Statement

Brexit-Deal: Die Unsicherheit bleibt

„Ich bin sehr erleichtert über diese Einigung in letzter Minute. Dass es im Handel zwischen Großbritannien und der EU nun keine Zölle und Mengenbeschränkungen geben wird, ist klar besser als wenn ohne Deal nach den allgemeinen Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) gehandelt worden wäre. Aber wie gut die Lösung wirklich ist, hängt von den Details ab, deren Analyse erst beginnt.
Die Einigung ist ein großer Erfolg, aber die Diskussionen und Verhandlungen werden mit dem heutigen Tag nicht vorbei sein. Die Nordirland-Regelung wird innenpolitisch im Vereinigten Königreich für Diskussionen sorgen; mit Brüssel sind Streitigkeiten über Interpretation und Implementierung des Textes vorprogrammiert. Innerhalb der EU werden die unterschiedlichen Kosten des Deals für die Mitglieder für Diskussionen sorgen. Die können zur Hürde werden, da alle EU-Länder zustimmen müssen und wenn gemischte Kompetenzen berührt sind, auch die nationalen Parlamente.

Für die deutsche Wirtschaft wurde das Schlimmste mit diesem Vertrag verhindert. Die Belastung bei manchen deutschen Schlüsselprodukten - wie beiderseitig Zölle von 10 Prozent auf Autos - wäre hoch gewesen. Trotzdem wird es Probleme in den Lieferketten geben: Zollfreiheit heißt ja mitnichten, dass es keine Zollformalitäten gibt. Zollfrei darf nur gehandelt werden, was den so genannten Ursprungsregeln genügt. Neben neuen Bürokratiebelastungen wird es hier für manche deutsche Unternehmen zu einer erzwungenen Umgestaltung von Lieferketten kommen. Nur eine Zollunion hätte dieses Problem ausgeräumt, die Boris Johnson leider ausgeschlossen hat.
Großbritannien wird auch durch einen Freihandelsvertrag im Vergleich zur Vollmitgliedschaft ökonomische Verluste tragen müssen. Unter dem Strich ist aber auch klar, dass beide Seiten im Vergleich zu einem harten Brexit profitieren.

Der europäische Binnenmarkt schrumpft durch den Ausstieg der Briten um 16 Prozent. In Verhandlungen mit China und den USA kann die EU letztlich nur mit dem Zugang zu diesem Binnenmarkt punkten. Ihre Verhandlungsmacht und globalen Gestaltungsmöglichkeiten schrumpfen also. Darum wird es extrem wichtig sein, dass die EU mit allen Ländern in ihrer Peripherie, dazu gehört neben dem Vereinigten Königreich auch die Schweiz, die Türkei oder die Ukraine, Partnerschaftsabkommen entwickelt, die die Länder möglichst stark in den Binnenmarkt integriert. Das wird nicht einfach sein, ist aber strategisch unabdingbar. Das Abkommen mit London ist hier sicher nicht der Weisheit letzter Schluss.“