Lasst die türkische Lira abwerten

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  • Henning Klodt
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Die erwartete Straffung der US-Geldpolitik („Tapering“) wirft ihre Schatten voraus. Die Relationen der erwarteten Renditen verschieben sich zulasten der Schwellenländer, und zwar zugunsten sowohl der Vereinigten Staaten als auch anderer Industrieländer, die dem Tapering über kurz oder lang folgen dürften.

Die erwartete Straffung der US-Geldpolitik („Tapering“) wirft ihre Schatten voraus. Die Relationen der erwarteten Renditen verschieben sich zulasten der Schwellenländer, und zwar zugunsten sowohl der Vereinigten Staaten als auch anderer Industrieländer, die dem Tapering über kurz oder lang folgen dürften.

Als Reaktion auf die veränderten Erwartungen an den internationalen Finanzmärkten hat die türkische Notenbank ihren Leitzins in der vergangenen Woche in einem großen Schritt von 4,5 Prozent auf 10 Prozent erhöht. Damit soll die Attraktivität des Landes für internationale Investoren gesteigert und ein Kapitalabfluss ins Ausland verhindert werden. Doch wird die türkische Volkswirtschaft auf diese Weise wirklich gestärkt?

In welchem Umfang produktive Investitionen in der Türkei getätigt werden, hängt in erster Linie davon ab, wie die Grenzproduktivität des Kapitals von den Investoren beurteilt wird. Wo die Ertragsaussichten hoch sind und gute Renditen winken, werden sich internationale Investoren langfristig engagieren, und zwar weitgehend unabhängig davon, wie hoch das Zinsniveau im Zielland ihrer Investitionen ist. Auch die nationalen Investoren werden sich bei ihren Entscheidungen vorrangig von den realwirtschaftlichen Renditen leiten lassen. Sie dürften allerdings – anders als die internationalen Investoren – zur Finanzierung ihrer Investitionen stärker auf den inländischen Kreditmarkt angewiesen sein, und dort werden die Finanzierungsbedingungen infolge der jüngsten Leitzinserhöhung eher ungünstiger. Insgesamt werden die Investitionen in das türkische Produktivkapital infolge der Leitzinserhöhung also eher geschwächt, da inländisch finanzierte Sachinvestitionen gebremst und ausländisch finanzierte Sachinvestitionen weitgehend unberührt bleiben.

Im Jargon der Finanzmärkte haben solche realwirtschaftlichen Erwägungen allerdings keinen Platz. Wenn dort von Investoren die Rede ist, dann sind Finanzinvestoren gemeint, und produktive Investitionen werden mit reinen Portfolio-Investitionen verwechselt. Tatsächlich hat die Türkei – wie andere Schwellenländer auch – in den vergangenen Jahren einen starken Zustrom von kurzfristigen Portfolio-Investitionen erlebt, die zusehends in Projekte mit eher zweifelhaften langfristigen Renditeaussichten geflossen sind. Ob das Produktionspotenzial des Landes dadurch nennenswert erhöht wurde, erscheint zumindest für die Spätphase zweifelhaft. In jedem Fall haben die Kapitalzuflüsse dazu beigetragen, ein ausuferndes Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Die aktuelle Zinsreaktion der Notenbank, die offiziell mit der Stabilisierung des Wechselkurses der türkischen Lira begründet wird, muss als (untauglicher) Versuch gewertet werden, diese Defizite auch in Zukunft weiterführen zu können.

Es ist gut nachvollziehbar, dass die Vertreter des Finanzsektors der Begriffsverwirrung von produktiven Sachinvestitionen und reinen Portfolio-Investitionen gern Vorschub leisten. Die Rating-Agentur Fitch warnt sogar, die Türkei müsse weiterhin für kurzfristiges Auslandskapital attraktiv bleiben, um ihr Leistungsbilanzdefizit dauerhaft finanzieren zu können. Das mag gut sein für die Klientel von Fitch, aber es weist den falschen Weg für die türkische Volkswirtschaft. Denn ein Leistungsbilanzdefizit muss nur dann mit immer weiteren Kapitalzuflüssen finanziert werden, wenn man eine Abwertung der heimischen Währung verhindern will.

Dafür gibt es aber keinen einleuchtenden Grund. Denn die Abwertung der türkischen Lira wäre gleichsam die „natürliche“ Reaktion auf das Leistungsbilanzdefizit des Landes: Sie würde die Exportfähigkeit der türkischen Wirtschaft stärken und es ihr erleichtern, gegenüber der Importkonkurrenz zu bestehen. Die Betonung dieser klassischen Funktion flexibler Wechselkurse mag zwar als angestaubte Lehrbuchweisheit gelten. Für die türkische Geld- und Währungspolitik stellt sie aber allemal eine bessere Wegweisung dar als die wohlfeilen Einflüsterungen aus dem Finanzsektor.

Wie die historischen Erfahrungen aus der schwedischen Währungskrise des Jahres 1992 oder der Asien-Krise der späten 1990er Jahre zeigen, lässt sich durch geldpolitische Maßnahmen der Druck auf den Wechselkurs der heimischen Währung allenfalls vorübergehend lindern. Die Übergangsfrist mag reichen, internationalen Portfolio-Investoren einen Rückzug aus dem Land zu einem für sie erträglichen Wechselkurs zu ermöglichen – für die türkische Realwirtschaft dagegen würde das Adjustieren der internationalen Preisrelationen und die damit ermöglichte Wiedererlangung der türkischen Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten nur unnötig hinausgezögert.

Der Versuch, den Wechselkurs der heimischen Währung zu stützen, ist auch in anderen Schwellenländern zu beobachten. So versuchen sowohl Indien als auch Brasilien, eine Abwertung zu verhindern. Den Nutzen davon haben die internationalen Portfolio-Investoren. Den Schaden haben die inländischen Unternehmen, die daran gehindert werden, sich mit preislich wettbewerbsfähigen Produktionen auf den Weltmärkten zu behaupten. Innerhalb Europas hat vor allem Griechenland die Erfahrung gemacht, wie ein starrer Wechselkurs die industrielle Basis eines Landes auf längere Sicht ruinieren kann. Die unter Abwertungsdruck stehenden Schwellenländer schicken sich an, diesem Beispiel zu folgen, obwohl sie – anders als die Mitglieder der Euro-Zone – durchaus die Möglichkeit hätten, die Vorteile flexibler Wechselkurse zu nutzen. Das freut den Finanzinvestor und betrübt den Ökonomen.

(überarbeitete Version eines Beitrags, der am 3. Februar 2014 im Blog „Wirtschaftliche Freiheit“ erschienen ist (http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=14327)).