Ist die Arbeitslosenquote ein guter Anker für die „forward guidance“ der Federal Reserve?

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  • Nils Jannsen
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Die Federal Reserve (Fed) hat ihre zukünftige Geldpolitik eng an die Entwicklung der Arbeitslosenquote ausgerichtet. Konkret hat sie angekündigt, ihren Leitzins mindestens so lange nahe null zu belassen, wie die Arbeitslosenquote über 6,5 Prozent liegt, ihre eigenen Inflationsprognosen für ein bis zwei Jahre 2,5 Prozent nicht überschreiten und die Inflationserwartungen fest verankert sind. Ferner hat sie angekündigt, mit den monatlichen Anleihekäufen so lange fortzufahren, bis eine merkliche Besserung am Arbeitsmarkt eingetreten ist.

Experte IfW Kiel

Die Federal Reserve (Fed) hat ihre zukünftige Geldpolitik eng an die Entwicklung der Arbeitslosenquote ausgerichtet. Konkret hat sie angekündigt, ihren Leitzins mindestens so lange nahe null zu belassen, wie die Arbeitslosenquote über 6,5 Prozent liegt, ihre eigenen Inflationsprognosen für ein bis zwei Jahre 2,5 Prozent nicht überschreiten und die Inflationserwartungen fest verankert sind. Ferner hat sie angekündigt, mit den monatlichen Anleihekäufen so lange fortzufahren, bis eine merkliche Besserung am Arbeitsmarkt eingetreten ist; diese Aussage wird derzeit dahingehend interpretiert, dass die Anleihekäufe demnächst reduziert werden und schließlich eingestellt werden, wenn die Arbeitslosenquote auf 7 Prozent gesunken ist. Durch diese ‚forward guidance‘ erhofft sich die Fed, die Zinsen am langen Ende weiter zu drücken und die Wirkung ihrer Politik zu erhöhen.(a)

Die Koppelung ihrer Geldpolitik an die Arbeitslosenquote erscheint aus Sicht der Fed naheliegend, ist sie doch neben dem Ziel der Preisniveaustabilität auch dem Ziel eines hohen Beschäftigungsgrads verpflichtet. Ferner legen Projektionen der Mitglieder des Offenmarktausschusses der Fed, der die geldpolitischen Entscheidungen trifft, nahe, dass die Notenbank die strukturelle Arbeitslosenquote derzeit zwischen 5 und 6 Prozent sieht, also deutlich unterhalb des kommunizierten Grenzwertes.

Allerdings wird die Arbeitslosenquote von zahlreichen Einflussfaktoren beeinflusst, die von einer Notenbank nur mittelbar oder gar nicht beeinflusst werden können. Sollte in den Vereinigten Staaten beispielsweise der Mindestlohn angehoben werden, so dürfte sich in der Folge die strukturelle Arbeitslosenquote erhöhen, und der Grenzwert würde bei gleicher Ausrichtung der Geldpolitik erst später erreicht werden.(b) Dasselbe wäre der Fall, wenn die Produktivität, die sich zuletzt sehr schwach entwickelte, bei einem vergleichbaren Beschäftigungsaufbau wieder beschleunigt zulegen würde (vgl. Altig 2013). Ferner ist die Verringerung der Arbeitslosenquote von 10 Prozent im Oktober 2009 auf zuletzt 7,3 Prozent – bei dem mäßigen Beschäftigungsaufbau – ausschließlich auf einen kräftigen Rückgang der Partizipationsrate zurückzuführen. Zwar deuten Langfrist-Projektionen des Congressional Budget Office und des Bureau of Labor Statistics darauf hin, dass der Rückgang der Partizipationsrate zu einem größeren Teil strukturell bedingt ist. Allerdings ist diese Schätzung mit Unsicherheit behaftet. Zudem ist die Partizipationsrate kurzfristig erheblichen Schwankungen unterworfen, die sich massiv auf die Arbeitslosenquote auswirken können. So würde bei einem Beschäftigungsaufbau von 200.000 Stellen im Monat bei einer etwa unveränderten Partizipationsrate von 63,2 Prozent die Grenze von 6,5 Prozent bei der Arbeitslosenquote im Oktober 2014 erreicht werden, bei einem Rückgang der Partizipationsrate auf 63 Prozent schon im Mai 2014, bei einem Anstieg auf 64 Prozent dagegen erst im September 2016 (Tabelle).(c)Eine Zunahme der Partizipationsrate von einem Prozentpunkt (die Partizipationsrate ist beispielsweise zwischen April und Juni dieses Jahres um 0,9 Prozentpunkte gestiegen) kann somit bei einem Beschäftigungsaufbau von 200.000 Stellen im Monat dazu führen, dass der Grenzwert erst mehr als 2 Jahre später erreicht wird.

