Wirtschaftspolitischer Beitrag

Das soziale Gesicht des wiedererwachenden Faschismus

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Autor

  • Dennis J. Snower
Erscheinungsdatum

Die soziale Desintegration in der westlichen Welt hat rechte Populisten gestärkt, die mittlerweile auch ihre soziale Ader entdeckt haben. Nur wer für

Experte IfW Kiel

Sie wählen Donald Trump. Sie haben für den Brexit gestimmt. Sie marschieren gegen Zuwanderung. Sie haben in vielen Ländern Europas den politischen Prozess lahmgelegt. Die westliche Welt gerät mehr und mehr in die Hände rechter Populisten, die die Abgehängten und Benachteiligten unserer Gesellschaft umwerben. Sie preisen die Nation, flüchten sich in Vorstellungen einer besseren Vergangenheit, Hassbilder, Verschwörungstheorien und Fantasien eigener Überlegenheit.

Die neuen Rechten propagieren eine gesellschaftliche Spaltung mit klaren Feindbildern, wie man sie bislang von den sozialen Anfängen faschistischer Bewegungen kannte: „Americanism, not Globalism“ predigt US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump. AfD-Vize Alexander Gauland sprach im Zusammenhang mit dem deutschen Fußballnationalspieler Jérome Boateng von einem „Raum- und Kulturfremden“ – im Gegensatz also zu Einheimischen. Christen gegen Muslime. Echte Männer gegen Schwule. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Diese Entwicklung ist brandgefährlich. Und sie wird noch bedrohlicher dadurch, dass die rechten Populisten mittlerweile ihre soziale Ader entdeckt haben – und die Wähler mit Versprechen staatlicher Wohltaten ködern: Donald Trump will einen höheren Mindestlohn. Die Brexit-Befürworter versprachen 350 Millionen Pfund für das Gesundheitssystem, statt das Geld nach Brüssel zu schicken. Die AfD in Deutschland hat sich eine stärkere Familienförderung auf die Fahnen geschrieben, während der Front National in Frankreich die Rückkehr zur Rente mit 60 fordert.

Die Wahrzeichen dieser Bewegungen sind überall ähnlich. Gemeinsam ist ihnen die Überzeugung, dass man ein außergewöhnliches Schicksal verfolgt, von Fremden ausgebeutet wird, den Eliten nicht trauen kann – und dass man eine starke Hand braucht, um den benachteiligten Einheimischen wieder ihre verdiente Dominanz zurückzugeben. Dies ist das soziale Gesicht eines wiedererwachenden Faschismus. Damit sprechen die rechten Populisten ihre Kernzielgruppe, die Benachteiligten und gesellschaftlichen Verlierer, verstärkt an – und gehen ganz nebenbei auch auf der linken Seite des politischen Spektrums auf Wählerfang.

Glaubt man Umfragen, fühlen sich viele Menschen in den westlichen Demokratien immer weniger von der Politik vertreten, sie fühlen sich missachtet und übergangen. Zugrunde liegt dieser Entwicklung ein Frühstadium sozialer Desintegration, die Europa und Amerika langsam erfasst. Eine immer größere Gruppe von Menschen hat das Gefühl, nicht an den Gewinnen der Globalisierung beteiligt zu sein und ihren eigenen wirtschaftlichen und sozialen Erfolg nicht mehr eigenhändig steuern, geschweige denn steigern zu können.

Diese Menschen suchen nach Gründen dafür, benachteiligt zu sein – und die Antworten geben ihnen die Populisten: Die Zuwanderer sind schuld, die EU, die Globalisierung, die Medien und vor allem natürlich das politische Establishment, das sich angeblich gegen das eigene Volk wendet. Wenn immer mehr Menschen daran glauben, besteht eine Gefahr, vor der schon der griechische Philosoph Platon in seiner „Politeia“ warnte: Dass Demokratie sich in Richtung Tyrannei wandelt, dass Demagogen die Massen gegen die Eliten in Stellung bringen und sich zum Alleinherrscher aufschwingen. Dass der soziale Faschismus die Macht ergreift. Gerade in Deutschland wissen wir, wohin eine solche Entwicklung führen kann.

Wir müssen deshalb schnellstens aus diesem Alptraum aufwachen – und das Problem an seiner Wurzel bekämpfen: der sich anbahnenden sozialen Desintegration. Wirtschaftliche Integration kann ohne soziale Integration nicht funktionieren. Es reicht nicht, dass die Globalisierung das Durchschnittseinkommen in einem Land steigert, wenn die ökonomischen Gewinne nicht gerecht verteilt werden. Wirtschaftswachstum ohne soziale Gerechtigkeit kann nicht nachhaltig sein. Wir müssen daher verhindern, dass die Globalisierung Reiche reicher macht, während die Einkommen der Mittelschicht stagnieren. Denn das fördert die Spaltung der Gesellschaft.

Wir müssen für echte Chancengleichheit sorgen, Lobby-Interessen widerstehen und so dafür sorgen, dass die politische und wirtschaftliche Integration in Europa auch mit sozialer Integration einhergeht. Ein einheitlicher europäischer Arbeitsmarkt – ohne rechtliche und regulatorische Beschränkungen, dafür aber mit Wettbewerb zwischen verschiedenen Systemen und Unterstützung bei der Bewältigung von kulturellen und sprachlichen Barrieren – würde einen wichtigen Impuls in dieser Hinsicht geben. Zugleich muss die Übertragbarkeit von Rentenansprüchen und Sozialleistungen zwischen den EU-Mitgliedern verbessert werden.

Soziale Integration bedeutet aber auch, den kulturellen Austausch innerhalb Europas zu verbessern: Eine Möglichkeit dazu wäre beispielsweise ein europäisches soziales Jahr für alle Schulabgänger. Die Teilnehmer würden in einem anderen EU-Land bei Menschen leben, die einer anderen Kultur, Religion und sozialen Klasse angehören als sie selbst und dabei an gesellschaftlich relevanten Projekten arbeiten. Wer die Erfahrung macht, bei Menschen zu Gast zu sein, die anders sind als man selbst, wird automatisch toleranter.

Wer Chancengleichheit und den kulturellen Austausch fördert, erweitert die Perspektiven der Menschen. Erweiterte Perspektiven wiederum sorgen dafür, dass die Parolen der rechten Populisten keinen fruchtbaren Nährboden mehr vorfinden. Packen wir es an – bevor Nationalismus und Hass überhand gewinnen und der sozial-faschistische Alptraum Realität wird.

(Geringfügig veränderte Fassung eines Beitrags, der im Handelsblatt vom 12. August 2016 unter dem Titel „Der neue Faschismus“ erschienen ist.)