Ein regulierter Markt für Organspenden in Deutschland

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Autor

  • Ulrich Schmidt
Erscheinungsdatum

2.000 Menschen warten derzeit in Deutschland verzweifelt auf eine Organtransplantation, jährlich sterben mehr als 1.000 Menschen, weil nicht genügend gespendete Organe zur Verfügung stehen. Dieses Leid ist Konsequenz einer politischen Fehlsteuerung. Aus ökonomischer Sicht besteht ein Nachfrageüberschuss nach Organen, der aus einem fehlenden Markt resultiert.

Experte IfW Kiel

12.000 Menschen warten derzeit in Deutschland verzweifelt auf eine Organtransplantation, jährlich sterben mehr als 1.000 Menschen, weil nicht genügend gespendete Organe zur Verfügung stehen. Dieses Leid ist Konsequenz einer politischen Fehlsteuerung. Aus ökonomischer Sicht besteht ein Nachfrageüberschuss nach Organen, der aus einem fehlenden Markt resultiert. Statt mit ihnen Sterbende zu retten, werden Organe im Krematorium verbrannt oder verwesen unter der Erde. Die Etablierung eines regulierten Marktes für Organspenden würde nicht nur zu einer besseren Verfügbarkeit von Spenderorganen, sondern insgesamt auch zu einer gerechteren Situation führen.

Wie bei jedem Markt gibt es auch bei Spenderorganen eine Nachfrage- und eine Angebotsseite. Die Nachfrageseite ist durch die Personen auf der Warteliste gegeben. Die Besonderheit ist hier, dass aus ethischer Sicht nicht die Zahlungsbereitschaft bzw. Finanzkraft der einzelnen Personen auf der Warteliste darüber entscheiden soll, wer Spenderorgane erhält, sondern einzig und allein medizinische Kriterien. In Deutschland wird die Verteilung der Spenderorgane durch die Stiftung Eurotransplant vorgenommen. In dieser Stiftung haben sich mehrere europäische Länder zusammengeschlossen, um eine möglichst effektive Verteilung der Organe zu gewährleisten. Auch wenn der jüngste Organspende-Skandal gezeigt hat, dass bei diesem Verteilungsmechanismus Manipulationen möglich sind, sollte an der Verteilung allein nach medizinischen Gesichtspunkten auch bei Einführung eines Marktes festgehalten werden. Die Angebotsseite ist durch potenzielle Spender gegeben. Wenn ein Markt für Spenderorgane eingeführt wird und Organe somit einen Preis haben, muss sichergestellt sein, dass sich niemand aus wirtschaftlicher Not zu Lebzeiten Organe entnehmen lässt, um seine finanzielle Situation zu verbessern. Derzeitig kann sich jeder potenzielle Spender zu Lebzeiten explizit für oder gegen eine Organspende aussprechen. Tut er dies nicht, entscheiden in den meisten Fällen die Angehörigen, ob die Organe für eine Transplantation freigegeben werden. Es existiert also quasi ein Eigentumsrecht an den Organen, was die Voraussetzung für einen funktionierenden Markt ist. Die Besonderheit und das eigentliche Problem sind, dass die Organe nur verschenkt aber nicht verkauft werden dürfen. Aus ökonomischer Sicht bedeutet dies, dass zwar ein Markt existiert, bei dem es jedoch einen politisch festgesetzten Höchstpreis von null gibt. Da die Spendenbereitschaft offenbar für viele mit subjektiven Kosten verbunden ist, liegt dieser Preis unterhalb des Gleichgewichtspreises, so dass ein Nachfrageüberschuss die zwangsläufige Folge ist.

Eine einfache Aufhebung dieses Höchstpreises würde zu erheblichen Verbesserungen führen. Jedoch ist es ethisch auch problematisch, wenn nach dem Tod eines Spenders die Angehörigen über den Verkauf der Organe verhandeln müssen. Entscheidet sich aber eine Person zu Lebzeiten, ihre Organe für eine Transplantation freizugeben, spricht nichts dagegen, wenn sie dafür einen Preis verlangt. Jede Person mit Spendenausweis könnte somit eine monatliche Zahlung erhalten, um sie für die subjektiven Kosten, die mit der Spendenbereitschaft verbunden sind, zu entschädigen. Wie hoch diese Zahlung sein müsste, damit sich ein ausreichendes Angebot an Spendenorganen einstellt, ist eine empirische Frage. Die Kosten für diese Zahlungen müssten dann auf die Organe umgelegt werden, d.h. die Spenderorgane stünden nicht mehr kostenlos zur Verfügung, sondern müssten von den Krankenkassen angekauft werden. Dies ist aus meiner Sicht unproblematisch, da auch Medikamente oder bspw. künstliche Hüftgelenke nicht umsonst sind und es somit nicht einzusehen ist, dass Spenderorgane in jedem Fall umsonst sein müssen, wenn die Spendenbereitschaft offensichtlich zu subjektiven Kosten führt.

Den Ausgaben für die Organe stehen Kosteneinsparungen (z.B. durch verminderten Krankenstand, eingesparte Dialysekosten etc.) gegenüber. Insgesamt könnte es dennoch zu Mehrkosten für die Krankenkassen kommen. Diese Kosten können aus meiner Sicht aber kein Argument dafür sein, den Preis auf null festzusetzen und dadurch mehr als 1.000 Deutsche jährlich sterben zu lassen. Die Mehrkosten für die Krankenkassen müssten durch erhöhte Mitgliedsbeiträge ausgeglichen werden. Wenn die Zahlungen an die Spender auch von den Krankenkassen vorgenommen werden, kann die Beitragserhöhung mit der Zahlung für die Spendenbereitschaft verrechnet werden. Somit gäbe es für potenzielle Spender insgesamt im Durchschnitt keine Beitragserhöhung. Haben nicht alle Versicherten einen Spendenausweis oder führt die vermehrte Verfügbarkeit von Organen wie oben angedeutet zu Kostensenkungen, käme es für Spender netto zu einer Beitragssenkung. Nur die Versicherten, die im Falle einer Erkrankung ein Spenderorgan erhalten möchten, selbst aber nicht zur Spende bereit sind, müssten höhere Beiträge zahlen. Die bisherige Regulierung schützt diese Trittbrettfahrer auf Kosten der 12.000 Kranken und deren leidenden Angehörigen. Der hier vorgeschlagene Marktmechanismus ist auch einer möglichen anderen Regulierung vorzuziehen, bei der nur Personen mit Spenderausweis im Krankheitsfall selbst Organe erhalten, da es ethisch kaum rechtfertigbar erscheint, Erkrankten ohne Spenderausweise Organe vorzuenthalten. Insgesamt ist jedoch zu befürchten, dass die Gruppe der Erkrankten und deren Angehörige als potenzielle Wähler zu klein ist, um die Politiker zu einer Behebung der Fehlsteuerung zu bewegen.

(Leicht überarbeitete Version eines Artikels auf der Plattform Ökonomenstimme vom 1. November 2012 unter dem Titel „Organspende in Deutschland: Eine gigantische Fehlsteuerung".)