EZB-Entscheidung zum Kauf von Staatsanleihen birgt Risiken

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Autoren

  • Joachim Scheide
  • Stefan Kooths
Erscheinungsdatum

Die EZB kündigte an, Staatsanleihen zu erwerben, ohne dabei eine Obergrenze festzulegen; die Bedingung ist, dass der entsprechende Staat zugleich Hilfen der Rettungsschirme in Anspruch nimmt. Mit dieser Maßnahme soll der Sorge begegnet werden, dass die Rettungsschirme nicht über genügend Mittel verfügen, die angeschlagenen Staaten im Euroraum zu stützen.

Experte IfW Kiel

Aus Sicht der EZB bestehen Markterwartungen, dass einzelne Länder den Währungsraum verlassen könnten, um durch eigene Geldschöpfung ihren fiskalischen Problemen zu begegnen. Die erhöhte Unsicherheit über den Fortbestand der Währungsunion führe zu impliziten Wechselkursrisiken und somit erhöhten Risikoprämien, die die Volkswirtschaften der betroffenen Länder, aber auch des Euroraums insgesamt belasteten. So wird die erhöhte Unsicherheit auch als ein Grund für die jüngste konjunkturelle Eintrübung gesehen.

Die EZB kündigte an, Staatsanleihen zu erwerben, ohne dabei eine Obergrenze festzulegen; die Bedingung ist, dass der entsprechende Staat zugleich Hilfen der Rettungsschirme in Anspruch nimmt. Mit dieser Maßnahme soll der Sorge begegnet werden, dass die Rettungsschirme nicht über genügend Mittel verfügen, die angeschlagenen Staaten im Euroraum zu stützen. Durch eine Flankierung der Rettungsschirme sollen Zweifel am Fortbestand der Währungsunion ausgeräumt werden. Gelänge dies, könne die Unsicherheit verringert werden. Ferner entfiele ein belastender Faktor für die Konjunktur, was wiederum die fiskalische Konsolidierung erleichterte und zusätzliches Vertrauen schaffen könne. Die EZB hofft, durch die Maßnahme eine Abwärtsspirale der Erwartungen zu verhindern und letztlich den Bestand der Währungsunion zu sichern.

Allerdings birgt die Politik der EZB erhebliche Risiken. So ist die EZB de facto nicht mehr unabhängig von der Finanzpolitik mit der Folge, dass die Verantwortlichkeiten zwischen den jeweiligen Politikbereichen verwischt werden. Die Unabhängigkeit einer Notenbank ist jedoch, so zeigen die makroökonomische Forschung der vergangenen Jahrzehnte und die Erfahrungen mit Inflationsprozessen, eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Notenbank ihr Stabilitätsziel ohne hohe soziale Kosten erreicht. Die Legitimation der Unabhängigkeit der Zentralbank und damit ihre demokratische Akzeptanz gründen sich maßgeblich darauf, dass sie sich von Entscheidungen fernhält, die mit einer Umverteilung verbunden sind. Mit dem Einstieg in die Staatsfinanzierung – letztlich wird die Budgetbeschränkung für Staaten gelockert – wird diese Grenze überschritten.

Das Argument der Unsicherheit an den Märkten trifft zwar zu. Diese rührt aber vor allem daher, dass die europäischen Regierungen bislang nicht zu einer glaubwürdigen Strategie zur Überwindung der Krise gefunden haben und zudem unklar ist, wann man wieder zu einem verlässlichen Ordnungsrahmen für die Währungsunion zurückkehrt. Aufgrund dieser Versäumnisse springt nun die EZB erneut ein. Fraglich ist, ob die generelle Unsicherheit an den Märkten durch die Politik der EZB tatsächlich beseitigt werden kann. So bleibt unsicher, nach welchen Regeln die EZB bei ihrer Politik verfährt (Umfang und Dauer der Käufe, Höhe der Zinsen), und ferner bleibt die Unsicherheit über den Wert z.B. spanischer Immobilienkredite bestehen.

Des Weiteren besteht an den Märkten eine Unsicherheit hinsichtlich der Solvenz einiger Staaten. Die Zweifel mögen übertrieben sein; sie sind allerdings auch nicht unbegründet. So sind die Wachstumsaussichten gedämpft, und es sind erhebliche Konsolidierungsanstrengungen über viele Jahre nötig, welche die betreffenden Regierungen offenbar nur sehr schwer durchsetzen können. Ferner zeigen die Erfahrungen, dass Versprechen hinsichtlich solider Staatsfinanzen wiederholt gebrochen werden. Mit ihrer Politik verbürgt sich die EZB nun de facto für die Solvenz der Staaten. Sie wird dies im Zweifel dadurch untermauern müssen, dass sie in großem Umfang Staatsanleihen kauft. Zwar hat sie angekündigt, dass sie die Käufe wie schon beim ersten Ankaufprogramm sterilisiert, die Geldbasis also dadurch nicht zunimmt. Dennoch ist die Politik keineswegs neutral, denn durch den Ankauf von Papieren, die von den Märkten als riskant angesehen werden, verschlechtert sie die Qualität ihrer Aktiva, und das Risiko wird auf die europäischen Steuerzahler übertragen. Zudem ist eine „Sterilisierungspolitik“ in Zeiten der Vollzuteilung ohnehin wirkungslos – die monetäre Basis wird ausschließlich durch die Nachfrageseite des Geldmarktes bestimmt.

Zu begrüßen ist sicherlich, dass die EZB ihre Käufe davon abhängig macht, dass sich die betreffenden Regierungen an strikte Auflagen halten. Was geschieht aber, wenn ein Land diesen nicht nachkommen kann oder will? Folgt die EZB ihren Ankündigungen, müsste sie es ablehnen, weitere Staatsanleihen des Landes zu kaufen. Dies wäre ein Signal an die Märkte, dass diese Anleihen zu teuer sind. In der Folge könnten die Zinsen so stark steigen, dass das betreffende Land in die Insolvenz getrieben wird. Weicht die EZB hingegen von ihrer Ankündigung ab und stützt sie die Kurse der Anleihen dennoch, wäre ihre Glaubwürdigkeit massiv beschädigt. Es ist nicht auszuschließen, dass Regierungen sich auf genau diese Reaktion der EZB verlassen und ihre Anstrengungen zu Reformen verringern.

Die EZB hat nun praktisch die Führungsrolle bei der Bewältigung der Schuldenkrise übernommen, die eigentlich bei den Regierungen liegen sollte. Sie wird zum Wächter über die Finanzpolitik und beeinflusst möglicherweise die Solvenz einzelner Staaten. Neben der Unabhängigkeit gerät so auch die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik in Gefahr. Beides sind für eine Notenbank hohe Güter, und sie zu verlieren bedeutet, dass das Ziel der Preisstabilität möglicherweise nur mit hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten erreicht werden kann.

Wir halten die Risiken, welche die Notenbank eingegangen ist, für zu groß und sehen die Politik der EZB daher mit großer Sorge.