Bei alledem ist zu bedenken, dass ein Anstieg der Partizipationsrate generell eher mit einer Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Situation einhergeht. So würde ein struktureller Anstieg der Partizipationsrate für sich genommen das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft erhöhen. Gleichwohl könnte die Fed bei einem Beschäftigungsaufbau von 250.000 Stellen und einer Partizipationsrate von 64 Prozent ihrer eigenen Kommunikationspolitik zufolge die Zinsen erst später anheben, als wenn der Beschäftigungsaufbau lediglich 150.000 betragen und die Partizipationsrate bei 63 Prozent liegen würde (jeweils unterstellt, dass sich keine ernsthaften Inflationsgefahren abzeichnen). Neben strukturellen und erratischen Änderungen bei der Partizipationsrate dürfte die sukzessive Besserung am Arbeitsmarkt dazu führen, dass zahlreiche Personen, die zuvor die Arbeitsplatzsuche aufgegeben haben, dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung stehen und so die Partizipationsrate zunimmt.(d)

Alles in allem ist die neue Kommunikationsstrategie aus Sicht der Fed scheinbar in sich schlüssig. Nachdem sie eine Reihe von Instrumenten ausprobiert hat, mit deren Wirkung sie offenbar nicht hinreichend zufrieden ist, verwendet sie ein neues Instrument, das aus theoretischer Sicht dazu in der Lage sein könnte, die expansive Wirkung der Geldpolitik noch zu erhöhen, und das in direkter Verbindung mit ihrem dualen Mandat steht. Zudem geht die Mehrheit der Mitglieder des Offenmarktausschusses der Fed offenbar davon aus, dass die Kapazitäten in den Vereinigten Staaten nach wie vor massiv unterausgelastet sind, eine langanhaltende Niedrigzinspolitik vergleichsweise geringe Nebenwirkungen hat und die Geldpolitik, nachdem die Schwellenwerte erreicht werden, im Bedarfsfall problemlos rasch gestrafft werden kann.

Ein Hauptproblem der neuen Kommunikationsstrategie der Fed ist, dass eine Reihe von Argumenten gegen ihre Sichtweise spricht. So deuten die historischen Erfahrungen mit Finanz- und Immobilienkrisen darauf hin, dass diese das Produktionsniveau permanent senken, so dass die Unterauslastung der Kapazitäten möglicherweise weniger stark ausgeprägt ist.(e) Ferner dürfte eine über einen langen Zeitraum sehr expansiv ausgerichtete Geldpolitik auch abseits von Risiken für die Preisniveaustabilität mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein, wie einer erhöhten Risikoneigung bei den Finanzmarktakteuren und einer Verringerung der Leistungsfähigkeit des Bankensektors (vgl. White 2012). Schließlich ist zweifelhaft, ob ein rascher Ausstieg aus der Geldpolitik durchgeführt werden kann, ohne dass es zu Verwerfungen an den Finanzmärkten kommt. Darüber hinaus ist die Arbeitslosenquote für sich genommen ein unzureichender Indikator, um die Lage auf dem Arbeitsmarkt umfassend zu beurteilen.

Vor diesem Hintergrund ist die neue Kommunikationspolitik der Fed kritisch zu sehen, zumal die stimulierenden Auswirkungen auf die Konjunktur unklar sind. Denn nun hat die Fed es sich sehr erschwert, ihre Geldpolitik nennenswert zu straffen, selbst wenn sie es für angemessen halten sollte. Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn sie ihre eigenen Einschätzungen mit der Zeit ändern sollte oder sich einige der unerwünschten Nebenwirkungen der expansiven Geldpolitik bereits deutlich abzeichnen sollten. Vieles deutet darauf hin, dass die Geldpolitik bereits seit einiger Zeit deutlich zu expansiv ausgerichtet und die Fed somit bereits massive Risiken eingegangen ist (vgl. Jannsen und Scheide 2011). Durch die neue Kommunikationsstrategie haben sich diese Risiken weiter erhöht.

(a)Generelle Vor- und Nachteile einer ‚forward guidance‘ der Geldpolitik sollen an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Vgl. dafür Boysen-Hogrefe et al. (2013b: Exkurs). — (b)Für eine ausführliche Diskussion über die Auswirkungen eines Mindestlohns vgl. Groll und Kooths (2013). — (c)Für die Berechnungen wurde ein Anstieg der Erwerbsbevölkerung von 0,08 Prozent pro Monat unterstellt. —(d)allein diese Entwicklung könnte zu einem Anstieg der Partizipationsrate um rund 0,5 Prozentpunkte führen. — (e)Vgl. z.B. Furceri und Mourougane (2009) oder Jannsen und Scheide (2010).

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