Statement

Global und digital in die industrielle Zukunft in Deutschland

„Der Industriestandort Deutschland braucht eine globalisierte Welt. Schon in der Vergangenheit hat Deutschlands Industrie stärker von der Globalisierung profitiert als die Industrie in vielen anderen Ländern – dies gilt insbesondere für das stark exportorientierte Verarbeitende Gewerbe. Das heißt aber auch, dass die protektionistischen Tendenzen und die fortschreitende Digitalisierung eine besondere Herausforderung für Deutschlands industriellen Sektor sind. Hier gilt es, die Europäische Union und insbesondere den digitalen Binnenmarkt zu stärken und ein EU-Investitionsprogramm für Infrastruktur, Forschung und Entwicklung oder auch europäische Exzellenzuniversitäten anzustreben.

Der wichtigste Produktionsfaktor hierzulande ist das ‚Kapital in den Köpfen‘. Die Bereiche Arbeitsmarkt und Fachkräfte spielen im rohstoffarmen Deutschland eine besondere Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes. Traditionell gehört das deutsche Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte hier zur Spitzengruppe, und auch im Bereich Forschung und Innovation nimmt Deutschland nach wie vor eine Spitzenstellung ein. Allerdings weisen deutsche Arbeitnehmerinnen und -nehmer bei den digitalen Kompetenzen und bei der Weiterbildungsintensität (Lebenslanges Lernen) z.T. deutliche Defizite auf, was künftig zu Diskrepanzen zwischen den gebotenen und gewünschten Kompetenzen bei Arbeitsangebot und -nachfrage führen dürfte. Erschreckend niedrig ist in Deutschland die Innovationsbeteiligung von Frauen und der im internationalen Vergleich sehr geringe Anteil von Frauen in MINT-Studiengängen. Der Industriestandort Deutschland kann es sich nicht leisten, dieses große Potenzial weiterhin ungenutzt zu lassen. Eine gezielte Frühförderung von Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern erscheint daher unabdingbar.

Allerdings benötigen wir nicht nur mehr Bildung und eine bessere Förderung benachteiligter Gruppen, sondern – gerade auch im universitären Bereich – bessere Bedingungen. In der gesamten Europäischen Union fehlt es an Spitzenuniversitäten auf Augenhöhe mit den amerikanischen Spitzenuniversitäten und den aufsteigenden chinesischen Universitäten. Aktuell rangiert laut dem „World Universities Ranking“ der Times Higher Education keine Universität aus einem Land der Europäischen Union unter den 30 weltbesten Universitäten. Da Weltklasse-Universitäten teuer sind, sollte die EU gemeinschaftlich in diesem wichtigen Bereich mehr investieren, etwa im Rahmen der Important Projects of Common European Interest (IPCEI).

Die Stärkung des Industrie- und Innovationsstandortes Deutschland ist aber nicht nur eine Gestaltungsaufgabe für die Politik. Nicht zuletzt muss auch die deutsche Bevölkerung ihre Komfortzone verlassen: In Deutschland gibt es eine besonders stark ausgeprägte, gesellschaftliche Präferenz für Sicherheit und Besitzstandswahrung. Viele Schwächen, die Stakeholder für den Industriestandort Deutschland sehen, lassen sich daraus ableiten. Beispiele dafür sind das wenig technologiefreundliche Klima, hohe bürokratische Hürden für die Gründerszene und hohe Unternehmenssteuern, der vielfach als zu langsam empfundene Ausbau der digitalen Infrastruktur oder der Mangel an Wagniskapital durch konservative, risikoscheue Strategien in der Kapitalanlage. Dieses Phänomen ist nicht neu, wird allerdings durch die demografische Entwicklung verstärkt und könnte – gerade in Zeiten disruptiver Veränderungen – zu einer Hypothek für den Industriestandort Deutschland werden.“

Erste Ergebnisse des Gutachtens wurden am Mittwoch, 24. Juni 2020, von IfW-Präsident Gabriel Felbermayr auf der Berliner Standortkonferenz des BMWi mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vorgestellt.Hier finden Sie eine allgemeine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.