Wirtschaftspolitischer Beitrag

Katalonien-Konflikt: Eine Frage der Identität

Autor

  • Dennis J. Snower
Erscheinungsdatum

Der politische Konflikt über den künftigen Status Kataloniens beinhaltet eine wichtige Zukunftsentscheidung, die bedeutende Folgen für Spanien und ga

Experte IfW Kiel

Die Loslösung Kataloniens von Spanien hätte zunächst offensichtliche ökonomische Folgen: Die wirtschaftliche Erholung Spaniens nach der Wirtschafts- und Finanzkrise steht auf dem Spiel. Katalonien hat in den vergangenen Jahren deutlich zur Erholung der spanischen Volkswirtschaft beigetragen und steuert mit 19 Prozent den höchsten Anteil zum spanischen Bruttoinlandsprodukt bei – gleichauf mit der Region Madrid. Darüber hinaus weist Katalonien mit 65,1 Mrd. Euro (2016) die absolut höchsten Exportwerte aller spanischen Regionen auf.

Das bedeutet aber nicht, dass nur Spanien leiden würde, wenn die Regionalregierung Kataloniens auf Grundlage eines fragwürdigen Referendums entschiede, die Unabhängigkeit der Region zu erklären. Auch die katalanische Wirtschaft würde schweren Schaden nehmen. Denn der wirtschaftliche Erfolg Kataloniens gründet auf Verflechtungen mit anderen Teilen Spaniens und dem Europäischen Binnenmarkt – und beides stünde durch eine einseitige Unabhängigkeitserklärung zur Disposition. Und um die globalen Probleme zu lösen, vom Klimawandel über Finanzkrisen bis hin zu internationalen Konflikten, ist eine Kooperation über nationale Grenzen hinweg ohnehin unumgänglich. Wirtschaftlich und politisch gesehen ist klar: Katalonien wäre alleine deutlich schlechter gestellt.

Doch in Katalonien geht es weniger um eine wirtschaftliche, als vielmehr um eine emotionale Entscheidung – es geht um nicht weniger als die Identität, die gesellschaftliche Zugehörigkeit. Und gerade ein solches Zugehörigkeitsgefühl zu sozialen Gruppen ist auch ein Erfolgsfaktor in einer globalisierten Welt sein.

Warum ein Gefühl der Zusammengehörigkeit ein wichtiges ökonomisches Thema ist, wird vom ökonomischen Mainstream gerne übersehen: In den Lehrbüchern wird angenommen, dass Menschen alle wirtschaftlichen Chancen wahrnehmen, die dazu führen, dass Käufer und Verkäufer am Ende materiell besser dastehen. In der Praxis werden solche Chancen aber nur dann wahrgenommen, wenn durch eine soziale Zugehörigkeit gegenseitiges Vertrauen entsteht. Verträge etwa können nie perfekt sein – sie werden dennoch in den meisten Fällen freiwillig und ohne Zwang erfüllt. Wenn Ökonomien gut funktionieren, muss nicht jedes Schaufenster von einem Polizisten bewacht und jeder Arbeitsvertrag durch einen Rechtsanwalt geprüft werden: Vertrauen und gemeinsame Werte halten die Gesellschaft zusammen, lassen Menschen ihre Versprechen einhalten und füreinander einstehen. Wo dieser soziale Klebstoff fehlt können die Menschen ihre ökonomischen Chancen nicht nutzen.

Das ist die zweite ökonomische Ebene, die die Katalanen noch nicht realisiert haben: Durch eine Unabhängigkeitserklärung würde das Vertrauen zwischen Katalanen und Spaniern stark belastet und damit auch die gemeinsamen ökonomischen Perspektiven.

Die Probleme in Spanien sollten eine Warnung für ganz Europa sein. Sie zeigen, dass politische und ökonomische Integration nur dann gelingt, wenn sie mit gesellschaftlicher Integration einhergeht: Nur Länder, innerhalb deren Grenzen die Menschen eine gemeinsame Identität entwickeln, können langfristig ohne größere innere Konflikte überleben. Das gilt erst Recht, wenn in Regionen einer politischen Einheit unterschiedliche Sprachen gesprochen werden. Wenn die EU eine stärkere politische und ökonomische Einheit werden möchte, muss sie stärkere Anstrengungen unternehmen, um die gesellschaftliche Integration in Europa voranzutreiben und auf die Entstehung einer europäischen Identität hinzuwirken, die die nationale ergänzt. Nur wenn wir uns auch als Europäer sehen, werden wir bereit sein, die Unterstützung anderer Länder zu akzeptieren. So wie wir als Bayern oder Holsteiner bereit sind, Konzessionen für das gesamtdeutsche Wohl zu machen.

Gesellschaftliche Integration kann durch Bildung gelingen – eine Möglichkeit wäre ein europäisches soziales Jahr für alle Schulabgänger. Die Teilnehmer würden in einem anderen EU-Land bei Menschen leben, die einer anderen Kultur angehören als sie selbst, dabei an gesellschaftlich relevanten Projekten arbeiten – und könnten so einen anderen, neuen Ausblick auf Europa gewinnen. Auch ein einheitlicher europäischer Arbeitsmarkt in dem man in einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren ohne rechtliche und regulatorische Beschränkungen arbeiten kann, mit Unterstützung bei der Bewältigung von kulturellen sowie Sprachbarrieren, könnte für mehr soziale Integration sorgen. Die Förderung einer gemeinsamen Identität ist kein nettes Beiwerk, sondern ökonomische und politische Notwendigkeit.

(Leicht veränderte Fassung eines Gastkommentars, der am 10. Oktober unter dem Titel „Eine Frage der Heimat“ im Handelsblatt erschienen ist.)

In der Reihe Kiel Focus veröffentlicht das Institut für Weltwirtschaft Essays zu aktuellen wirtschaftspolitischen Themen für deren Inhalte die Autorinnen und Autoren alleine verantwortlich zeichnen. Die in den Essays abgeleiteten wirtschaftspolitischen Empfehlungen spiegeln nicht notwendigerweise die Empfehlungen des Instituts für Weltwirtschaft wider.