kriegen und Konflikten. Über die Hälfte der Flüchtlinge kam 2016 aus nur drei Ländern: Syrien, Afghanistan und dem Südsudan. Diplomatische Bemühungen zur Beilegung von Kriegen sind langwierig und oftmals von der Ohnmacht der internationalen Staatengemeinschaft geprägt. Auch militärische Interventionen führen selten zu den erhofften Ergebnissen. Blickt man von Afghanistan über den Irak auf Libyen, so haben militärische Interventionen in der jüngeren Vergangenheit die Flüchtlingsbewegungen eher verstärkt.

Das heißt nicht, dass Fluchtursachenbekämpfung im Sinne von nachhaltiger Entwicklung nicht wichtig wäre. Das Problem der irregulären Migration nach Deutschland und in die EU lässt sich aber nicht allein durch Fluchtursachenbekämpfung im Sinne der Wahlprogramme lösen. Es bedarf einer Asyl- und Migrationspolitik, die transparent kommuniziert wird und dabei auch die politischen und moralischen Dilemmata benennt. Denn weltweit werden mehr Menschen verfolgt oder sehen für sich zu Hause keine Zukunft, als selbst ein wohlhabendes Land wie Deutschland aufnehmen kann. Die Sicherung der EU-Außengrenzen, die die meisten Parteien immerhin befürworten oder zumindest nicht in Frage stellen, bleibt deshalb notwendig, um irreguläre Einwanderung zu begrenzen. Ob dafür mehr Grenzpolizei an den EU-Außengrenzen genügt oder höhere Zäune einen Beitrag leisten müssen, ist am Ende eine pragmatische Frage.

Auch wenn Deutschland und die EU nicht alle schutzbedürftigen Menschen aufnehmen können, sollten sie aber mehr Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen in Drittländern übernehmen – zum Beispiel, indem sie wie in der Türkei den Lebensunterhalt von Flüchtlingen mitfinanzieren.  Auch damit nehmen sie globale humanitäre Verantwortung für den Schutz von verfolgten Menschen wahr. Eine angemessene Ausstattung und verbesserte Finanzierung des UN-Flüchtlingshochkommissariats wird von fast allen Parteien befürwortet. Hier ist es wichtig, dass den Worten nach der Wahl Taten folgen. Auch die Forderung nach mehr Unterstützung für Entwicklungsländer beim Ausbau öffentlicher Dienstleistungen und Infrastruktur für Flüchtlinge und Einheimische findet sich zumindest in einem Wahlprogramm.

Deutschland und andere EU-Mitgliedstaaten würden zudem ihrer entwicklungspolitischen Verantwortung besser gerecht, wenn sie mehr legale Einwanderung in den Arbeitsmarkt zulassen würden – nicht nur (wie bisher schon) für Menschen mit Universitätsabschluss. Viele Parteien fordern ein Einwanderungsgesetz, um mehr Fachkräfte für freie Stellen zu gewinnen und so der Überalterung der deutschen Gesellschaft entgegenzuwirken. Dabei wird aber kaum deutlich, dass ein Einwanderungsgesetz nur dann wirtschaftlich bedeutsam würde, wenn es dauerhaft mehr Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt erlauben würde.

Um eine zeitgemäße Asyl- und Migrationspolitik für eine moderne Einwanderungsgesellschaft zu gestalten, ist schließlich eine breite öffentliche Diskussion unerlässlich. In den Wahlprogrammen gibt es viele Ansatzpunkte, bestehende Politiken weiterzuentwickeln. Doch hierfür müssen die komplexen Herausforderungen, die europaweite und globale Verantwortung Deutschlands und die Chancen einer gezielten Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt transparent gemacht werden. Insgesamt kommen jetzt viel weniger Flüchtlinge nach Deutschland als vor zwei Jahren. Deshalb kann Deutschland sowohl mehr Flüchtlinge in geordneter Form aufnehmen – durch Familienzusammenführung, Umsiedlung aus Drittländern und Umverteilung innerhalb der EU – als auch die Einwanderung in den Arbeitsmarkt gezielt ausweiten. Dies wäre gut für die neu Ankommenden ebenso wie für diejenigen, die schon hier leben.

Weiterführende Literatur:
Lücke, Matthias, und Claas Schneiderheinze (2017). More Financial Burden-Sharing for Developing Countries That Host Refugees. Economics: The Open-Access, Open-Assessment E-Journal, 11 (2017-24): 1–11. dx.doi.org/10.5018/economics-ejournal.ja.2017-24

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.